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Der lebensrettende Schnitt

Ein Löbauer war der erste Patient, der im Görlitzer St.-Carolus-Krankenhaus an der Bauchschlagader operiert wurde.

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© Malteser

Von Daniela Pfeiffer

Ein Danke reicht nicht aus, um das auszudrücken, was ich sagen möchte.“ Das sagt Rolf Zimmermann aus Löbau über seine Lebensretter. Sein Leben hing am seidenen Faden, als er vor etwa drei Wochen ins Görlitzer Carolus-Krankenhaus fuhr. Starke Rücken- und Unterleibsschmerzen hatten ihn dazu getrieben. Sicher etwas Urologisches, vermutete er.

Aber es war schlimmer: Im Malteser Krankenhaus St. Carolus konnte eine urologische Ursache schnell ausgeschlossen werden. Stattdessen stellten die Ärzte beim Ultraschall fest, dass ein Aneurysma im Bauch geplatzt war. Not-OP. Und zwar eine, die das Carolus-Krankenhaus ganz neu durchführt: Bislang haben Chirurgie-Chefarzt und Gefäßspezialist Nils Walther und sein Team zwar bereits Aneurysmen operiert, aber noch nicht bei einer geplatzten Bauchschlagader. So war der nächtliche Notfall Rolf Zimmermann der Erste in der Geschichte des Carolus-Krankenhauses, der daran operiert wurde. „Dies sind mit die kompliziertesten Operationen, die ein Gefäßchirurg leisten kann“, sagt Walther.

Er erläutert, wie dramatisch eine geplatzte Bauchschlagader ist: „90 Prozent der Patienten sterben daran, denn wenn ein Bauchschlagaderaneurysma, also eine Erweiterung an einem Gefäß, platzt, läuft das ganze Blut in die freie Bauchhöhle.“ Ein Drittel der Patienten sei innerhalb einer Minute tot, ein weiteres Drittel stirbt, noch bevor der Notarzt kommt. „Von denen, die es bis ins Krankenhaus schaffen, überleben zehn Prozent.“ Beruhigend ist da wohl, dass so etwas sehr selten passiert. Von etwa 20 Fällen pro Jahr müsse man grob geschätzt für das Einzugsgebiet Görlitz rechnen. Vor allem Männer über 50 sind betroffen. Genau zu dieser Personengruppe zählt auch Rolf Zimmermann. Der 64-Jährige zog erst im Jahr 2009 nach Löbau. Vorher wohnte er in Ostfriesland. Mit seiner Ehefrau lebe er nun glücklich und zufrieden in der sächsischen Stadt, wie er der SZ erzählte. Auch seine zwei Kinder sind froh, dass die Operation so positiv ablief.

Vorher spürte er keinerlei Symptome. Ansonsten hätte man den Patienten möglicherweise auch anders behandeln können. Denn wenn man Erweiterungen an Gefäßen rechtzeitig feststellt, muss nicht zwangsläufig operiert, aber regelmäßig kontrolliert werden. „Alles, was unter fünf Zentimetern bleibt, ist wenig gefährlich“, so Nils Walther. „Es sei denn, man stellt fest, dass es sehr schnell größer wird, dann operieren wir auch kleinere Aneurysmen. Aber jedes Aneurysma kann platzen.“ Und dann wird es dramatisch. Hauptproblem ist, schnell zu erkennen, was los ist. Aber das ist schwer, denn der Patient klagt oft nur über Bauch- oder Rückenschmerzen. Im Krankenhaus wird deshalb ein CT oder ein MRT gemacht – eine Untersuchung im Computertomographen oder per Magnetresonanztomografie.

Aneurysmen können sich überall bilden. „Platzt eines im Kopf, kann dies das Gehirn schädigen“, erklärt Walther. In den Beinen sind eher Embolien eine Gefahr, wenn Gefäße Beulen bilden. Der Bauch bleibt die lebensgefährlichste Variante. Umso stolzer ist Nils Walther, dass er innerhalb von vier Jahren – 2012 wechselte er vom Städtischen Klinikum ins St. Carolus – die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, auch Aneurysmen an der Bauchhauptschlagader operieren zu dürfen. Denn dafür galt es, die Qualitätssicherungs-Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma eines Bundesausschusses umzusetzen.

So muss das Krankenhaus unter anderem eine Intensivstation haben. Die Hälfte der Schwestern, die dort arbeiten, müssen Fachschwestern für Intensivmedizin sein. „Außerdem wurden die Anästhesie- und OP-Schwestern oder Pfleger noch zusätzlich durch mich für die neuen Aufgaben geschult, sie haben so etwas ja noch nicht gemacht“, sagt der Chefarzt. Zudem müssen mindestens zwei Gefäßchirurgen am Haus arbeiten, von denen einer immer Bereitschaft hat. Vier Jahre lang war Nils Walther, der auch Ärztlicher Direktor des St. Carolus-Krankenhauses ist, der einzige Gefäßchirurg. Doch er bildete in dieser Zeit seinen polnischen Kollegen Dawid Hadasik zu eben solchem aus. „Mit seinem Abschluss haben wir nun alle Voraussetzungen erfüllt und konnten loslegen.“ Doch so einfach das klingt, es ist eine Höchstleistung. Allein beim ersten Patienten Rolf Zimmermann dauerte die OP etwa vier Stunden. „Das geht nur im Team und dafür muss jedes Glied in der Kette gut ausgebildet sein“, betont Nils Walther. „Der Anästhesist kämpft genau wie wir die ganze Zeit um das Leben des Patienten. Schließlich verliert solch ein Patient Unmengen Blut.“

Aber was genau wird gemacht? Es gibt zwei Möglichkeiten, erklärt der Spezialist: Im offenen Verfahren legt man das Aneurysma frei und ersetzt das geschädigte Stück meist durch eine rohrförmige Prothese. Im endovaskulären Verfahren wird eine Stentprothese eingeführt, die sich im Inneren des Gefäßes entfaltet. „Beide Methoden sind möglich“, sagt Nils Walther, „Bei jedem Patienten wägen wir ab, wie wir ihn bestmöglich versorgen können“.

Dass Rolf Zimmermann ins St. Carolus kam, wo es gerade erst grünes Licht für Fälle wie ihn gegeben hatte, ist purer Zufall. Auch das Städtische Klinikum oder das Krankenhaus in Bautzen operieren geplatzte Bauchschlagadern. „Weggeschickt hätten wir ihn auch vorher nicht, er hätte den Transport in ein anderes Krankenhaus sicher nicht überlebt“, sagt Nils Walther.

Überglücklich ist jedenfalls Zimmermann, der, wie Nils Walther sagt, „bei völligem Wohlbefinden“ entlassen werden konnte. Der Patient aus Löbau will nun seinen zweiten Geburtstag feiern. „Das Team um Chefarzt Walther war sofort bereit und hat großartige Arbeit geleistet“, sagt er. „Viele glückliche Zufälle und das besonnene Handeln der Ärzte haben mir das Leben gerettet.“ (mit rw)