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„Der Krebs hat andere Gründe“

Die Grünen bringen das Stahlwerk in Zusammenhang mit der vergleichsweise hohen Zahl an Krebsfällen in Riesa. Das ist falsch, sagt der Feralpi-Chef.

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© Lutz Weidler

Riesa. Mit einer provokanten These hatte eine Grünen-Politikerin in Riesa für Aufsehen gesorgt. Die vergleichsweise hohe Zahl an Krebsfällen in der Stadt habe auch mit dem Stahlwerk zu tun. Die SZ sprach dazu mit Feralpi-Werksdirektor Frank Jürgen Schaefer und Mathias Schreiber, dem Leiter Umwelt- und Strahlenschutz im Werk.

Mathias Schreiber ist als Leiter Umwelt- und Strahlenschutz bei Feralpi in Riesa tätig. Der Umweltingenieur lebt mit seiner Familie nahe Riesa.
Mathias Schreiber ist als Leiter Umwelt- und Strahlenschutz bei Feralpi in Riesa tätig. Der Umweltingenieur lebt mit seiner Familie nahe Riesa. © Lutz Weidler

Herr Schaefer, Herr Schreiber, die Grünen erwecken mit einer Kleinen Anfrage im Landtag den Eindruck, Feralpi sei für die relativ hohe Zahl von Krebsfällen in Riesa mitverantwortlich. Können Sie das nachvollziehen?

Schaefer: Überhaupt nicht. Nach den aktuellsten uns vorliegenden Informationen und Gutachten gibt es keinen messbaren Einfluss durch das Stahlwerk auf die Krebserkrankungen in Riesa.

Schaut man in die Statistik, gibt es aber in Riesa tatsächlich mehr Krebserkrankungen als in anderen Städten des Landkreises ...

Schaefer: Das stimmt. Das hat aber andere Gründe: So ist das Durchschnittsalter in Riesa deutlich höher als in allen anderen Gemeinden des Landkreises. Und mit steigendem Alter steigt auch das Risiko an, an Krebs zu erkranken.

Schreiber: Laut Experten steigt die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ab einem Alter von 60 Jahren deutlich an. Wenn man aussagekräftige Zahlen über Krebserkrankungen haben will, muss man die Zahlen ins Verhältnis zum Alter der Bevölkerung setzen, also eine Altersstandardisierung vornehmen. Dieser Aspekt fehlt in der aktuellen Diskussion völlig.

Laut Statistischem Landesamt war der Riesaer 2015 im Durchschnitt 51 Jahre alt, der Radebeuler nur 46,4. Woran könnte das aus Ihrer Sicht liegen?

Schaefer: Man muss sich doch nur die Entwicklung der vergangenen Jahre anschauen: Während Riesa Jahr für Jahr Einwohner verloren hat, ist Radebeul um mehrere Tausend gewachsen. Und wer zieht weg? Im Regelfall die jungen, gesunden, dynamischen Leute.

Dennoch ist es unbestreitbar, dass bei der Stahlherstellung gesundheitsgefährdende Stoffe anfallen, oder?

Schaefer: Das ist so. Allerdings haben wir allein in den Jahren 2005 bis 2015 45 Millionen Euro für Umweltschutz und Arbeitssicherheit investiert – etwa für Maßnahmen zur Lärmminderung, Entstaubung, Emissionsminderung und für die Verbesserung der Energieeffizienz.

Schreiber: Bei der jüngsten Kapazitätserweiterung im Stahlwerk gab es ein fast 300-seitiges Gutachten. Aus dem ging hervor, dass es selbst bei Kapazitätserweiterung und maximaler Produktion von 1,4 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr und der Ausschöpfung aller zulässigen Emissionswerte keine messbaren Auswirkungen auf die Krebsrate in Riesa geben würde. Tatsächlich schöpfen wir die Grenzwerte aber nicht aus, sondern liegen aktuell nur bei 10 bis 20 Prozent davon. Es ist völlig unklar, warum die Grünen in ihrer Anfrage allein den Namen Feralpi mit den Riesaer Krebsfällen in Verbindung bringen. Krebserkrankungen haben meist viele Ursachen, von denen nicht alle bekannt sind. Vielleicht gibt es weitere aussagekräftige Statistiken, die wir nicht kennen? Oder geht es hier nur darum, mit der allgegenwärtigen Angst vor Krebs Politik zu machen?

Schaefer: Wir haben die Grünen-Abgeordnete Katja Meier, von der die Anfrage ausging, zu einem Gespräch eingeladen, warten aber noch auf Antwort. Solche Einladungen gingen damals auch an ihre für Riesa zuständigen Vorgänger im Landtag, Johannes Lichdi und Eva Jähnigen – erfolglos.

Nun wird in Riesa seit 150 Jahren Stahl hergestellt. Wie hat sich dabei der Ausstoß von Schadstoffen entwickelt?

Schreiber: In den Spitzenzeiten der 70er gelangten pro Jahr 8 000 bis 9 000 Tonnen Staub nur über die damals 32 Schornsteine des Stahlwerkes in die Luft. Es gab noch keine wirksamen Entstaubungsanlagen. Dazu kamen zahlreiche diffuse Öffnungen. Damals wurde Asche und Teer aus den Abgaskanälen der Öfen und Gasgeneratoren von Hilfskräften oder Häftlingen per Hand rausgekratzt. Die Stoffe gingen direkt über die Haut in den Organismus – aber dadurch verursachte Sterbefälle hat keiner erfasst. Heute gelangen über die Kamine etwa drei Tonnen Staub pro Jahr nach außen, mit allen diffusen Quellen sind es etwa 20 bis 22 Tonnen pro Jahr. Das ist etwa nur ein Tausendstel der Menge aus DDR-Zeiten.

Wie steht es eigentlich um den Gesundheitszustand der Feralpi-Mitarbeiter?

Schaefer: Die AOK-Plus, bei der etwa zwei Drittel der Mitarbeiter versichert sind, wertet den Krankenstand und die Art der Erkrankungen regelmäßig für uns aus. Wir liegen bei den meisten Erkrankungen unter dem Branchen-Durchschnitt, sachsen- wie deutschlandweit. Die einzige Auffälligkeit ist, dass es immer wieder Freizeitunfälle gibt – meist durch Sport.

Schreiber: Jeder der 620 Mitarbeiter wird alle zwei Jahre durch unsere Betriebsärztin untersucht. Wenn da etwas auffällig wäre, würde man uns informieren. Schließlich sind unsere Mitarbeiter noch viel näher dran an den Emissionsquellen, als die Anwohner. Und auch wir wollen in 20 oder 30 Jahren gesund nach Hause gehen.

Gespräch: Christoph Scharf