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Der Freund der Vögel

Einst strömten Gäste aus Sachsen nach Usti, um Heinrich Lumpes Vogelpark zu besuchen. Der Zoo erinnert an das Erbe.

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Von Steffen Neumann

Breitmaulnashorn, Amur-Leopard und Seehunde sind die Stars im Zoo von Usti nad Labem (Aussig). Wer auf Exotik steht, kommt voll auf seine Kosten. Denn in dem Bergzoo nahe dem Stadtzentrum leben auch Kamele, Elefanten, Löwen, Giraffen, Orang-Utans, Zebras und ein Alligator. Es gibt Vogelkäfige und ein Reptilienhaus. Über 200 Tierarten sind hier zu Hause.

Doch die Tiere sind nicht die einzige Attraktion. Auf halber Höhe stoßen Besucher auf eine Burgruine. Vor allem Kinder trifft man hier. Für sie ist es schlicht die Zwergenburg. Wo sie kleine putzige Wesen vermuten, befindet sich der Ursprung des Zoos. Der verspielte Bau aus Tuffstein stand schon hier, als es die exotischen Tiere noch gar nicht gab.

Offiziell wurde der Zoo 1949 gegründet. „Dabei könnte sich der Zoo in Usti ohne Probleme als der älteste Tschechiens bezeichnen“, sagt Martin Krsek. Dieses Primat gebührt bisher dem 1919 eröffneten Zoo in Liberec (Reichenberg).

Die Anfänge des Zoos in Usti nad Labem jedoch gehen auf das Jahr 1908 zurück. Damals gründete der Metallhändler Heinrich Lumpe den nach ihm benannten Vogelschutzpark. Martin Krsek, der als Historiker am Stadtmuseum arbeitet, befasst sich schon lange mit der Vorgeschichte des Tierparks und trug dazu bei, dass ein Lehrpfad mit zehn Stationen über Lumpes Werk installiert wurde.

Doch das ist immer noch weithin unbekannt. Mitten in der Begeisterung für industriellen Fortschritt schlug Lumpe eine Schneise für den Vogelschutz. Für viele seiner Zeitgenossen tat er etwas völlig Unbegreifliches. Als das Grundstück nahe der Elbe und im Schatten des Marienfelsens als eines der letzten freien für Gewerbezwecke verkauft wurde, griff Lumpe zu und schuf daraus den ersten Vogelschutzpark Mitteleuropas.

„Lumpe ist ein Kind der industriellen Revolution. Er hat ihre Kehrseiten, ihre zerstörerischen Auswirkungen auf die Umwelt von klein auf miterlebt“, beschreibt Krsek Lumpes Persönlichkeit. Als er sich mit dem Vogelschutzpark einen Lebenstraum erfüllte, war er bereits 49 Jahre alt. Mitten in der schmutzigen Industriestadt schuf er auf fünf Hektar eine Oase der Ruhe für Vögel. Nein, keine Käfige entstanden hier, sondern Nistkästen, Futterhäuschen, viel Grün und viel Wasser. 1928 wurden 81 Vogelarten gezählt. Die ersten sechs Jahre war das Areal sogar für Besucher geschlossen. „Lumpe ging es in erster Linie um den Schutz der Vögel. Damit ist er ein Vorkämpfer für den Naturschutz“, sagt Historiker Krsek. Erst nach und nach ließ er Besucher in sein Reich. Am Ende siegte sein zweites Ziel, die Bevölkerung aufzuklären und zu bilden. Ab 1921 öffnete er das vergrößerte Areal für die Öffentlichkeit.

Damals stand die Felsenburg bereits. Die Heinrichsburg, wie sie hieß, diente nicht nur zu Lumpes Erbauung. Denn in dem Tuffstein befand sich eine Vielzahl an Löchern, Spalten und Röhren, die ideal zum Nisten waren. Von der Burg zweigte eine Grotte ab. Später ließ er einen steinernen Wald mit einem Rübezahl und einen künstlichen Teich anlegen und baute ein Lebkuchenhaus mit Hänsel und Gretel.

Schnell wurde Lumpes Park über Usti hinaus bekannt. Pro Jahr kamen über 60 000 Besucher. Dabei war der Park immer nur fünf Monate geöffnet. Denn im Winter und der Brutzeit gönnte Lumpe seinen gefiederten Freunden Ruhe. Viele Gäste kamen auch aus Sachsen. „Lumpe war ein Meister des Marketing. Er verbündete sich mit der Dampfschifffahrt, die täglich Hunderte Besucher aus Sachsen nach Usti brachte“, erzählt Krsek. Nach Lumpes Tod 1936 führte sein Neffe Alfred das Werk fort. Der Bruch kam mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Vogelschutzpark wurde sich selbst überlassen, das Gelände geöffnet. Erst Ende der 1940er-Jahre entstand ein kleiner Tierpark.

Heute ist von Lumpes Werk nur noch wenig zu sehen. Die Reste des steinernen Waldes lassen sich noch erahnen. Die Grotte dagegen wurde vor Jahren von einer Seite verschüttet und kann nicht betreten werden. Lediglich die Burg und den Teich gibt es noch. Doch der Zoo bemüht sich, das Erbe des Vogelschützers zu pflegen. Eine Gedenktafel erinnert an den Vogelschützer und neue Materialien wie eine DVD und eine Broschüre sind geplant. Aber auch inhaltlich knüpft der Zoo an Lumpe an. „Wir haben 100 Nistkästen aufgehängt, um Singvögel zu unterstützen“, sagt Vera Vrabcova vom Zoo Usti.

Ein weiterer Schritt soll ein gemeinsames Projekt mit dem Dresdner Zoo bringen. „Es soll den Lumpe-Park in Sachsen bekannter machen, aber auch helfen, historisches Material zu finden“, sagt Krsek, der auf persönliche Erinnerungen, Zeitungsausschnitte oder Fotos hofft. „Der Hauptgewinn wäre, wenn ein 1935 gedrehter Tonfilm über den Vogelschutz und den Park wieder auftauchen würde“, so der Historiker. Eines der Exemplare wurde Zeitzeugen zufolge noch in den 1970er-Jahren gezeigt, ist aber inzwischen verschollen.

Vielleicht hilft das größere Interesse an Lumpe ja auch, dass die Burg saniert und die Grotte wieder aufgebaut wird. Vor allem die kleinen Besucher des Zoos würde es sicher freuen.