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Der Braunbär von Kunnerwitz

Eine Wildtierkamera soll einen Bären bei Görlitz aufgenommen haben. Doch kann das stimmen?

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© privat

Von Constanze Junghanß

Der Kopf fehlt auf dem Bildausschnitt. Doch was sich da mit der Rückseite am Baum langstreckt, sieht aus wie ein Braunbär. Das Foto schickte Johannes Dittrich an die SZ-Redaktion. Drei Tage, nachdem er telefonisch der Zeitung von dem Bären erzählte. Das Bild sei in Kunnerwitz von einer Wildtierkamera aufgenommen worden, die er mit betreut. Dittrich habe Einheimische getroffen, „die den Bären wohl gesehen haben“, wie er schriftlich mitteilt. Und nennt dazu auch Namen. Den von Uwe Siegert und seinem Sohn.

Das ist der „Originalbär“.
Das ist der „Originalbär“. © Sandra Eigenheer

Der Kunnerwitzer kennt zwar die Stelle, wo die Wildkamera an einem Baum hing. Und ging, wie er erzählt, dort im Herbst gerne Pilze sammeln. „Von einem Bären habe ich aber bisher weder was gehört, noch gesehen“, sagt er. Uwe Siegert wundert sich: „Ich kenne den Mann überhaupt nicht.“ Zu einem Gespräch sei es nie gekommen.

Das allein aber muss alles noch nichts bedeuten. Immer wieder werden der SZ Fotos oder jüngst auch Videos angeboten, die auf den ersten Blick spektakulär sind. Ja, deren Echtheit sogar Experten auf den zweiten Blick nicht in Zweifel ziehen. So geschah es bei den Wölfen auf dem Waldweg im Görlitzer Umland, die sich dann doch als Aufnahmen aus Nordamerika herausstellten. Jetzt also ein Bär am Baum? Will da jemand „alternative Fakten“ an den Mann bringen, gar eine Fake-News?

Andererseits: Seit Wildtiere quer durch Europa wandern, ist fast alles möglich. Dass sich theoretisch ein Braunbär auch mal nach Ostsachsen verirren könnte, sei nicht völlig auszuschließen, erklärt Rüdiger Schmiedel, Geschäftsführer der Stiftung Bär mit Sitz in Leinefelde-Worbis. Es wäre möglich, dass durch so genannte Wildkorridore Bären von Tschechien oder Polen durchwandern. „Bären sind sehr flexibel.“ Der letzte wilde Braunbär in Sachsen wurde laut Auskunft des Görlitzer Senckenberg-Museums allerdings im August 1747 bei Stein an der Zwickauer Mulde getötet.

So recherchiert die Görlitzer SZ-Redaktion tagelang zum Braunbär, befragt Experten, Fotografen, trifft sich mit dem angeblichen Urheber vor Ort, um die alles entscheidende Frage zu beantworten: Kann das bei uns passiert sein? Zum Kamerabild selbst stellt Dr. Christian Düker vom Senckenberg-Museum Görlitz fest: „Auf dem Foto sieht man einen Braunbären in aufgerichteter Haltung mit dem Rücken an einen Baum lehnen.“ Die Aufnahme zeigt das Datum vom 13. November 2016. Ende Dezember schaute sich Dittrich das Material an, wie er sagt.

Neben fünf Wildschweinen und einigen Rehen sei da auch der Bär dabei gewesen. „Im ersten Moment dachte ich, das wäre ein Wildschwein.“ Der junge Mann zeigt der SZ sogar die Stelle in Kunnerwitz, wo das Bärenbild entstanden sein soll, lässt sich vor Ort fotografieren. Der Weg führt einige hundert Meter übers Feld neben der Apfelplantage vom Stadtgut. Mehrere Rehe springen in naher Sichtweite davon und verschwinden durch ein Loch im Zaun, der das Waldstück umfriedet.

Wildschweine haben die Erde umgepflügt. Eine Wildkamera gibt es nicht. „Die wurde an neuer Stelle angebracht“, gibt Dittrich Auskunft. Auf die Anwesenheit eines Bären weist aber nichts hin. Das ist merkwürdig. Denn Bären-Experte Rüdiger Schmiedel sagt eindeutig: „Wenn ein Bär an einem Baum markiert hätte, würde man Fellreste finden. Solche Spuren am Baum würden noch monatelang zu entdecken sein.

Ebenso ungewöhnlich: Die Wildkamera soll nur dieses einzige Bärenbild aufgenommen haben. Solche Fotofallen registrieren mit dem Bewegungssensor die Aktivitäten. Und da müssten eigentlich mehrere Bilder zu sehen sein. Doch Johannes Dittrich bleibt zunächst dabei: Es gebe keine weiteren Aufnahmen als diese eine. Er bekräftigt mehrfach gegenüber der SZ: „Das Bild wurde nicht bearbeitet.“ Daran haben aber die Mitarbeiter vom Senckenberg-Museum Görlitz erhebliche Zweifel.

Die Aufnahme überzeugt sie keineswegs: „Auf dem Foto sind die Zehen auf dem Laub nicht sichtbar, das ist sonderbar. Die Füße wirken wie abgeschnitten. Die Fellübergänge an Bauch und Rücken wirken bearbeitet“, heißt es. Außerdem steht die Frage im Raum, weshalb die Wildkamera erst auslöste, als sich der Bär aufgerichtet hat. Die Anwesenheit eines solchen Tieres sei extrem unwahrscheinlich. Letztendlich könnten nur Genproben Gewissheit bringen.

Die Zweifel, die das Museum sät, sie sind begründet. Zu diesem Schluss kommt der Görlitzer Fotograf Nikolai Schmidt, der für die SZ im Einsatz ist. Im Internet findet er schließlich die Lösung: Es gibt die identische Aufnahme eines Bären auf einer Fotografie-Seite. Schmidt kann sogar nachvollziehen, wie das Bild entstand: Das Bärenbild wurde kopflos einfach in den Originalstandort in Kunnerwitz hineinkopiert. Die Aufnahme stammt tatsächlich vom 13. November. Einen Tag später wurde sie im Computerprogramm Photoshop geöffnet. Fehlende Spuren im Laub und verschwommene Bauchkonturen gehören mit zu den vielen eindeutigen Hinweisen auf eine Fotomontage.

Mit dem Originalbild konfrontiert meint Johannes Dittrich schließlich, das sehe dem Fotofallenbild ähnlich. Eine Manipulation der Wildtierkamera schließt er auch nicht aus. Hat also ein Unbekannter die Speicherkarte aus der Kamera geholt, das Foto zu Hause am Computer bearbeitet, einen Tag später wieder in den Wald gebracht? Ob sich da tatsächlich jemand solche Mühe machte, bleibt offen. Den Kontakt zum Jagdpächter, in dessen Auftrag er die Kamera ausgelesen habe, möchte Dittrich nicht herstellen. Auch nicht sagen, wer Waldeigentümer ist.

Als die SZ ihm schließlich das Ergebnis der Recherche mitteilt und ihm vorwirft, er habe eine mutmaßliche Fälschung als Original verkaufen wollen, findet das Dittrich „unverschämt“.* Warum er dieses Foto öffentlich machen wollte, darüber gibt er keine Auskunft. So aber ist der Bär entlarvt: als Fata Morgana mitten im Görlitzer Winter. (mit SZ/sb)

*Der Beitrag wurde um 21.38 Uhr aktualisiert. Herr Dittrich hat nicht bestätigt, dass es sich um eine Fälschung handelt.