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Der Blick zur Seite fehlt

Die NSU-Ermittler haben sich zu sehr auf das Trio konzentriert, kritisiert der Bundestag. Wer half den dreien?

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© dpa

Von Thilo Alexe

Mit einer Verschwörungstheorie räumt der Abschlussbericht des NSU-Ausschusses im Bundestag auf. Sie dreht sich um Patronenhülsen. Uwe Mundlos erschoss Uwe Böhnhardt stehend im Wohnmobil, danach richtete er die Waffe gegen sich. Die Hülse wird beim Nachladen ausgeworfen. Doch am Tatort in Eisenach liegt eine zweite. Wer hat nachgeladen? Die Toten können es nicht gewesen sein. Also ein unbekannter Dritter – womöglich von Polizei oder Verfassungsschutz? Nein. Die Hülse kann auch ausgeworfen werden, wenn die Waffe aus einer Höhe von mehr als zehn Zentimetern hart auf den Boden fällt. Dennoch wirft der rund 1 800 Seiten starke Bericht Fragen auf – auch für Sachsen, wo das Trio unter falscher Identität lebte.

Wie lebten die drei Rechtsextremisten im Alltag?

Nach ihrem Untertauchen 1998 versteckten sich die Jenaer Neonazis in Chemnitz, dann in Zwickau. 5030 Tage oder knapp 14 Jahre lebten Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe im Untergrund. Wohl gibt es Urlaubsbilder im Wohnmobil. Das Trio hatte auch Kontakte zu Nachbarn, die dessen wahre Identität nicht kannten. Aber: Es seien allenfalls „Ausschnitte dessen bekannt“, heißt es in dem Dokument, wie die drei ihren Alltag gestalteten. Unklar ist beispielsweise, wie sie ihren Lebensunterhalt bestritten. „Das Geld aus den Banküberfällen jedenfalls dürfte nicht ausgereicht haben.“ Bei 15 Raubüberfällen erbeutete der NSU rund 600 000 Euro. Davon können drei Menschen über den Zeitraum von 1998 bis 2011 kaum leben. Womöglich haben Böhnhardt und Mundlos weitere Überfälle begangen. Oder das Trio hat schwarz gearbeitet – bei einem Helfer? Zumindest sind in der Szene Spenden gesammelt worden.

Gab es eine bis heute nicht entdeckte Wohnung in Sachsen?

Diese Frage hat den Dresdner Untersuchungsausschuss ebenfalls umgetrieben. „Intensiv“, merken die Berliner Kollegen nach Zeugenvernehmungen von Ermittlern an, hätten der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt geprüft, ob der NSU womöglich noch eine Wohnung in Glauchau als Versteck nutzte. Grund ist der Wasserverbrauch. Der war in einem früheren Zwickauer Versteck des Trios „auffällig hoch“. Für die Wohnung in der Frühlingsstraße, die nach dem Tod der beiden Männer vermutlich von Zschäpe angezündet wurde, bezeichnen ihn die Ermittler als „auffällig niedrig“. Im Bericht findet sich der Hinweis auf den Anruf aus einer Telefonzelle in Glauchau auf das Festnetz in der Frühlingsstraße. Zudem wurden Böhnhardt und Mundlos dort häufiger gesehen. Alle Ermittlungen, eingesetzt wurde auch ein als Mantrailer bezeichneter besonderer Spurenhund, brachten keine weitere Erkenntnis. Falls das Trio dort eine Wohnung hatte, muss der damalige Vermieter Beobachtungen gemacht haben. Oder ist er selbst ein Unterstützer?

Wie viele V-Leute waren im Umkreis der Rechtsextremisten?

Das ist einer der dunkelsten Punkte in dem Bericht. Die Linke hat in ihrem Votum, das ebenfalls Teil des umfangreichen Dokuments ist, errechnet, dass das NSU-Trio und seine engsten Unterstützer von rund 40 V-Leuten der Geheimdienste und Länderpolizeien „quasi umringt waren“. Dass zehn Menschen bei einer großteils rassistisch motivierten Mordserie starben, hat offenbar niemand bemerkt. Oder keiner wollte etwas sagen. Bemerkenswert ist das Schicksal des V-Mannes „Corelli“. Er starb 2014 mit 39 Jahren einsam in seiner Paderborner Wohnung. Die Top-Quelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollte offenbar aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, erhielt dabei aber keine Unterstützung. „Corelli“ war gut vernetzt in Mitteldeutschland. Seine Daten finden sich in einer Telefonliste von Mundlos. Den Rechtsextremisten hat er 1995 und damit vor dem Abtauchen getroffen, mindestens ein Mal. „Corelli“ hatte auch Kontakte zu Anhängern der mittlerweile verbotenen Blood & Honour-Szene, die das Trio unterstützte. Wie nah der V-Mann „am Netzwerk des NSU aktiv war, lässt sich aufgrund von unzureichenden Ermittlungen“ nicht abschließend feststellen, bemängelt die Linksfraktion im Bundestag.

Wie stark war die Unterstützung

der Untergetauchten?

Das ist eine Kernfrage. Auf der sogenannten 129er-Liste sind diejenigen vermerkt, die Kontakt zum Trio, anderen Beschuldigten oder Angeklagten hatten. Das heißt nicht, dass die Betreffenden eingeweiht waren. Der Bundestagsuntersuchungsausschuss sieht jedenfalls – und das auch ohne direkte Bezugnahme auf die Liste – ein Problem bei der Ermittlungsarbeit. Diese sei nach dem Auffliegen des Trios zu sehr auf Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe fixiert gewesen. Der Blick, wie es heißt, „zur Seite“ sei nicht „in ausreichendem Maß vorhanden“ gewesen. Das gelte für eventuelle weitere Tatbeteiligte, Unterstützer und „gegebenenfalls weiter reichende Netzwerke“. Auch ein Bezug zur organisierten Kriminalität sei zu wenig geprüft worden.