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Der beste Freund des Schäfers

Helfen Pyrenäenberghunde gegen Wolfsrisse? In Sachsen wird das seit Jahren getestet – mit erstaunlichem Erfolg.

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© Ronald Bonß

Von Irmela Hennig

Diesen Anblick wird Schäfermeister Frank Neumann wohl nie vergessen. 27 gerissene Mutterschafe fand der Oberlausitzer am Morgen des 30. April 2002 auf seiner Weide vor. Wölfe hatten die Herde im Raum Schleife bei Weißwasser heimgesucht. Für den Landwirt, der inzwischen im Ruhestand ist, begann die Suche nach einer Lösung. Denn der Riss – auch wenn in der Dimension noch nicht erlebt – war schon damals kein Einzelfall. Seit 1998 ist Schleife Wolfsgebiet.

Vom bösen Wolf kann keine Rede sein. Dennoch leiden Landwirte unter seinem Appetit.
Vom bösen Wolf kann keine Rede sein. Dennoch leiden Landwirte unter seinem Appetit. © dpa

Zunächst behalfen Frank Neumann und sein Sohn sich mit Flatterband, das zum Zaun um die Weideflächen gespannt wurde. Das funktionierte tatsächlich, war aber „eine zusätzliche Belastung“ erinnert sich der Schäfermeister. Band und Halterung mussten jedes Mal mittransportiert und neu angebracht werden, wenn die Herde umzog. Über die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe und den Schweizer Experten Jean-Marc Landry kam der Schäfereibetrieb schließlich zum Herdenschutzhund. 2003 trat der erste Pyrenäenberghund seinen Dienst an. Anton hieß der.

Überforderte Wächter

Frank Neumann hatte zunächst Bedenken und bei der Anschaffung gezögert. Er fürchtete Probleme, wenn Spaziergänger mit ihren Hunden an seinen Herden vorbeilaufen sollten. Doch der Schweizer Fachmann konnte beruhigen. Und so arbeitete Frank Neumann bald mit zwei Herdenschutzhunden – je einer pro Herde. „Bis 2007 hat das gut funktioniert. Dann gab es wieder Übergriffe“, erinnert sich der Schäfermeister. Mal ein, mal zwei Schafe wurden gerissen. Nicht so viele auf einmal wie früher. „Und die Herde geriet auch nicht wie 2002 in Panik.“ Doch ein Hund wurde mit der zunehmenden Zahl von Wölfen nicht mehr fertig. Immerhin hatten in und um Schleife zu der Zeit schon vier bis fünf Rudel ihr Revier; heute seien es sieben. Frank Neumann setzte also zwei Hunde pro Herde ein. „Seitdem ist nichts mehr passiert“, sagt der Oberlausitzer, der den Betrieb an seinen Sohn abgegeben hat. Nach und nach ist er selbst zum Züchter von Herdenschutzhunden geworden. Auch auf Bitten des Freistaats Sachsen.

Inzwischen arbeiten mehrere sächsische Schäfereien mit Pyrenäenberghunden. Auch in Brandenburg wächst die Nachfrage. Auf dem Hof von Schäfer Knut Kucznik in Altlandsberg (Märkisch-Oderland) werden derzeit drei Monate alte Welpen für den Herdenschutz ausgebildet. „Sie lernen, dass Schafe ihre Freunde sind. Vom Instinkt her wissen sie bereits: Der Wolf ist ein Feind“, sagt Schäfermeister Kucznik.

Noch sind die Welpen in abgetrennten Bereichen im Stall und tollen herum. Zwischendurch beschnuppern die schon fast 30 Kilogramm schweren Hunde die Schafe. Die schieben sie dann lässig zur Seite. Für Frank Neumann aus Schleife sind die Schafe tatsächlich auch „Hundeausbilder“. Im Teenageralter würden manche Herdenschützer etwas zu heftig mit den Lämmern spielen. Dann gehen Mutterschafe dazwischen und korrigieren das Verhalten. Vom Menschen hingegen lassen sich die Hunde nur schwer lenken.

„Man sollte nicht versuchen, sie zu streicheln“, warnt denn auch Schäfer Knut Kucznik aus Brandenburg. „Hier geht es nicht um den Zeitvertreib für Hunde und Schafe“, sagt Kucznik, auch Vorsitzender des Landesverbandes Brandenburger Schäfer und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Herdenschutzhunde. „Die Hunde werden auf den künftigen Job auf der Weide vorbereitet.“ Und der heißt: die Herde vor Wölfen zu beschützen. In Deutschland sind Wölfe seit Ende der 1990er-Jahre wieder heimisch. In Sachsen leben derzeit zehn Rudel. Hinzu kommen weitere, die ihr Revier nur teilweise im Freistaat haben. In Brandenburg sind es nach Angaben des Umweltministeriums in Potsdam etwa 120 Tiere: elf Rudel, einige Paare und einige Einzelgänger. Seit 2007 sind nach Angaben des Ministeriums in Brandenburg pro Jahr zwischen 50 und 60 Schafe von Wölfen getötet worden. Brandenburg will den Ankauf der Schutzhunde finanziell unterstützen – sobald es dafür grünes Licht aus Brüssel gibt.

Sachsen ist da schon weiter. Die Anschaffung der Hunde wird zu 80 Prozent gefördert. Beantragt hat das laut Frank Meyer vom Umweltministerium aber noch niemand. Schäfer Frank Neumann aus Schleife wäre das auch nicht in den Sinn gekommen. Förderungen machen seiner Ansicht nach nur die Züchter reich. In Brandenburg koste ein Herdenschutzhund denn auch um die 3 500 Euro.

Für Neumann wäre es viel wichtiger, dass sich das Land an den Fixkosten für die Hunde beteiligt. Um die 1 000 Euro fallen jährlich für Futter, Impfungen und Weiteres an. Doch dafür, so bestätigt das Umweltministerium, gibt es kein Geld. Für den Förderverein für die Natur der Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft zwischen Bautzen und Niesky waren die Kosten ein Grund, auf die vierbeinigen Herdenschützer zu verzichten. Der Verein hatte zeitweilig mit bis zum sieben Schafherden Landschaftsschutz betrieben, hätte also 14 Hunde gebraucht. Außerdem hatten die Schäfer befürchtet, dass das Zusammenspiel von Hüte- und Herdenschutzhunden nicht funktionieren werde, so Annett Hertweck vom Verein.

Frank Neumann aus Schleife meint zudem, dass die Pyrenäenberghunde nicht überall eingesetzt werden können. Wenn eine Herde zu nahe an bewohntem Gebiet steht und viele Menschen, Katzen, Hunde vorbeikommen, würden die Herdenschützer ständig bellen. Möglicherweise die Nacht durch, weil sie eben genau das tun – potenzielle Angreifer, also eigentlich Wölfe, verbellen.

Längst gibt es darum andere Alternativen oder Experimente. Einige Schafzüchter setzen Esel zur Bewachung ihrer Herden ein. In der Schweiz und Frankreich laufen Projekte mit Lamas. Der World Wide Fund for Nature (WWF) in Deutschland empfiehlt Hunde in Kombination mit Elektrozäunen. Das habe sich als am wirksamsten erwiesen. Dennoch – hundertprozentigen Schutz gibt es nicht.

2015 wurden in Sachsen bei 56 Vorfällen insgesamt 140 Nutztiere nachweislich oder höchstwahrscheinlich durch Wölfe getötet, elf sind vermisst, 17 Tiere wurden verletzt. Nur bei 18 Vorkommnissen waren die Tiere nicht beziehungsweise unzureichend geschützt. (mit dpa)