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Das Schöne am Pflücksalat

In den Gartenmärkten nicht nur in Dresden herrscht Hochbetrieb. Und so mancher Pflanzenkauf gibt ungeahnte Einblicke in familiäre Verhältnisse.

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© Ronald Bonß

Von Karin Großmann

Wenn Fuchsien lächeln könnten, würden sie es jetzt tun. So viel Aufmerksamkeit bekommen sie nicht gleich wieder. Jeder Topf wird in Augenhöhe gedreht, wirklich jeder. Das gehört beim Pflanzenkaufen zum Ritual. Schließlich sieht man Balkonpflanzen von allen Seiten. Wer keine Gärtnerei in der Nähe hat, kauft im Großmarkt. Der kleine weiße Hund im Wagen freut sich über die Extratour.

Qual der Wahl: Frau Höppner sucht noch ein kräftiges Rot für ihre Terrasse. Da könnte Klematis passen. Bloß welche?
Qual der Wahl: Frau Höppner sucht noch ein kräftiges Rot für ihre Terrasse. Da könnte Klematis passen. Bloß welche? © Ronald Bonß
Rundfahrt mit Hund: Frauchen geht inzwischen auf die Jagd nach Pflanzen.
Rundfahrt mit Hund: Frauchen geht inzwischen auf die Jagd nach Pflanzen. © Ronald Bonß
Es muss nicht immer ein Zwerg sein: Gartenzutaten sind Geschmackssache.
Es muss nicht immer ein Zwerg sein: Gartenzutaten sind Geschmackssache. © Ronald Bonß
Fit für den Topf: Ein paar Kräuter finden immer noch Platz auf dem Balkon.
Fit für den Topf: Ein paar Kräuter finden immer noch Platz auf dem Balkon. © Ronald Bonß

So fröhlich sind nicht alle. Vielleicht ist die Frau zu früh in den Kreisverkehr eingebogen oder der Mann hat vergessen zu blinken, jedenfalls haben sie schlechte Laune, als sie aus dem Auto steigen, und das können andere ruhig hören. Die zwei Mittfünfziger in Jeans und Steppjacken sind nicht allein auf dem Parkplatz. Seit Tagen warten Balkonurlauber und Gartenbesitzer darauf, dass es losgeht. Manchen kribbelt es regelrecht in den Fingern. Menschen fühlen sich gern geerdet. Nicht zufällig kürte Thüringens Umweltministerin den Gartenboden zum Boden des Jahres 2017. Das Fach Schulgarten steht dort im Lehrplan.

Bei einigen Nachbarn blühen die Geranien längst im Kasten. Profis warten die Eismänner ab und halten sich an die Bauernregel: Pflanze nie vor der Kalten Sophie. Also ab diesem Montag, je nach Kalender. Die jungfräuliche Märtyrerin gilt als Schutzheilige bei Nachtfrost. Doch auch eine Heilige kann nicht überall sein.

Großer Wagen oder kleiner Wagen? Da kann sich das streitende Paar überraschend schnell einigen. Er will noch mal bei den Brettern gucken, und sie gibt nach. Man kauft sowieso meistens mehr als gedacht. Irgendwas geht im Beet immer ein. Wühlmäuse, Schnecken und der Dickmaulrüssler dürften den Winter gut überstanden haben. Schön für sie, aber „eine Falle schlägt sie alle“, behauptet die Werbung. Die kniehohe Steinschnecke für knapp 150  Euro geht hoffentlich rein in die Falle. Windlichter sind übrigens „die Lieblinge im Outdoorbereich“.

Doch da hat das Paar schon den Tunnelblick aufgesetzt. Auf kürzester Strecke voran auf der Pflanzenrallye. Jeder will der Erste sein beim Salatblatt. Sorgsame Jungväter lassen den Nachwuchs manchmal mitfahren. Nimm bitte die Füße hoch, Annika! Der blühende Berg im Wagen ist für die Terrasse gedacht, weil Vater was für die Bienen tun will. Weil sie doch ums Überleben kämpfen.

Der gemeinsame Pflanzenkauf im Frühjahr ist die eigentliche Bewährungsprobe für eine Familie. Es ist kein Wunder, dass Leipzig, Dresden und Zwickau die meisten Scheidungen in Sachsen verzeichnen. Städter pflanzen einfach zu wenig – sie üben den Kompromiss nicht. Petersilie glatt oder kraus? Minze mit Schokogeschmack oder ohne? Biodill oder Normaldill? Wer da mit dem Tauziehen anfängt, kriegt das Kraut nie in die Erde. Dann klingt es, als würde hinter den Kübelstapeln ein Loriotfilm gedreht. Nun sag du doch auch mal was! Der Mond steht gerade gut für die Möhren.

Bis zur Grünzeugabteilung liegt neben Gummistiefeln, Gießkannen und Grillzangen manches im Weg, was man gern hätte, aber leider nicht brauchen kann. Allein im Katalogsortiment Gartenfreizeit führt ein Markt wie Hornbach 3 766 Artikel. Da sind die Stühle mitgezählt. Stuhl ist das falsche Wort. Lounge-Möbel heißt das, setzt allerdings ein Gartengrundstück von der Größe einer Flugzeugwartehalle voraus und Menschen, die lieber fern in der Sonne lümmeln, statt nah am Kompost zu häckeln.

Offenbar ist Rattan immer noch Mode. Oder schon wieder? Die ersten Designer dachten an Palmen und Miami, denn Sehnsucht gilt als mächtiger Kaufantrieb. Inzwischen wird das Geflecht aus Kunststoff gemacht und tut nur so wie Natur. Wer einmal in Shorts darauf sitzt, kann das Muster im Oberschenkel noch lange haben. Die Kissen bitte in Sonnenuntergangsfarben. Sonst aber gilt für Stühle wie für die Mode: Man zeigt wieder Bein. Es kann auch ein Holzbein sein.

Das Mittfünfziger-Paar schiebt mit dem Wagen vorbei. Das heißt: Er schiebt, und sie geht nebenher, so wird das in den nächsten anderthalb Stunden bleiben. An jeder Ecke steht ein Mann mit Wagen und wartet und langweilt sich und weicht immer mal einem rollenden Holzstoß aus. Dabei heißt doch die Großmarktregel: lange Bretter zuletzt! Unter den Kunden gilt die klassische Rollenverteilung plötzlich nicht mehr: Hier macht sie den Jäger. Sie späht, sie schlägt zu, sie schleppt die Beute herbei. Und über jedes Töpfchen wird diskutiert. Wollten wir nicht was in Gelb? – Du immer mit deinem Gelb. – Aber voriges Jahr hatten wir doch … – Eben. Es muss ja nicht immer gleich aussehen. – Ach, du suchst wohl die Abwechslung?!

Sie verschwindet gekränkt zwischen den fahrbaren Regalen und kommt lange nicht wieder. Er sucht inzwischen Neuigkeiten auf seinem Smartphone. Kaum zu glauben, dass Menschen früher ohne solche Geräte ihre Balkons und Beete bestückten. Nicht mehr lange, und der Boden teilt seinen Humusgehalt digital mit und was da passenderweise wächst. Nur Unkrautzupfen muss er noch üben.

Ein junger Mann gibt gerade eine Pflanzenbeschreibung durch. Nein, ruft er ins Handy, da ist kein Rosa drin, alles nur Weiß. So was haben wir voriges Jahr der Tina geschenkt. Ich schick’s dir mal. Er fotografiert den Jasmin und bekommt offenbar das Einverständnis von der anderen Seite der Leitung. Der Jasmin wurde in Herzform dressiert. Manche Frauen mögen Dressurakte, jemand muss ja „Fifty Shades f Grey“ lesen.

Wer seine Pflanzen allein kauft, muss sich zwar nur mit sich selbst einigen, hat es aber nicht leichter. Die Zauberglöckchen zum Beispiel wechseln dreimal die Farbe an einem Topf. Eine ältere Frau sortiert diese Minipetunien. Sie holt drei Pflanzen aus dem Regal, die vorwiegend rot blühen, betrachtet sie gründlich, schafft sie zurück, holt drei Pflanzen mit mehr Blüten in Lila, schafft auch diese zurück, hebt andere hoch, steht unschlüssig, fragt eine Frau, die genauso herumsucht, ob die Petunien viel Sonne vertragen. „Im Herbst ist man immer klüger.“ Was für eine weise Antwort.

Hatten wir schon das Wort Blütenmeer? Geranien gehen am besten. Sie halten jedes Wetter aus und nehmen auch lässiges Gärtnern nicht übel. In Gelb sind Geranien eine Rarität. Die beiden Mittfünfziger haben sich inzwischen von dieser Farbe verabschiedet. Er steuert den Wagen durch den Gegenverkehr, vorbei an den Kletterpflanzen, wo sich gerade ein anderes Paar beraten lässt. Das ist eben so, sagt die Verkäuferin, Klematis macht oben viel Wind und kahlt unten aus. Dort kann man aber etwas Flaches hinsetzen. „Klematis will einen schattigen Fuß.“ Es werden dann die Füße von Hopfen, Wein und Geißblatt erörtert. Eine Rothaarige sagt, dass sie einen flachen Stein auf den Wurzelbereich legt. Sie hat etliche Nelkenbüsche im Korb, drei zitternde Tomatenpflanzen, zwei Beutel Vogelfutter und liebäugelt nun mit einer purpurfeuernden Klematis. Jede Blüte ein Kunstwerk. Und auch die Rückseite perfekt. Zufrieden nimmt die Rothaarige die Pflanze mit – und hofft, dass sie alles gut nach Hause bringt mit ihrem Fahrrad.

Pflanzenkauf ist nichts für Entscheidungsfeiglinge. Und da ist von den zwölf Dutzend verschiedenen Stäben noch gar nicht die Rede, mit deren Rankhilfe sich jedes Abflussrohr nett begrünen lässt. Das verbessert nicht nur die Optik, sondern schützt auch vor Hagelkörnern. Der Lautsprecher im Gartenmarkt fordert dazu auf, diesen Monat eine Terrasse zu bauen.

Jetzt taucht auch die Frau in Jeans und Steppjacke wieder auf. Sie trägt Eisenkraut heran, kleine Blüten in Rot. Schlenker nicht so, sagt er. Ich schlenker ja gar nicht, sagt sie. In anderen Familien herrscht stressfreie Arbeitsteilung. Die Frau bestimmt, was drin wächst, und der Mann bestimmt, was draußen wächst.

Die Mittfünfziger diskutieren, wie viel Eisenkraut sie wohl brauchen werden. Wahrscheinlich gibt es nur diese beiden Mentalitäten. Die einen lassen sich vom Angebot inspirieren und planen die Bepflanzung vor Ort. Das sind die, die im Supermarkt jede Joghurtpalette umheben; es könnte ja noch einen mit Heidelbeergeschmack geben. Wir könnten einen Busch links vor die Garage setzen, sagt er. Lass mich dir doch auch mal was sagen! Auf diese Weise trägt mancher am Ende einen halben Wald weg. Andere Gartenfreunde arbeiten streng den handgeschriebenen Speisezettel ab. Sie ziehen ihre eigene Schmiege aus der Aktentasche, um die Balkonkästen zu vermessen, und schauen weder nach links noch nach rechts.

Das ist die Chance für einen kleinen Jungen. Er nähert sich so betont unauffällig lächelnd einem Apfelsinenbäumchen, dass es erst recht auffällt. Er wird als Dieb kaum Karriere machen. Später beult sich seine rechte Anoraktasche deutlich aus. Seine Mutter sammelt inzwischen alles ein, was blasslila blüht. Schnittlauch ist mit dabei.

Die Gemüsepflanzen und Gewürze wohnen in einem eigenen Viertel. Ein Käufer sucht dringend nach Pflücksalat. Eine Angestellte erklärt, dass Salate in der Regel zum Pflücken gedacht sind. Aber der heißt extra so, beharrt der Mann und sagt: „Das Schöne am Pflücksalat ist nämlich, dass er nicht schießt.“

Jedes Basilikum wird an einem gewöhnlichen Einkaufstag ungefähr hundertmal beschnuppert. Man mag sich gar nicht hineinversetzen. Dabei ist Basilikum doch die Seele der mediterranen Küche, genauso wie Salbei und Rosmarin. Eine Küche kann viele Seelen haben. Leise streiten die beiden Mittfünfziger über die richtige Gurkensorte. Offenbar kennen sie sich aus. Für einen Laien ist der Unterschied zwischen Snackgurke und Brotzeitgurke nicht sofort erkennbar. Vermutlich wurde eine in Bayern gezüchtet. Regionale Produkte haben natürlich Vorrang.

Die Gurkenpflanze wird dann doch nicht gekauft, und das Eisenkraut wird ins Regal zurückgebracht. Die beiden in Jeans und Steppjacke scheinen sich ohne viel Worte auf Bergenien einigen zu können: Diese gelten als treu, zuverlässig, anpassungsfähig, vielseitig und unkompliziert. Genau das Richtige für eine Partnerschaft.