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Das Motiv liegt noch im Dunklen

Nach der mutmaßlichen Tötung auf Verlangen im Erzgebirge setzt die Polizei am Montag ihre Spurensuche auf dem Gelände der Pension fort.

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© kairospress

Von Susanne Sodan, Thomas Schade und Alexander Schneider

Von der Betriebsamkeit der vergangenen Tage ist nichts mehr zu spüren. Das Großaufgebot der Polizei hat eine Pause eingelegt. Nur ein halbes Dutzend Beamte bewacht die Pension, in der sich vor einem Monat ein unfassbares Verbrechen abgespielt hat. Detlev G., Mitinhaber der Herberge und Polizist im sächsischen Landeskriminalamt (LKA), hat hier am 4. November einen 59-jährigen Mann getötet. Am Mittwoch wurde der 55-Jährige festgenommen und hat bereits gestanden, Wojciech S., einen Unternehmer aus Hannover, auf dessen Wunsch hin getötet zu haben. G. zeigte den Beamten auf seinem Anwesen Stellen, wo er Leichenteile vergraben habe.

Betreten verboten: Der Tatort – eine Pension im Gimmlitztal – ist weiträumig abgesperrt.
Betreten verboten: Der Tatort – eine Pension im Gimmlitztal – ist weiträumig abgesperrt. © kairospress
Dezenter Hinweis für Eingeweihte: Das Bild mit den Regenbogenfarben an der Haustür ist Symbol der Schwulen- und Lesbenbewe- gung. Fotos: kairospress
Dezenter Hinweis für Eingeweihte: Das Bild mit den Regenbogenfarben an der Haustür ist Symbol der Schwulen- und Lesbenbewe- gung. Fotos: kairospress © kairospress
Mit auffälligen Zeichen haben die Ermittler die Fundorte auf dem Grundstück markiert. Am Wochenende ruhte die Spurensuche, heute wird weitergegraben.
Mit auffälligen Zeichen haben die Ermittler die Fundorte auf dem Grundstück markiert. Am Wochenende ruhte die Spurensuche, heute wird weitergegraben. © kairospress
Das Opfer: Wojciech S. Foto: privat
Das Opfer: Wojciech S. Foto: privat

Der bizarre Mordfall im Osterzgebirge

In diesem Haus in Reichenau betreibt der mutmaßliche Täter eine Pension.
In diesem Haus in Reichenau betreibt der mutmaßliche Täter eine Pension.
Offenbar tötete der LKA-Beamte hier den 59-Jährigen aus Hannover.
Offenbar tötete der LKA-Beamte hier den 59-Jährigen aus Hannover.
Der mutmaßliche Täter hat in einer Vernehmung darauf hingewiesen, den Mann im Garten vergraben zu haben.
Der mutmaßliche Täter hat in einer Vernehmung darauf hingewiesen, den Mann im Garten vergraben zu haben.
Im Garten fanden Polizisten tatsächlich Leichenteile des Opfers.
Im Garten fanden Polizisten tatsächlich Leichenteile des Opfers.
Der Garten wird komplett umgegraben.
Der Garten wird komplett umgegraben.
Ein Beamter auf Spurensuche.
Ein Beamter auf Spurensuche.
Die Pension, aus der Luft fotografiert. Das Grundstück liegt abgeschieden im Osterzgebirge.
Die Pension, aus der Luft fotografiert. Das Grundstück liegt abgeschieden im Osterzgebirge.
Die Pension wurde zum Tatzeitpunkt renoviert. Daher bleib der Mord zunächst offenbar unbemerkt.
Die Pension wurde zum Tatzeitpunkt renoviert. Daher bleib der Mord zunächst offenbar unbemerkt.
Polizeibeamte auf dem komplett abgeriegelen Grundstück.
Polizeibeamte auf dem komplett abgeriegelen Grundstück.
Im Internet hatten sich das spätere Opfer und der mutmaßliche Täter kennengelernt. Das Portal "Zambian Meat" gilt als Seite, auf der sich Menschen mit kannibalistischen Neigungen austauschen und verabreden.
Im Internet hatten sich das spätere Opfer und der mutmaßliche Täter kennengelernt. Das Portal "Zambian Meat" gilt als Seite, auf der sich Menschen mit kannibalistischen Neigungen austauschen und verabreden.

Von den Grabungen ist jetzt wenig zu erkennen. Eine dünne Schneeschicht überzieht das Gimmlitztal bei Reichenau im Osterzgebirge. Polizisten lassen niemanden durch. Es kommt aber auch kaum jemand vorbei. Die Fußspuren entlang des rot-weißen Polizeiabsperrbandes rund um das Grundstück stammen von Journalisten. Ein Fernsehteam befragt Nachbarn und erhält immer gleiche Antworten, dieselbe Ratlosigkeit: Detlev G., der dort mit seinem Lebenspartner lebte, sei ein lieber, netter Kerl. Niemand hätte ihm eine solch abscheuliche Tat zugetraut. Manch einer fürchtet, dass künftig mehr Schaulustige als Wanderer das einsame Tal heimsuchen könnten.

Die Spurensuche vor der Pension wird heute fortgesetzt. Noch kann niemand sagen, wie lange die Grabungen andauern – und auf was die Ermittler der „Sonderkommission Pension“ möglicherweise noch stoßen. Hat Detlev G. tatsächlich Menschenfleisch gegessen, so wie es der Getötete von ihm verlangt haben soll?

Nach und nach werden sich die Kriminalisten auch das Gebäude mit den vielen Zimmern vornehmen, vor allem die Kellergewölbe, in denen die Tat nach bisherigen Ermittlungen stattfand. Auch das Messer, mit dem Detlev G. den Mann getötet hat, hoffen die Beamten zu finden. Es ist wichtig, um das Teilgeständnis des Beschuldigten zu überprüfen. Parallel dazu durchforsten Polizisten G.’s Computer, seine Mails, besuchte Internet-Seiten, Telefonate nach Hinweisen für sein Motiv. Dazu nämlich schweigt der 55-Jährige.

Heimliches Verlangen war bekannt

Wojciech S. ist ein gebürtiger Pole und lebte seit Langem in Hannover. Der Unternehmensberater vermittelte mit seiner Firma vor allem Fernfahrer an Speditionen. 2011 kandidierte er für die CDU im Regionalparlament. Doch obwohl es ihm offenbar gelungen ist, seine dunkle Seite in der Öffentlichkeit und vor Bekannten zu verbergen, war er bei der Online-Suche nach seinem heimlichen Verlangen unvorsichtig. „Das alles geht schon ganz lange. Wir haben seine Computerprotokolle, kennen seine Chateinträge“, zitiert heute die Hannoversche Allgemeine Zeitung Michael L., den Geschäftspartner des Toten. Er hatte ihn am 11. November vermisst gemeldet.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Detlev G. wegen Mordes zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes. Der Hauptkommissar ist Schriftgutachter des Kriminaltechnischen Instituts im LKA. Seit Donnerstag sitzt er in Untersuchungshaft. Sein Verteidiger Endrik Wilhelm sagt, eine sexuelle oder gar kannibalistische Obsession seines Mandanten entspreche nicht dem gegenwärtigen Ermittlungsergebnis. „Ich möchte den Respekt für den Wunsch des Getöteten, der sterben wollte, in den Mittelpunkt rücken. Dass es sein freier Wille war, bezweifelt nicht einmal die Staatsanwaltschaft“, so Wilhelm. Sollte es ein weiteres Motiv seines Mandanten gegeben haben, würde das am freien Willen des Getöteten nichts ändern. „Wenn überhaupt, ist es ein Fall von Tötung auf Verlangen.“ Das wäre strafbar, sei aber etwas völlig anderes als Mord. Die Staatsanwaltschaft jedoch beabsichtige, den Beamten zum Mörder zu machen. Im Fall eines Mordes spielt der Wunsch des 59-Jährigen keine Rolle mehr. „In einen Mord kann man nicht einwilligen“, sagt Wilhelm.

Die Ermittler der „Soko Pension“ stehen auch vor der Frage, ob es sich um eine Nachahmungstat handelt. Parallelen zum Tötungsverbrechen des Armin Meiwes, der als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt ist, deuten sich zumindest an. Meiwes hatte am 9. März 2001 einen Berliner Diplom-Ingenieur getötet und Körperteile seines 43-jährigen Opfers gegessen. Er wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt.