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Das Geheimnis des Böhmischen Winds

In der Sächsischen Schweiz pfeift es regelmäßig. Wetterexperten bauen deshalb eine besondere Messstation.

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© SZ/Uwe Soeder

Sächsische Schweiz. Tschechien hat viele Reize. Bier, Gulasch und Knödel lauten die bekannten Exportschlager. Die verbindet jeder mit dem Nachbarland. Und der Wind. Böhmischer Wind, um genauer zu sein, mit dem es sich eigentlich wie mit dem Bier verhält. In Maßen ist der Luftzug aus dem Süden durchaus bekömmlich. Aber wehe, der Böhmische Wind dreht richtig auf. Mit bis zu 80 Sachen pfeift der durch die Sächsische Schweiz und die Oberlausitz, hat mancherorts sogar schon Laster von der Straße gefegt und Windmühlenflügel demoliert.

Die Tücken des Böhmischen Windes beschäftigen seit je her die Menschen in Ostsachsen – und nicht zuletzt auch die Meteorologen. Im Wetterbericht im Fernsehen warnen sie nicht selten an der Wetterkarte mit sorgenvoller Mine und viel Gefuchtel im deutsch-tschechischen Grenzgebiet vor neuen Kapriolen. Und damit das noch besser klappt, rüstet nun der Deutsche Wetterdienst (DWD) auf. In der Nähe von Bautzen wollen die Fachleute eine neue Messstation errichten. Die Erste, die allen voran Daten zum Böhmischen Wind erfassen soll.

Modernste Technik auf dem Acker

Bereits seit einigen Jahren waren die Experten auf der Suche nach einem passenden Standort. Ihre Wahl fiel schließlich auf Denkwitz. Ein Dörfchen, zu erreichen über eine schmale Straße, die von der B 96 abzweigt. Die Großpostwitzer Ortschaft liegt gewissermaßen in der Einflugschneise des Böhmischen Windes, der zwischen Czorneboh und Mönchswalder Berg hindurch in Richtung Bautzen pfeift. Beste Bedingungen, wie Gerold Weber, der Leiter der Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes in Leipzig, sagt. Außerdem viel freies Feld, wenig Bäume, nicht zugebaut. In den nächsten Monaten will der Freistaat im Auftrag des DWD mit der Errichtung der Messanlage beginnen. Die ist äußerlich wenig spektakulär. Ein zehn Meter hoher Mast, der am Rand eines Feldes aufgestellt wird. „Die Messung des Windes in zehn Meter Höhe ist ein üblicher Standard“, erklärt Gerold Weber. Das Herzstück sitzt am oberen Ende. Drei kleine Antennen, die es in sich haben. Zumeist wird der Wind bisher mit einem sogenannten Schalenkreuz erfasst – eine Art Windrädchen mit kleinen Kellen am Ende. In Denkwitz funktioniert das künftig mit Ultraschall.

Wenn der Wind durch die kleinen Antennen hindurch pfeift, treffen die Luftmassen dort auf die Ultraschallwellen. Je nachdem, wie schnell die Luft hindurch strömt, verändern sich die Schallwellen. Das wird über die Technik in den kleinen Antennen genau registriert. Aus den Veränderungen heraus lassen sich wiederum die Geschwindigkeiten des Windes ableiten. Ein Prinzip, das so unter anderem auch bei der Gasindustrie angewandt wird, um möglichst exakt zu ermitteln, wie viel des Brennstoffs durch eine Pipeline strömt.

Die moderne Technik bietet laut Gerold Weber klare Vorteile gegenüber den herkömmlichen Gerätschaften: „Die Schalenkreuze können vereisen, dann müssen Techniker ausrücken, um sie wieder in Gang zu bringen.“ Ohnehin ist der personelle Aufwand mit der neuen Anlage in Denkwitz eher gering. Die Messwerte müssen nicht vor Ort ausgelesen werden. Die Anlage sendet sie automatisch nach Offenbach, wo in der Zentrale des Wetterdienstes alle Daten gespeichert werden. Gerold Weber und seine Kollegen in Leipzig können dann jederzeit darauf zugreifen.

Damit das überhaupt funktioniert, mussten bei der Suche nach dem Standort auch entsprechende Kriterien berücksichtigt werden. In der Oberlausitz weht zwar stetig ein zügiger Wind – umgekehrt herrscht in Sachen mobiles Datennetz aber oft Flaute. Und nicht zuletzt braucht es in der Nähe ein Stromkabel, das sich anzapfen lässt. All das war in Denkwitz vorhanden. Die Entstehung des Böhmischen Windes ist für die Fachleute längst kein Rätsel mehr. Immer dann, wenn über dem im von Gebirgen und Hügelketten umschlossenen böhmischen Becken ein Hochdruckgebiet liegt, herrscht westlich und nördlich davon Tiefdruck. Dabei entsteht eine Ausgleichsströmung vom hohen zum niedrigen Luftdruck. In den Hochdruckzentren bildet sich eine Inversion – es gibt eine Sperrschicht zwischen kalter Luft am Boden und warmer darüber. Ein Phänomen, das gerade im Winter sehr ausgeprägt auftreten kann. Bläst der Wind dann über die Grenzgebirge in Richtung Deutschland, bricht die kalte Luft als Fallwind in die angrenzenden Täler ein. In der Oberlausitz pfeift es stets besonders – weil die Hügelketten hier weniger geschlossen sind als anderswo.

Entsprechend können die Wetterexperten das Auftreten des Böhmischen Windes bereits recht gut vorhersagen – und bei Bedarf Warnungen ausgeben. „Wir werden dann künftig immer gleich wissen, wie gut die Vorhersagen waren“, so Gerold Weber. Doch nur allein darum geht es nicht. Denn auf Basis der gesammelten Daten wollen die Meteorologen ihre Vorhersagemodelle für die gesamte Region noch verbessern. Komplizierte mathematische Algorithmen bilden dabei die Grundlage eines selbstlernenden Verfahrens per Computer – das letztlich die Vorhersagen verbessern soll. Wie nötig diese Vorhersagen sind, hatte ein Unfall 2012 gezeigt. Eine Böe hatte auf der B6 bei Bautzen einen Lkw erfasst und in den Straßengraben gewirbelt. Der Laster war nicht beladen und bot mit seinem Aufbau für den Böhmischen Wind eine perfekte Angriffsfläche. Der Schaden summierte sich damals auf über 30 000 Euro.