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Das Ende der Asylkrise im Landkreis Meißen?

So plötzlich, wie die Erstaufnahmeeinrichtungen eröffnet wurden, so plötzlich schließen sie wieder. Aber was kommt danach?

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© Norbert Millauer

Von Dominique Bielmeier

Meißen. An der Fachhochschule der sächsischen Verwaltung ist man ein wenig überrumpelt von der Meldung: Die Hochschule des Freistaats erfuhr – genau wie die Öffentlichkeit – erst am vergangenen Donnerstag davon, dass ihr Studentenwohnheim in Meißen-Bohnitzsch nicht mehr länger als Asyl-Erstaufnahmeeinrichtung gebraucht wird. Bis zum 30. Juni sollen insgesamt 14 solcher Notunterkünfte in ganz Sachsen geschlossen werden, auch die Standorte im Meißner Kynastweg (eine frühere Staatsanwaltschaft) und der ehemalige Niederauer Real-Markt werden verschwinden. Das teilte das sächsische Innenministerium überraschend mit. Grund seien die anhaltend niedrigen Flüchtlingszahlen. Die drei Heime im Landkreis waren zuletzt kaum noch mit Asylbewerbern belegt. Das Ministerium setzt nun vermehrt auf die Unterbringung in den drei großen Städten Chemnitz, Leipzig und Dresden.

„Wir freuen uns über die positive Nachricht“, sagt Christine Skokan, Pressesprecherin der Hochschule, auf eine Anfrage der SZ. Aktuell gebe es aber noch keinerlei Absprachen beziehungsweise Festlegungen zum weiteren Verfahren. Dafür kam die Ankündigung einfach zu spontan.

Was wird aus dem Mietvertrag?

Freude auch beim Meißner Oberbürgermeister: Sprecher Philipp Maurer lässt ausrichten, dass Olaf Raschke (parteilos) die Entscheidung des Ministeriums begrüße. „Eine Stilllegung der Einrichtungen für die Erstaufnahme in der Stadt ist angesichts der Maßgabe einer wirtschaftlich nachhaltigen Betreibung überaus sinnvoll.“

Ähnlich sieht es auch Niederaus Bürgermeister Steffen Sang (parteilos). In seiner Gemeinde steht die von der Kapazität her größte Erstaufnahmeeinrichtung im Kreis mit Platz für bis zu 800 Menschen. Gegen das Heim im ehemaligen Real-Markt wurde sogar eine Petition an den Landtag verfasst. Etwa 2 000 Bürger hätten sie laut Sang unterschrieben. Die CDU-Landtagsabgeordneten Daniela Kuge unterstützte die Petition. Mit dem Entschluss des Ministeriums seien die Forderungen der Bürger nun im Prinzip erfüllt, erklärt der Bürgermeister.

Als der stillgelegte Real-Markt zur Erstaufnahme wurde, seien die Ängste der Menschen sehr groß gewesen, so Sang, „teilweise aus Unwissenheit“. Das Bündnis Niederau hilft habe – egal ob mit Radtouren oder Häkelkursen – dazu beigetragen, dass es in der Gemeinde ruhig blieb.

Sang hat die Hoffnung, dass seine Gemeinde mit dem freiwerdenden Markt die Infrastruktur wieder verbessern könne. Zuvor hatte sich der Einzelhandel in Niederau praktisch auf den Real konzentriert – der bereits weit vor der Ankunft der Asylbewerber schloss. Sang will nun unter anderem die Wirtschaftsförderung der Region mit ins Boot holen, „um da was hinzubekommen“. Und noch etwas macht Grund zur Freude: Die Anmietung eines weiteren Gebäudes in Niederau, ehemals Kik, für die Unterbringung von Asylbewerbern durch den Landkreis ist vorerst vom Tisch.

Meckern auf Facebook

Trotzdem bleibt ein Problem mit dem Asylheim in Niederau: der Mietvertrag. Der wurde nach SZ-Informationen auf viele Jahre geschlossen. Über die genauen Details schweigt die Landesdirektion Sachsen, da „Vertraulichkeit über alle Vertragsinhalte vereinbart“ worden sei, so Pressesprecher Holm Felber. Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement (SIB) strebe zum Objekt in Niederau aber Verhandlungen mit dem Vermieter an, „mit dem Ziel einer vorzeitigen Vertragsbeendigung“, und prüfe parallel die Möglichkeiten einer Nachnutzung, beispielsweise für Lagerzwecke.

Beim Umbau zum Asylheim sei auch Geld für den Einbau von Sanitär- oder Klimaanlagen ausgegeben worden, erklärt Bürgermeister Sang. Er hält es deshalb für möglich, dass die Einrichtung noch bis Jahresende für die Unterbringung von Asylbewerbern vorgehalten wird. Tatsächlich spricht das Innenministerium davon, dass spätestens Ende des Jahres „eine nochmalige Überprüfung und Anpassung des Unterbringungskonzeptes vorgesehen“ ist und „mittelfristig variable Kapazitäten im Stand-by“ vorgehalten werden. Allerdings handelt es sich dabei um Einrichtungen in Chemnitz, Dresden, Leipzig, Meerane und Rötha. Das Innenministerium geht aktuell von einem Bedarf an rund 9 600 Unterbringungsplätzen aus, weitere 4 700 Plätze sollen „als kurzfristig aktivierbare Reserve (Stand-by) vorgehalten werden“.

So oder so – für den Landkreis habe die Entscheidung des Ministeriums aktuell keine großen Auswirkungen, erklärt Sprecherin Kerstin Thöns der SZ, „denn wir haben als Verwaltung dort keine Verpflichtungen“. Alle Aufgaben würden über die Landesdirektion vergeben und kontrolliert. Auf Facebook macht Thöns dann aber doch ihrer Verärgerung Luft: Die organisatorischen wie personellen Aufgaben der Schließung seien ausschließlich Angelegenheit des Freistaates. „Darum ist es unverständlich, warum die Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) wohl bei Facebook auf den Landkreis Meißen bei der Lösung der Personalfragen verweist.“ Den freiwerdenden Mitarbeitern sei geraten worden, sich im Landratsamt Meißen zu bewerben. „Doch der Landkreis hat seine eigenen Strukturen zur Unterbringung beziehungsweise Integration aufgebaut und schreibt seine Stellen öffentlich aus.“ Da weniger Asylbewerber kommen, bestehe auch weniger Bedarf an Personal. Deshalb fordert Kerstin Thöns: „Die Lösung muss der Freistaat liefern!“

Keine Asylbewerber auf dem Land

Bewerben muss sich nun auch Hassan Messlem. Der Asylbewerber aus dem Libanon ist unter anderem als Dolmetscher beim DRK angestellt. Durch die Schließung der Erstaufnahmeeinrichtungen verliert nicht nur er seine Stelle. Den großen Andrang der Asylsuchenden, vor allem im August, September des vergangenen Jahres – als teilweise innerhalb von 24 Stunden Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden mussten –, konnte das DRK mithilfe der Zusammenarbeit der hauptamtlichen Kräfte und von rund 14 000 Ehrenamtlichen gut bewältigen, so Sprecher Torsten Wieland. „Aber wir mussten das natürlich in mittelfristig feste Strukturen überführen – da haben wir in Größenordnungen befristet einstellen müssen.“

Mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen werde jetzt auch das Personal wieder zurückgefahren: Befristete Stellen laufen aus, teilweise wurde die Möglichkeit zur Weiterbildung gegeben oder Perspektiven beim DRK aufgezeigt. „So versuchen wir, die Härte für den Einzelnen ein Stück weit aufzufangen“, so Wieland. „Aber dass das Flüchtlingsthema ein endliches ist, das haben wir immer offen kommuniziert.“ Und falls das Thema doch wieder akut werden sollte, zum Beispiel indem sich neue Fluchtrouten öffnen? Dann hat das DRK bereits genug Erfahrungen gesammelt. Personal wird vorgehalten, die Stand-by-Einrichtungen sind bekannt. Der Innenminister spricht von einem „Fahren auf Sicht“, Wieland ergänzt aber: „Es wäre fahrlässig zu sagen, wir verschließen jetzt die Augen.“