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Das bedrohte Wunder vom Teufelsstein

Das „Stonehenge“ der Lausitz könnte bald verloren gehen, weil eine wachsende Halde die Sonne verdeckt.

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© SZ/Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Gleich geht es los. Ralf Herold hält den Atem an. Gleich wird die Sonne untergehen und am Horizont verschwinden. Und nur in diesem kurzen Moment, und auch nur in diesen Tagen um den Herbstanfang, wird sie durch diesen schmalen Felsspalt scheinen. Genau jetzt!

Auch am Teufelsstein bei Pließkowitz hat er das Sonnen-Phänomen entdeckt.
Auch am Teufelsstein bei Pließkowitz hat er das Sonnen-Phänomen entdeckt. © SZ/Uwe Soeder

Was für ein zauberhafter Augenblick. Ralf Herold ist begeistert. Immer wieder aufs Neue ist er das, wenn er hier oben auf dieser kleinen Anhöhe vor dem Teufelsstein steht. Mit dem Teufelsstein von Pließkowitz nämlich hat es eine ganz besondere Bewandtnis: Der Felsen bei Bautzen könnte den Menschen in prähistorischer Zeit als eine Art Kalender gedient haben. Herold, von Beruf Garten- und Landschaftsbauer mit eigener Firma und Heimatforscher aus Leidenschaft, ist überzeugt davon, dass das so war. Seit Jahren beschäftigt er sich mit diesem Phänomen, hat mit Gleichgesinnten an der Sternwarte in Sohland/Spree die Arbeitsgruppe Archäoastronomie gegründet.

Die Felsen am Teufelsstein sind exakt so aufgetürmt, dass die Sonne in den Tagen um die Tagundnachtgleiche, also jeweils zum Herbst- und zum Frühlingsanfang, beim Auf- und Untergang genau durch das Felsentor scheint. Ralf Herold ist fest davon überzeugt, dass das kein Zufall ist. „Das kann nur das Werk von Menschenhand sein“, sagt der 56-Jährige. Der Teufelsstein ist dabei nur eins von reichlich 30 derartigen Objekten, die die Archäoastronomie-Enthusiasten inzwischen in der ganzen Oberlausitz entdeckt haben – Felsengebilde, die seit Tausenden von Jahren die Tagundnachtgleichen oder die Sommer- und Wintersonnenwenden anzeigen und unsere Ur-Ur-Ahnen auf diese Weise durch die Jahreszeiten wiesen.

Wissenschaftlich belegt werden kann Herolds Annahme nicht. „Wir haben keine Funde und Nachweise darüber, dass diese Steine tatsächlich von Menschen in dieser Absicht aufgetürmt wurden“, sagt Cornelia Rupp vom Sächsischen Landesamt für Archäologie. „Das heißt aber nicht, dass wir das grundsätzlich anzweifeln – es lässt sich aber eben nicht beweisen.“ Für Ralf Herold sind seine Beobachtungen Beweis genug. Und mag das Phänomen auch umstritten sein: Potenzial hat es allemal. Die Arbeitsgruppe hat ein Konzept entwickelt, wie diese Oberlausitzer Stonehenge-Steine für den Tourismus in der Region werben könnten. „Der Sonnenzauber existiert ja“, sagt Ralf Herold, „und wer möchte, kann ihn Jahr für Jahr mit eigenen Augen ansehen.“

Das aber scheint jetzt nach Tausenden von Jahren auf dem Teufelsstein in Gefahr. Denn die Anhöhe mit dem Felsen liegt direkt über dem großen Pließkowitzer Steinbruch der Pro Stein GmbH. Genau in der Richtung, in der die Sonne zum Herbstanfang untergeht, wächst am Horizont die Abraumhalde. Vielleicht ist sie schon im nächsten Jahr so hoch, dass die Sonnenstrahlen den Felsen nicht mehr erreichen können. „Dann wäre dieser magische Augenblick für immer verloren“, sagt Herold.

Ohnehin ist der Steinbruch längst dabei, dem magischen Ort seine Romantik zu rauben. Alles hier oben ist in grauen Steinstaub gehüllt, Staubwolken trüben den Blick und von unten dröhnt der Lärm der Steinbrecher herauf. 400 000 Tonnen Granodiorit pro Jahr werden in Pließkowitz abgebaut, zersägt und zermahlen – für Beton- und Asphaltmischungen, für Mauer- und Pflastersteine und vieles mehr. Das Geschäft mit Baumaterialien boomt, der Steinbruch wird immer mehr erweitert.

Schon lange klagen die Anwohner über Lärm und Staub, über wachsenden Schwerlastverkehr und die Erschütterungen, wenn gesprengt wird. In diesem Sommer hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die verhindern will, dass der Steinbruch weiter wächst. Auch der bedrohte Sonnenzauber auf dem Teufelsstein steht auf der Liste ihrer Argumente. Pro-Stein-Geschäftsführer Jens Gering allerdings will das nicht gelten lassen. Bis vor drei Wochen, sagt er, sei ihm das Problem Teufelsstein gar nicht bekannt gewesen. Und jetzt, da er darum weiß, geht er auch davon aus, dass es eine Lösung gibt, bei der die historisch relevanten Sichtachsen erhalten bleiben. „Wir lassen diese Fakten gerade von unserem Ingenieurbüro prüfen und werden sie gegebenenfalls nachträglich in unseren Planungen berücksichtigen“, sagt Gering.

Überm Teufelsstein ist mittlerweile die Sonne untergegangen. Ralf Herold hat den Zauber mit der Kamera festgehalten. „Bei gutem Wetter sollte es die nächsten zwei, drei Tage noch möglich sein, das Phänomen zu sehen“, sagt er. Und er hofft, dass das auch im nächsten und in den folgenden Jahren noch so sein wird.