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Das Autograb im Steinbruch

Ein 40-Jähriger hat gut von Geschäften mit gestohlenen Autos gelebt. Der Prozess gegen ihn zeigte, wie das System funktionierte.

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© Robert Michael

Von Alexander Schneider

Der Angeklagte hat wohl erwartet, dass er eine ordentliche Packung bekommt. Regungslos lauscht er der Urteilsverkündung im Landgericht Dresden. „Acht Jahre und sechs Monate“, sagt der Vorsitzende Richter Herbert Pröls gestern Mittag. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar zehn Jahre Haft gefordert, die Höchststrafe für gewerbs- und bandenmäßige Hehlerei.

„Jan Havrila war der größte Autohehler im Norden der Tschechischen Republik“, sagte Staatsanwalt Thomas Hellmich und untermauerte damit seine Maximalforderung. Der 40-jährige Tscheche aus Usti nad Labem sei über zwei Jahrzehnte im Geschäft, das Aufkaufen gestohlener Autos, das Zerlegen und der Verkauf der Einzelteile seine einzige Einnahmequelle. „Ohne Hehler keine Diebe“, sagte Hellmich zur herausragenden Rolle des sehr smart wirkenden Mannes mit dem einnehmenden Lächeln. Ein Anzug steht ihm wohl besser als ein Blaumann. Der Tscheche gilt als sehr bestimmt und durchsetzungsstark. Noch aus dem Gefängnis heraus soll er einem Kronzeugen Gewalt angedroht haben, damit der nicht weiter gegen ihn aussagt. Im Prozess hatte sich Havrila zu keinem der Vorwürfe geäußert.

In seinem Steinbruch in Usti hatte Havrila mit seinen Mitarbeitern Hunderte Autos ausgeschlachtet. Er wurde kontinuierlich von verschiedenen Banden im Großraum Usti beliefert, die für gutes Geld unentwegt Autos, meist Skoda-Modelle, in Tschechien und Deutschland stahlen. Darunter war auch die „Krokodil-Bande“, deren Anführer im Juni zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, auch am Landgericht Dresden.

Die Vorgehensweise war stets dieselbe, so das Gericht. Die gestohlenen Autos habe man zunächst einen Tag stehen gelassen, um sicher zu sein, dass sie nicht geortet werden. „Auskühlen“, sagen Autoknacker dazu. Anschließend hätten sie ihre Beute an Havrila geliefert. Sein Steinbruch sei ideal – ein riesengroßes Gelände an der Elbe, von außen praktisch nicht einsehbar, also bestens geschützt, so Richter Pröls.

Geschützt wurde das kriminelle Treiben offenbar auch von tschechischen Ermittlungsbehörden. Zeugen der tschechischen Polizei berichteten, dass spätestens seit 2006 bekannt gewesen sein musste, was in dem Steinbruch passiert. Doch Havrila wurde nicht angerührt, er soll über beste Beziehungen zu Polizei und Justiz verfügt haben – selbst jetzt in der Untersuchungshaft habe er vieles schnell erfahren, was nicht für seine Ohren bestimmt war. Auch mancher Polizist habe sich in Havrilas Steinbruch Autoteile besorgt.

Der 40-Jährige habe nicht schlecht von seinen Geschäften gelebt, so Pröls. Ein neues Anwesen an Ustis Elbhang mit Tennisplatz und überdachtem Pool habe er bar bezahlt. Schicke Autos, Immobilien, Geldanlagen. Seit April 2014 ist Schluss damit.

Ein Kleinkrimineller, Mitglied der Krokodil-Bande, meldete sich 2013 als Kronzeuge, als er erneut auf frischer Tat festgenommen worden war. Mitarbeiter einer Einheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus Prag und Beamte des Landeskriminalamts Sachsen ermittelten ohne Wissen der Polizei in Böhmen.

Im April 2014 nahmen sie Havrilas Privatanwesen und den Steinbruch auseinander. In monatelanger Kleinarbeit konnten sie die Beute 170 Fahrzeugen zuordnen – rund 100 waren in Tschechien gestohlen worden, die übrigen in Sachsen, vor allem in Dresden und Umgebung. Havrila wurde verhaftet und an die sächsische Justiz ausgeliefert. Seitdem arbeitet sich die Justiz an ihm ab. Im Winter wurde er wegen Hehlerei von vier Autos am Amtsgericht Dresden zu drei Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die übrigen Autos – 50 – folgten im Juni in Prozess Nummer zwei bei Richter Pröls.

Dass Jan Havrila „nach seinen eigenen Gesetzen lebt“, wie es Staatsanwalt Hellmich formulierte – ein typisches Merkmal für organisierte Kriminalität –, belegen auch Taten, die er in der Untersuchungshaft in Dresden begangen haben soll: Mit illegalen Handys habe er Kontakt zu seiner Frau gehalten, damit sie das Hehlergeschäft weiterführt.

Die Polizei überwachte jedoch das Telefon der Ehefrau. Am 23. Juni, eine Woche vor Prozessbeginn, fand die zweite Durchsuchung im Steinbruch statt. Wieder entdeckten die Beamten Teile gestohlener Autos. Zwei verdächtige Männer wurden verhaftet, Havrila nach Leipzig verlegt und unter besondere Beobachtung gestellt.

Neben den beiden Dresdner Urteilen drohen ihm weitere Verfahren in Tschechien. Der umtriebige Hehler wird wohl länger von der Bildfläche verschwinden.