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Dann eben Dreirad

Wie zwei Motorradfahrer aus Ostsachsen nach schweren Unfällen die Freude an ihrem Hobby wiederfanden.

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© Robert Michael

Von Andreas Rentsch

Der Crash, den Christian Lehmann am Abend des 7. Juni 2011 erlebt, passiert in dem Moment, da er ihn nicht erwartet. Mit Tempo 50 tuckert der Maschinenbediener auf seiner Suzuki durch Nardt, einen Nachbarort von Hoyerswerda. Die Fahrbahn ist trocken. Trotz der geringen Geschwindigkeit trägt es ihn in einer Kurve weit raus. Sein Versuch, den Fahrfehler zu korrigieren, sei zu spät gekommen, sagt der 35-Jährige. „Ich bin mit dem Vorderrad über den Bordstein geknallt und hatte nicht mal mehr Zeit, die Karre wegzuschmeißen.“

Die Brüche und sonstigen Verletzungen, mit denen Lehmann ins Krankenhaus eingeliefert wird, sind so schwerwiegend, dass den behandelnden Ärzten keine andere Wahl bleibt: Sie amputieren den Unterschenkel. Nach einem Monat beginnt ihr Patient mit der stationären Rehabilitation. Als Endzwanziger muss er neu laufen lernen – mit einer Prothese.

Unpassendes Vorführmodell

Das Thema Motorrad scheint sich für alle Zeiten erledigt zu haben. Doch nach einigen Jahren juckt es den jungen Invalidenrentner wieder. Die Frage ist nur: Was geht noch? Mehrmals leiht sich Lehmann Quads aus. Doch so richtig begeistern können ihn die vierrädrigen Spaßmobile nicht. Dafür kommt ihm Ende 2015 eine andere Idee: Bei einem Motorradhändler in Cottbus sieht er ein Trike der Marke Can-Am. Bei dem Vorführmodell vom Typ Spyder, das zwei Räder auf der Vorderachse und nur ein Hinterrad hat, gibt es allerdings ein Problem: die Schaltung. Gänge müssen per Fußpedal auf der linken Seite gewechselt werden. Dort, wo bei Christian Lehmann die Prothese sitzt.

Ob es dieses Bike auch mit handicaptauglicher Automatik gibt? Gedanklich legt er das Thema erst einmal zu den Akten. Anderthalb Jahre später beginnt er dann doch wieder im Internet zu recherchieren – und landet schließlich bei der Firma Funride Company in Radebeul. Deren Inhaber, Alf Mellmann, ist der einzige autorisierte Spyder-Händler in Sachsen. „Anfang April habe ich eine erste Probefahrt unternommen“, erzählt Lehmann. Kurz darauf macht er mit Mellmann den Kaufvertrag fix. Über 20 000 Euro lässt er sich sein altes, neues Hobby kosten.

Der 46-jährige Torsten Krohn aus Lohsa fährt ein fast baugleiches Modell – eine F3 „Special Series“. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mir mal so ein Ding leiste“, sagt der hagere Mann mit der Armprothese an der rechten Schulter. Ursprünglich habe er mal ein Motorrad für sich umrüsten wollen. „Letztlich ist mir das aber zu gefährlich. Du kannst sagen, was du willst: Das Gleichgewicht ist nicht mehr dasselbe.“

Krohn leidet schon mehr als die Hälfte seines Lebens an den Folgen eines Unfalls, bei dem er auf einer weißen Fahrbahnmarkierung ausgerutscht ist. Zahlreiche Operationen und Reha-Maßnahmen konnten nicht verhindern, dass der eine Arm unbrauchbar geworden ist. Erst im Mai 2015 habe er sich für eine Amputation entschieden, sagt Krohn. „War die beste Entscheidung meines Lebens. Der Arm hing ja nur noch so dran, war halb steif und kälteempfindlich, tat immer weh.“

Sein neues, 115 PS starkes Dreirad steuert der gelernte Maurer mit dem linken Arm. Gänge wechselt er per Knopfdruck mit der linken Hand, für Brems- und Gaspedal ist der rechte Fuß zuständig. Die Umbaukosten in vierstelliger Höhe hat die Berufsgenossenschaft übernommen. Schließlich gilt der tragische Sturz im Herbst 1993 als Wegeunfall – also als Fahrt von der Arbeitsstelle nach Hause. In diesem Fall haben Betroffene Glück im Unglück und können auf finanzielle Hilfe hoffen, wenn es darum geht, die eigene Mobilität zu erhalten. Kämpfen müsse man darum trotzdem, sagt Torsten Krohn. „Man kriegt nichts geschenkt.“

Auf die Frage, ob er schon große Touren plant, zuckt er mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich muss schnell die ersten 1 000 Kilometer runter kriegen.“ Denn das, so sagt er mit vielsagendem Grinsen, sei jetzt am wichtigsten. „Die Maschine ist ja noch gedrosselt.“ Erst bei vierstelligem Tachostand wird das Höchsttempo nicht mehr elektronisch auf 120 Stundenkilometer begrenzt. Wenn er dann den Gasgriff bis zum Anschlag dreht, kann Krohn mit 190 über die Autobahn brettern. Er wird keine Probleme haben, seinen Biker-Kumpels auf zwei Rädern zu folgen.

Mut für Schicksalsgenossen

Christian Lehmann will es ruhig angehen lassen. „Ich habe mir ein Kennzeichen ausgesucht, das mich an jenen Tag erinnert, an dem ich ins Leben zurückgekehrt bin“, sagt er. „Die Zahlenkombination wird mich immer mahnen: Es hätte auch anders kommen können.“

Um Menschen zu helfen, die ähnliche Schicksalsschläge erlebt haben, beteiligt sich Lehmann seit 2016 ehrenamtlich an einem Projekt, das sich „Peers im Krankenhaus“ (PiK) nennt und unter der Schirmherrschaft des Arztes und Kabarettisten Eckart von Hirschhausen steht. „Wir sollen Botschafter sein und zeigen: Es geht weiter! Lass dich nicht hängen!“, erklärt Lehmann. Dass jemand wie er die Chance bekommen hat, sein Hobby fast genauso wie vor dem Unfall auszuüben, könne anderen Beinamputierten doch Mut machen, hofft er.

Biken trotz Handicap

Bekanntester Anbieter von Motorrad-Umbauten ist Willi Költgen aus Krefeld. Ebenfalls renommiert: Zweiradtechnik Kostner aus Nabburg.

Handicap-taugliche Trikes gibt es von Can-Am, aber auch von AK-Trike oder Rewaco. Die Firma Fuchs ist Spezialist für Honda-Goldwing-Trikes.

Eine Adresse für Quad-Fahrer mit Handicap ist die Firma Exeet in Nordrhein-Westfalen.

Ein Internetforum für behinderte Motorradfahrer wird von Oliver Decker aus Mering (Bayern) betrieben:

www.biker-mit-handicap.de