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Crystal statt Alkohol

Fast 1 300 Mittelsachsen sind wegen Alkoholsucht in Behandlung - auch viele Jugendliche suchen die Beratungsstellen auf. Auffällig ist, das immer mehr von illegalen Drogen Äbhängige auf die Volksdroge umsteigen.

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© dpa

Von Maria Fricke

Döbeln. Über drei Promille hatte eine 29-Jährige im Blut, als sie kürzlich von einem Autofahrer umherirrend an der Naundorfer Straße (S 36) bei Naundorf in der Gemeinde Striegistal entdeckt wurde. Zuvor war sie noch Auto gefahren. „Solche Menschen sind in der Regel an den Konsum von Alkohol gewöhnt“, sagt Claudia Hofmann, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Gesundheitsamt Mittelsachsen. Jeder andere wäre bei ähnlichen Promillewerten kollabiert. Wer regelmäßig viel Alkohol trinke, bei dem könne es zu Problemen beim Abbau des Stoffes in der Leber kommen. Der Körper gewöhnt sich an einen gewissen Pegel, der immer weiter ansteige, erklärt die Expertin.

Ob sich die 29-Jährige wegen ihres offensichtlichen Alkoholproblems in Behandlung befindet, ist nicht bekannt. Fast 1 300 Menschen waren dies jedoch nach Angaben der aktuellen Suchtstatistik für den Landkreis Mittelsachsen, die am Mittwoch in Freiberg vorgestellt worden ist. Erfasst worden sind dabei die Patienten und Betroffenen, die sich zum einen im Fachkrankenhaus Bethanien in Hochweitzschen haben behandeln lassen sowie Rat in den Suchtberatungsstellen von Diakonie Döbeln und Freiberg sowie dem Blauen Kreuz in Mittweida gesucht haben.

Unter 18-Jährige suchen Hilfe

Alkohol gilt nach wie vor als gesellschaftlich akzeptierte Droge. Von 18 bis 55 Jahren geraten die Betroffenen in die Abhängigkeit. Erst ab 55 lässt die Zahl der Süchtigen nach. Auffällig ist, dass zunehmend Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren aufgrund von Problemen mit Alkohol die Beratungsstellen aufsuchen. Konkrete Zahlen aus der Altersgruppe unter 18 Jahren liegen jedoch nicht vor, da das Fachkrankenhaus in Hochweitzschen Patienten erst ab dem Erwachsenenalter behandelt.

Um in Zukunft eine weitere Senkung der Fallzahlen zu erreichen – seit 2012 gehen die Zahlen der wegen Alkoholsucht behandelten Patienten zurück – gelte es Matthias Gröll zufolge, ein gesellschaftliches Umdenken zu bewirken. „Es gibt nach wie vor eine hohe Akzeptanz des Alkohols in der Gesellschaft. Zu offiziellen Anlässen wird Alkohol gereicht“, so der Psychiatriekoordinator des Landeskreises.

Aufgefallen ist den Experten im vergangenen Jahr auch, dass immer mehr Süchtige, die sich zum Beispiel aufgrund von Drogenproblemen behandeln lassen, statt zu Crystal und Co. nun zum Alkohol greifen. Das sei jedoch nicht ungewöhnlich, wie Claudia Hofmann sagt. „Die Suchtstoffe rufen im Gehirn eine Veränderung hervor. Das Gehirn will den Stoff immer wieder. Wenn der eine Stoff nicht mehr kommt, geht der Griff eben zu einem anderen“, erklärt die Expertin.

Insgesamt ist die Zahl der Crystal-Konsumenten laut dem Fachkrankenhaus leicht rückläufig. In den Suchtberatungsstellen sind die Zahlen der Crystal-Konsumenten auf anhaltend gleich hohem Niveau geblieben. Insgesamt 366 Betroffene, die 2016 in Behandlung waren, sind statistisch erfasst. Im Jahr 2015 waren es 419. Auffällig ist, dass viele reine Crystal-Konsumenten zwischen 30 und 45 Jahre alt sind und im Arbeitsprozess stehen, informierte Matthias Gröll.

Tabakkonsum geht zurück

Seit 2012 weiter zurückgehend sind die Tabak-Konsumenten. Über 580 haben sich 2016 aufgrund der Sucht nach der legalen Droge behandeln lassen. Die meisten davon waren ebenfalls zwischen 18 und 45 Jahren alt. Dennoch werde das Rauchfrei-Programm, wie es in den Suchtberatungsstellen angeboten wird, noch zu wenig genutzt, sagt Gröll. „Gelegentlich kommen Gruppen aus Mangel an Teilnehmern nicht zustande“, ergänzt der Psychiatriekoordinator.

Kritisch betrachtet Claudia Hofmann die Legalisierung von Cannabis. „Ich weiß um die Folgeerkrankungen, die der Konsum mit sich bringt“, sagt die Ärztin. Zu erwarten seien schwerwiegende psychische Erkrankungen, die sowohl für den Einzelnen als auch für das Gesundheitssystem zum Problem werden würden. Bereits mit 14 Jahren treten Suchtpatienten das erste Mal mit der Droge in Kontakt. Konsumiert wird diese fast ausschließlich von den 18- bis 45-Jährigen. 104 Patienten haben sich 2016 helfen lassen. Den Weg in die Suchtberatungsstelle fänden diese vor allem durch den Antrieb von anderen, schildert Matthias Gröll seine Erfahrungen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Patienten um sieben zurückgegangen.

Erstmals in die Statistik aufgenommen worden sind die Betroffenen, die sich aufgrund von Kokain-Konsum in Behandlung begeben haben. Seit der Erfassung der Daten 2010 sind im Fachkrankenhaus in Hochweitzschen zwei Patienten mit Hauptproblem Kokain behandelt worden. Bei acht Patienten kam die Droge in der Zweitdiagnose vor. „In der ambulanten Behandlung ist Kokain nicht aufgetreten“, ergänzt Gröll. Warum Kokain in den vergangenen Jahren keine Rolle gespielt hat, konnte er nicht beantworten.

Um den Betroffenen zu helfen, ist im Landkreis Mittelsachsen in den vergangenen Jahren laut Psychiatriekoordinator ein flächendeckendes „Basisangebot“ aufgebaut worden. „Für dessen Erhaltung haben wir uns als Landkreis sehr stark gemacht“, sagt Matthias Gröll. Sowohl die Bethanien-Klinik als einziges Fachkrankenhaus im Landkreis als auch die Suchtberatungsstellen in Döbeln, Mittweida und Freiberg seien ausgelastet. Der Bedarf an Hilfsangeboten damit ausreichend. Dennoch könnte in diesen den Betroffenen nicht immer geholfen werden. Denn oftmals liegen der Sucht komplexere Probleme zugrunde, weiß Gröll.