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Cowgirl und Squaw

Claudia Kaulfuß ist Chefin des Karl-May-Museums. Ein besonderer Ort in der Ausstellung ist jedoch auch für sie tabu.

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© Arvid Müller

Von Dominique Bielmeier

Mit spitzen Fingern und ganz vorsichtig zieht Claudia Kaulfuß den goldverzierten Band ein Stück aus einer Reihe des dunklen Holzregals, das bis an die Decke reicht. Es ist eine Originalausgabe von Old Surehand, zweiter Teil, geschrieben von Karl May im Jahr 1894 – ein Schatz, nicht nur für Literaturwissenschaftler und Fans des Abenteuerschriftstellers, sondern auch für das Karl-May-Museum in Radebeul.

Karl May als Old Shatterhand auf einer zeitgenössischen Fotografie.
Karl May als Old Shatterhand auf einer zeitgenössischen Fotografie. © Karl May Museum Radebeul
Karl May als Old Shatterhand auf einer zeitgenössischen Fotografie.
Karl May als Old Shatterhand auf einer zeitgenössischen Fotografie. © Karl May Museum Radebeul

Dort wird die Bibliothek des Autors normalerweise sicher hinter zwei Glastüren aufbewahrt, für Besucher nur durch die Scheiben zu betrachten. Doch für ein Foto hat die Museumschefin heute ausnahmsweise einmal die Türen geöffnet und selbst Hand an diesen Schatz gelegt.

Seit 2014 ist Claudia Kaulfuß die alleinige Geschäftsführerin des Karl-May-Museums in Radebeul-Ost sowie Geschäftsführerin der Karl-May-Stiftung. Die Diplomökonomin leitete zuvor lange die kaufmännische Abteilung im Haus. Bevor sie aus der freien Wirtschaft ins Museum wechselte, das erzählt sie in einem anderen, weniger wertvollen Zimmer der Villa Shatterhand, hatte sie mit Karl May nicht übermäßig viel am Hut, vielleicht zwei, drei seiner Romane gelesen. Dann kam ihr erster Arbeitstag – und sie wurde in den Cowboy- und Indianerkosmos katapultiert.

„Das war am 1. Mai, das werde ich nie vergessen“, sagt Claudia Kaulfuß und lacht. Auf diesen Tag fiel 2008 ausgerechnet Himmelfahrt – im Karl-May-Museum der Termin für den Prolog zu den Karl-May-Festtagen. Konkret heißt das: Country-Frühschoppen. So stand die Neue zum Einstand erst einmal am Zapfhahn und schenkte Bier für die Besucher aus.

Mittlerweile hat die 48-Jährige nicht nur ein paar Karl-May-Romane mehr gelesen, sondern ist tief in die Welt des Abenteuerschriftstellers eingetaucht. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Claudia Kaulfuß mit Schamanismus, dem „alten Wissen der Indianer“, hat eine regelrechte Ausbildung dazu in der Schweiz und in Deutschland gemacht. „Es geht um die Verbundenheit zur Natur, um alles, was lebt“, erklärt sie. Besonders auch um die Achtung jedes einzelnen Menschen, und „dass man die Augen offen hält für die Schönheit von Mutter Erde“.

Die Augen öffnet ihr jeden Morgen ihr Berner Sennenhund Ibo, der erst einmal eine Runde drehen will. „Dann stehe ich auf, haue mich in irgendwelche alten Hundeklamotten und gehe erst mal Gassi“, sagt Claudia Kaulfuß. Das sei gut zum Ankommen in den Tag.

Doch gerade als man beginnt, in ihr eine Art moderne Indianerin wie Karl Mays Nscho-tschi zu sehen, kippt dieses Bild in Richtung Cowgirl: Die Museumschefin betreibt nämlich Line-Dance, diesen Westerntanz, der einzeln neben- und hintereinander in Reihen getanzt wird. Einmal pro Woche übt sie bei den Eastside-Linedancern im Gasthaus Brummtopf in Radebeul-Ost.

Die Tanztruppe wird zu Geburtstagen oder Hochzeiten gebucht und tritt selbstverständlich auch bei den Karl-May-Festtagen auf, unter anderem zur Sternreiterparade am Sonntag. Dann kommen über 100 Tänzer zusammen, und auch die Chefin trägt dann Hut und Westernstiefel – wie Karl May selbst, der sich nicht nur auf seinen Porträts gerne als sein Westernheld Old Shatterhand darstellte, sondern auch einmal prahlte: „Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle.“

Auch Claudia Kaulfuß hat manche Gemeinsamkeit mit dem großen Erzähler. Das fängt an beim Wohnort: Die gebürtige Thüringerin lebt nach Stationen in Chemnitz, Schwerin, Hamburg und Leipzig seit ein paar Jahren mit ihrem Mann in Radebeul-Ost, seit vergangenem Jahr in einer Villa im Lößnitzgrund, passenderweise direkt auf dem Karl-May-Festgelände. „Zu den Festtagen machen wir natürlich unser Tor auf“, sagt sie. Die Westernhütte auf dem Grundstück verwandelt sich dann in eine Whiskybar.

Entworfen wurde die Villa aus dem 19. Jahrhundert von den Gebrüdern Ziller – die auch hinter der Villa Shatterhand stecken, in der Karl May bis zu seinem Tod 1912 lebte und Claudia Kaulfuß heute ihr Büro hat. Ähnlich wie Karl May lange Zeit hat es die 48-Jährige bisher noch nicht „über den großen Teich“ geschafft. Der Erfinder von Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand reiste selbst erst wenige Jahre vor seinem Tod nach Amerika – und war dann einigermaßen schockiert, dass die Wirklichkeit anders war als in seinen Romanen.

Sehr, sehr viel, eigentlich fast alles, habe sich der große Autor nämlich selbst angelesen, erzählt Claudia Kaulfuß und kommt wieder auf die Bibliothek in der Villa Shatterhand zu sprechen. Denn auch wenn die Chefin zum Schutz der wertvollen Bestände dort nicht so oft herumgeistern sollte, ist der Raum einer ihrer Lieblingsorte im Museum. „Mich faszinieren nicht nur die alten Bücher, sondern auch die alten Regale, deren Böden sich schon alle biegen“, sagt sie und ergänzt: „Irgendwo ist Karl May dort noch vor Ort.“

Ihre besondere Faszination gilt nämlich nicht seinen beliebten Western- oder Orientgeschichten, sondern dem Mann selbst: wie der Junge aus armen Verhältnissen früh auf die schiefe Bahn geriet, aber kein Opfer der Umstände blieb, sondern sich wieder berappelte; wie er versuchte, viele Menschen über seine Werke zum tieferen Verständnis füreinander anzuregen. „Heute sagen wir Völkerverständigung oder Bruderliebe“, erklärt Claudia Kaulfuß, „aber es geht einfach um die Achtung des Menschen“. Die hat wiederum mit dem alten Wissen der Indianer zu tun.

Weil sich die Achtung des Menschen für Claudia Kaulfuß auch auf die Toten erstreckt, ist ein Ort im Museum für sie absolut tabu: der Schreibtisch im ehemaligen Arbeitszimmer. „Dort darf nur Karl May sitzen“, sagt sie. Denn anders als der Schriftsteller mit seinen Figuren Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi hat Claudia Kaulfuß erkannt: „Ich bin nicht Karl May.“