Merken

Burg im Hamsterrad

Auf dem Hohen Stein über dem Polenztal lag schon vor 800 Jahren eine hölzerne Grenzfeste. Die Ansiedelung überdauerte wechselvolle Zeiten. Kann die jüngste Geschichte die Burg Hohnstein nun retten?

Teilen
Folgen
© Jürgen Lösel

Von Thomas Schade

Egal aus welcher Richtung Rudolf Drexler auf seine Heimatstadt zurollt, er muss immer kraxeln. Drexler ist über 70 und noch regelmäßig auf dem Rennrad rund um Hohnstein unterwegs. Mal radelt er aus dem Polenztal hinauf in die sanfte Hügellandschaft der Westlausitz, ein anderes Mal hinunter ins Elbtal.

Heimatkundler Rudolf Drexler stört, dass die Landesherren in Dresden kaum Interesse an der Burg zeigen.
Heimatkundler Rudolf Drexler stört, dass die Landesherren in Dresden kaum Interesse an der Burg zeigen. © Jürgen Lösel
Das Wappen über dem Burgtor.
Das Wappen über dem Burgtor. © Jürgen Lösel

An diesem trüben Tag Anfang Mai sitzt er im Eisstübchen am Markt, schaut aus dem Fenster und ist unzufrieden mit dem, was er da sieht. Hohnstein hat das Zeug zu einem mittelalterlichen Kleinod. Aber am Fuße der Burg steht nicht mal ein Dutzend Autos. Von den Läden in bester Lage sind einige zu haben. Das schiefergedeckte Haus „Am hohen Stein“ mit dem markanten runden Erker scheint dem Verfall preisgegeben. Es war mal Ferienheim des Berliner Verlages. Immerhin hat die Sparkasse geöffnet und natürlich der Bergsportladen von Bernd Arnold, dem weltbekannten Felskletterer. Arnold, inzwischen auch 70, hat die alte Apotheke aufwendig saniert. In dem Laden schauen alle vorbei, die draußen zu Hause sind. Weiter unten leuchtet die gelbe Fassade der Stadtkirche. Sie zählt zu den schönsten Kirche, die nach Plänen von Barockbaumeister George Bähr in Sachsen gebaut wurden.

Stadt und Burg Hohnstein sind eine Schicksalsgemeinschaft. „Wir sind eine Siedlung am Hang. Wir hatten 1990 keine riesigen Gewerbeflächen zu vergeben, die Wohlstand verheißen“, sagt Rudolf Drexler. Die Gassen seiner Stadt gehören zu den engsten in Sachsen. „Wir können nur das entwickeln, was wir schon haben“, sagt Drexler. Neben der Natur mit ihren wilden Sandsteinschluchten, Wäldern und Felswänden ist das vor allem die Burg.

Neben Stolpen gehört Hohnstein zu den ältesten erhaltenen Burganlagen im Landkreis. Doch beide trennen Welten. Stolpen gehört zum Schlösserland Sachsen, einem Betrieb des Freistaates. Bekannt als Verbannungsort der Wettiner-Mätresse Anna Reichsgräfin von Cosel, muss Burg Stolpen um seine Zukunft nicht fürchten. Burg Hohnstein hat weitaus turbulentere Zeiten erlebt. Aber sie hängt den Verwaltungen seit Jahren wie ein Klotz am Bein.

Dabei stand hier im einstigen Grenzland zwischen Böhmen und der Markgrafschaft Meißen vermutlich schon vor 800 Jahren eine hölzerne Grenzfeste. Hoch über dem Tal der Polenz war sie auf einem Sandsteinplateau angelegt worden. Man nennt es bis heute den Hohen Stein. Ursprünglich gehörte die Burg einer böhmischen Adelsfamilie. Später erwarben die Wettiner Hohnstein. Fortan gaben sich Familien des Landadels auf der Burg den Schlüssel in die Hand. „Aber sie war 330 Jahre lang immer wettinischer und später kurfürstlicher Amtssitz“, sagt Drexler. Von Hohnstein aus wurden über Jahrhunderte Städte wie Neustadt, Schandau, Wehlen und mindestens 48 weitere Dörfer verwaltet. Im Mittelschloss saß die Verwaltung, im hinteren Schloss logierte der Kurfürst mit seinem Tross, wenn er zur Treibjagd oder zum Lachsstechen ins Polenztal kam.

Als die königliche sächsische Verwaltung Mitte des 19. Jahrhunderts den Amtssitz Hohnstein auflöste, sei das ein schwerer wirtschaftlicher Schlag für die Stadt gewesen, sagt Drexler. „Hohnstein verlor an Bedeutung, aber die Burg blieb im königlichen Besitz.“ Wenn auch nur als Gefängnis. Nachdem der letzte Sachsen-König 1917 abgedankt hatte, fiel die Burg Hohnstein dem Land Sachsen zu und verblieb dort bis 1947. Diese historischen Fakten dürften nicht unbeachtet bleiben, wenn es um die Zukunft der Burg gehe, sagt Drexler. „Nur wenn die Burg eine Zukunft hat, hat auch die Stadt eine.“ Doch nach rund 600 Jahren im staatlichen Besitz ist es derzeit nicht gut bestellt um Burg Hohnstein.

Im Kassenhäuschen hinter dem ersten Burgtor haben die wenigen Besucher Zeit für ein Schwätzchen. Die Frau, die drei Euro verlangt, gibt bereitwillig Auskunft, was die Burg zu zeigen hat: ein kleines Museum zur Burggeschichte, eine Ausstellung zur Flora und Fauna der Sächsischen Schweiz und die Gedenkstätte zum dunkelsten Kapitel der Burggeschichte während der NS-Zeit. 1933 missbrauchten die Nazis Burg Hohnstein fast ein Jahr als eines ihrer frühen Konzentrationslager. Die SA internierte hier 5 600 Menschen. Viele sollen misshandelt worden sein. Die Burg ist deshalb bis heute auch Gedenkort.

Das NS-Regime beendete damals die wohl beste Zeit, die die Burg bis dahin erlebte und die 1924 begonnen hatte. In dem Jahr hatte das Land Sachsen die Burg Hohnstein dem sächsischen Zweig des Reichsverbandes Deutscher Jugendherbergen zur Nutzung übergeben. Das düstere Gefängnis wandelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Burg der Jugend. Nach einem Jahr war Hohnstein mit mehr als 1000 Schlafplätzen die größte Jugendherberge Deutschlands mit Schullandheim und Tagungsräumen für kulturelle und politische Veranstaltungen. Zehntausende junge Leute bevölkerten bis 1933 die Burg. Dann sperrten die Nazis in dem Gemäuer wieder Menschen ein. Später drillten sie hier den eigenen Nachwuchs. Nach 1939 kamen Kriegsgefangene in Hohnstein an.

Mit dem Kriegsende strandeten hier Flüchtlinge. Ab 1948 dienste die Burg weitere 40 Jahre als Jugendherberge. In dieser Zeit wurde die Vorburg, das Haus 1, restauriert. Nach 1990 sollte die Herbergstradition fortleben. Als Pächter und Betreiber aller zehn Gebäude stieg 1996 das Häuserwerk des Deutsche Naturfreunde e.V. ein – eine aus der Arbeiterbewegung entstandene Selbsthilfeorganisation. Sie ermöglicht auch sozial schwachen Personen naturnah Urlaub und Erholung. Der Verein betrieb die Jugendherberge weiter und richtete im Haus 1 ein kleines Hotel ein. Doch der Verein überschätzte seine finanziellen Möglichkeiten und musste im Jahr 2007 Insolvenz anmelden. Damals zählte die Burg noch mehr als 30 000 Gäste und bescherte der Stadt eine Kurtaxe von jährlich rund 10 000 Euro. Aber die Besucherzahlen sanken, und die Einnahmen reichten nicht für die Erhaltung und nötige Investitionen.

Neben dem wirtschaftlichen Ruin stehen derzeit insbesondere die Eigentumsverhältnisse einer sicheren Zukunft der Burg im Wege. Noch 1947 gehörte sie dem Freistaat Sachsen. Später wurde sie Volkseigentum und vom Rat des Kreises Sebnitz übernommen. 1990, als die Eigentumsverhältnisse der sächsischen Schlösser- und Burgenlandschaft neu geordnet werden mussten, fielen dem Freistaat zwei Dutzend der kulturhistorisch wertvollsten und schönsten Objekte zu – auch die Burg Stolpen. An der Burg Hohnstein ging dieser Kelch vorbei. Um sie kümmerte sich zu nächst der Landkreis. „Der Betrieb in der Jugendherberge musste weitergehen, und das Museum musste offen bleiben“, sagt Rudolf Drexler. Dann wurde sie dem Landkreis einfach zugeordnet.

Drexler trug damals selbst kommunalpolitisch Verantwortung, war erster frei gewählter Landrat. Drexler erzählt, wie die Zukunft der Burg Anfang der 90er-Jahre seiner Ansicht nach verspielt wurde. „Damals wurde ein Standort für die Verwaltung und für das Besucherzentrum des neu entstandenen Nationalparks Sächsische Schweiz gesucht. Wir haben Burg Hohnstein vorgeschlagen. Die Nationalparkleitung unterstützte uns. Die Burg wäre wieder ein Verwaltungssitz des Freistaates geworden und hätte guten Zeiten entgegensehen können.“ Aber den Zuschlag bekam Bad Schandau. Die Stadt sei für Besucher besser zu erreichen, hieß es offiziell.

Doch Drexler glaubt: „Es gab damals politische Kräfte, denen Hohnstein nicht recht war.“ Seither ist das Nationalparkzentrum zwei Mal in den Hochwasserfluten der Elbe versunken. Allein nach der jüngsten Katastrophe 2013 waren zwei Millionen Euro notwendig, um die Schäden zu beseitigen. Auf etwa diese Summe beziffert man auch die Kosten für die dringendsten Arbeiten an der Burg Hohnstein. „Unter dem Gesichtspunkt und um die Zukunft der Burg zu sichern, sollte man über die Standortfrage erneut nachdenken“, sagt Drexler. Mit jährlich bis zu 25 000 Gästen der Jugendherberge und ebenso vielen Tagesbesuchern auf der Burg hätte das Nationalparkzentrum in Hohnstein weit mehr als die Hälfte seiner Besucher quasi vor der Tür. Das Zentrum in Bad Schandau verzeichnet jährlich bis zu 70 000 Besucher.

Selbst an diesem trüben Maitag spürt man Leben in der Burg. In der Jugendherberge ist An- und Abreisetag. Teenager suchen nach den besten Aussichtspunkten auf der Burg und erkunden die Gebäude, in denen einiges vom DDR-Charme hängen geblieben ist. Dennoch hinterlassen Speisesaal und Flure einen soliden Eindruck. Das sei dem Personal zu verdanken, sagt Rudolf Drexler. „Die Männer und Frauen tun viel, damit die Gäste nicht merken, dass die Burg unsicheren Zeiten entgegensieht.“

Die Jugendherberge, das wichtigste wirtschaftliche Standbein der Burg, ist dabei der entscheidende Faktor. Sie müsste ab Dezember schließen, nachdem der Insolvenzverwalter den Pachtvertrag gekündigt hat. „Das wäre tödlich für Hohnstein“, sagt Drexler. Deshalb will die Stadt mit ihrer Tourismusfördergesellschaft sicherstellen, dass Herberge und Museum geöffnet bleiben. Aber auf welcher Grundlage?

Eine Jugendherberge zu betreiben, ist weder Aufgabe von Kommunen noch des Freistaates. Deshalb hat der Kreistag der Sächsischen Schweiz im April den Landrat beauftragt, für die gesamte Burg einen neuen Betreiber zu suchen. Doch dazu muss der Landkreis erst einmal Haus 1, das Filetstück der Burg, aus den Händen des Insolvenzverwalters zurückkaufen. Denn auf der Vorburg liegt ein Erbbaurecht, das den Naturfreunden eingeräumt worden war, um Investitionen finanzieren zu können. Bis heute stehen Bund und Freistaat als Gläubiger mit mehr als 300 000 im Grundbuch und wollen Geld.

Insgesamt sind die Zahlen weitaus dramatischer. Für die notwendigsten Instandhaltungsarbeiten hat der Landkreis seit 1996 gerade mal 1,6 Millionen Euro ausgeben können. Weitere 2,6 Millionen wären nötig, um den Verkehrssicherungspflichten nachzukommen, damit die Burg geöffnet bleiben kann. Diese Mittel könne der Landkreis wegen unaufschiebbarer Instandhaltungen an den Schulen nicht aufbringen, schrieb Landrat Geisler in einem Klagebrief an Sachsens Finanzminister. Die Burg befinde sich „insgesamt heute in einem überwiegend sanierungsbedürftigen Zustand“, so „Burgherr“ Geisler. Den Kreisräten teilte er im April mit, dass mindestens zwölf Millionen Euro notwendig seien, um den gesamten Investitionsstau an der Burg abzubauen. Geisler schrieb dem Finanzminister in aller Deutlichkeit: Der Landkreis sei „nicht in der Lage, die Burg Hohnstein so zu sanieren und zu betreiben, wie es ihrer historischen und überregionalen Bedeutung angemessen wäre“.

Doch die Landesherren in Dresden zeigen wenig Interesse an der Burg, obwohl Kurfürsten, Könige und später der Freistaat jahrhundertelang Verantwortung trugen. Sie haben die längsten Kapitel Hohnstein'scher Burggeschichte geschrieben. Hat man die Burg nun abgeschrieben?

Der Denkmalschutz habe die Burg Anfang der 90er-Jahre nicht als überregional bedeutsam eingestuft. Somit bestehe „derzeit kein erhebliches Landesinteresse an dem Vorhaben“, Landesmittel für die Erhaltung einzusetzen, schreibt die zuständige Ministerin in einer Stellungnahme.

„Wer will unter solchen Umständen privat eine Burg betreiben?“, fragt Rudolf Drexler und mahnt: „Viel mehr muss sich Sachsen seiner Geschichte stellen, auch in Hohnstein.“ Der 70-Jährige fordert ein Finanzkonzept, an dem sich Private, Kommunen und der Freistaat beteiligen. Der Freistaat könne auch nach zwanzig Jahren Besucherzentrum und Verwaltung des Nationalparks nach Hohnstein verlegen und damit einen wichtigen Impuls für die Zukunft setzen. „Landesbehörden ziehen ständig um, das ist alles eine Frage des Wollens“, argumentiert er. Drexler hat für die Sanierung auch schon ein Ziel vor Augen: 2024. Dann ist es 100 Jahre her, dass der Jugendherbergsbetrieb eröffnet wurde. „Das wäre ein Signal von großer Symbolkraft für die Zukunft der Burg“, sagt er.

Mehr über die Burg Hohnstein und weitere Schlösser sind in dem Band in der Reihe editionSZ „Schlösser in der Sächsischen Schweiz und im Osterzgebirge“ zu lesen. Es wird aktuell zum Sonderpreis von 9.90 Euro in allen SZ-Treffpunkten angeboten.