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Braune Gespenster mit weißen Masken

Sie kommen vermummt als Bürgerschreck und hetzen vom „Volkstod“. Dahinter verbergen sich Neonazis mit knallharten rassistischen Parolen.

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Von Thomas Schade

Es geht schaurig zu in der Nacht zum 1. Oktober am Fuß der Burg Stolpen. Um die 150 Gestalten ziehen kurz vor Mitternacht von den beiden großen Parkplätzen am Rand der sächsischen Kleinstadt zum Markt – viele in schwarzer Kutte, mit weißer Maske vor dem Gesicht und mit einer Fackel in der Hand. Der Schein des Feuers gibt dem Aufzug das gespenstige Gepräge. Schwere Böller zerreißen die nächtliche Ruhe, und in der maskierten Masse grölen einige „Das System ist am Ende, wir sind die Wende“. An der Spitze des Zuges tragen Vermummte ein schwarzes Band vor sich her. Im Schein der Straßenlaternen ist darauf zu lesen: „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist“.

So schildern es Augenzeugen. Ein Handwerker, der den Aufzug zufällig miterleben musste, erinnert sich: „Die Fackeln, der Gleichschritt, die Grölerei – bedrückend und beängstigend war das“, sagt er. Er fühlte sich an die Aufmärsche in braunen Zeiten erinnert, wie sie in Filmen zu sehen seien.

Flucht in die Anonymität

Tage später taucht ein Video im Internet auf. Knapp zwei Minuten lang zeigt es den nächtlichen Spuk. Doch von dem Bürgerschreck, der nach Augenzeugenberichten etwa 20 Minuten dauerte und von einem Baugerüst aus gefilmt wurde, ist wenig übrig. Dramatisch in Szene gesetzt und begleitet vom „Matrix“-Soundtrack des US-Komponisten Don Davis huschen weiße Masken wie Irrlichter über den Bildschirm. Und es taucht die Internetadresse auf „werde unsterblich“.

Der Spuk von Stolpen ist kein Einzelfall. In Sachsen traten sogenannte „Unsterbliche“ angeblich erstmals in der Nacht zum 1. Mai in Bautzen auf. Da zogen nach Informationen des Verfassungsschutzes 150 bis 200 Maskierte durch das Stadtzentrum, brüllten Parolen wie „frei, sozial, national“ und zündeten Feuerwerkskörper. Am 5. Juni zum Töpfermarkt in Kohren-Sahlis waren es etwa 30 Jugendliche, die am hellerlichten Tag durch den Ort marschierten und den verblüfften Marktbesuchern Zettel zum Thema „Volkstod“ in die Hand drückten. Auch beim Brauereifest am 28. Mai in Radeberg, zum Stadtjubiläum einen Tag später in Trebsen, in Döbeln und beim Stadtfest in Radeburg marschierten kleinere Gruppen maskierter Neonazis auf.

Was wie ein Neonazi-Flashmob erscheint – veranstaltet von einer erlebnishungrigen braun angehauchten Spaßguerilla –, wird vom Verfassungsschutz mehrerer Bundesländer schon seit einiger Zeit nicht ohne Sorge beobachtet. „Wir haben es hier mit sehr kurzfristigen, gut organisierten Aktionen von Neonationalsozialisten zu tun, die anonym bleiben wollen und deshalb Masken tragen“, sagt Reinhard Boos, Chef des sächsischen Verfassungsschutzes.

Hinter den Masken verbergen sich nach Erkenntnissen der Behörden Rechtsextremisten, die seit einiger Zeit dabei sind, unter Begriffen wie „Freie Kräfte“ eine Neonazibewegung ohne hierarchische Strukturen aufzubauen. Nach Verboten wie im Fall des „Sturm 34“ oder zuvor der „Skinheads Sächsische Schweiz“ habe die Szene das Modell der „Kameradschaften“ teilweise verworfen. „Man hält heute weitgehend über moderne Kommunikationsmedien lose Kontakt“, so Boos. Zudem habe sich nach Blockaden rechtsextremistischer Aufzüge am 13. Februar in Dresden, aber auch in Leipzig ein beträchtlicher Frust breitgemacht in der Szene. „Neonationalsozialisten in Sachsen suchen seither nach einer Aktionsform, die Behörden nicht verbieten und politische Gegner nicht blockieren können“, sagt Reinhard Boos.

Fündig wurde man in Brandenburg. Dort beobachten Verfassungsschützer seit Längerem die „Nationalen Sozialisten Südbrandenburg“ – das „größte und aktivste“ internetbasierte Neonazi-Aktionsbündnis im Land, wie es im Jahresbericht des Amtes von 2010 heißt. So wird berichtet, dass Neonazis bereits am 17. April vergangenen Jahres in Senftenberg als „Sensenmänner“ mit weißen Masken und schwarzen Kutten verkleidet das örtliche Frühlingsfest störten, Propagandazettel verteilten und gegen die Demokratie wetterten. Am 10. Juli 2010 veranstalteten Neonazis in Lauchhammer einen unangemeldeten „Fackelmarsch“ und zündeten Blitzknaller und Chinaböller.

Aufmerksamkeit erregen

Kommuniziert werden solche Aktionen in Brandenburg durch das Internetprojekt „Spreelichter“, das eine „herausragende Stellung“ im rechtsextremistischen Netzwerk einnimmt, glauben Verfassungsschützer des Nachbarlandes. Das bereits seit 2009 offenbar von einem Server in Schweden aus betriebene Projekt gelte mittlerweile als „bundesweit richtungsweisend“, so die Behörde. Es verbinde die klassische Idee des Nationalsozialismus mit den kulturellen und technischen Mitteln und Methoden der Moderne, meint der Politologe Dierk Borstel von der Uni Bielefeld. So nutzen die „Spreelichter“ Internetplattformen wie You Tube, um Videos ihrer Aktionen ins Netz zu stellen. Der braune Mummenschanz ist damit nicht nur auf szenetypischen Seiten, sondern auf einer der größten neutralen Video-Plattformen weltweit verfügbar.

Auf diese in Südbrandenburg entstandene Aktionsform haben sächsische Rechtsextremisten mit der Bewegung „werde unsterblich“ praktisch aufgesattelt, erklärt Verfassungschef Boos und warnt vor den beträchtlichen Möglichkeiten, neonationalsozialistische Parolen auf diesem Wege zu kommunizieren. So wurde allein das Video des Nazi-Flashmobs von Bautzen bei You Tube bisher mehr als 42000-mal angeschaut. Obwohl es die Nutzungsbedingungen von You Tube nicht erlauben, Videos mit rassistischem oder hetzerischem Inhalt zu veröffentlichen, tummeln sich mittlerweile auf der Plattform jede Menge Neonazi-Filmchen, in denen die Szene mit ihren Aktionen prahlt. „Das ist eine der Formen, mit denen die Szene versucht, die Schweigespirale, wie sie es nennt, zu durchbrechen“, so Verfassungsschützer Boos. Gemeint ist die weitgehende Ignoranz durch die Medien, unter der die Szene leidet.

Die Neonazis mit den weißen Masken suchen auch die direkte Konfrontation mit den Bürgern. Hauptsächlich Volksfeste werden dazu genutzt, beobachtet der Verfassungsschutz. Brandenburger Neonazis, so scheint es, lieferten dafür ebenfalls das Vorbild. So tauchten schon im Februar 2009 im Faschingsumzug in Schlepzig bei Lübben weiß maskierte Sensenmänner auf und entrollten im Zug plötzlich ein schwarzes Band mit der Aufschrift „Die Demokraten bringen uns den Volkstod“. Das närrische Publikum schaute ungläubig drein angesichts des schlechten Scherzes.

Ein Jahr später, am 14. Februar 2010, schlichen sich ähnlich vermummte Neonazis in den Leipziger Faschingsumzug. Solche eher kleinen Aktionen würden meist von lokalen Kräften veranstaltet, sagt Verfassungsschützer Reinhard Boos. Bei Aufzügen wie in Bautzen werde über die Landesgrenzen hinweg mobilisiert. Beim Gespensteraufzug in Stolpen registrierte die Polizei Fahrzeuge aus den Großräumen Magdeburg, Chemnitz und Leipzig. Nur ein halbes Dutzend Autos kam offenbar aus der Region.

Fachleute warnen davor, die Neonazi-Flashmobs als unpolitischen und lediglich erlebnisorientierten Spuk zu unterschätzen. Denn viele Parolen, die bei den Aufmärschen auftauchen, gehören zur sogenannten „Volkstod“-Kampagne, die ebenfalls in Südbrandenburg ihren Ursprung zu haben scheint. „Eindeutig rassistisch und ausländerfeindlich“ nennt Reinhard Boos die Kampagne, die bundesweit Nachahmer findet.

Grenzen der „Unsterblichen“

„Volkstod“ stammt direkt aus dem Vokabular des Nationalsozialismus. Der Begriff ist eng mit der Eugenik verbunden, aus der unter Hitler die nationalsozialistische „Rassenhygiene“ entwickelt wurde. Dabei entstand das Konstrukt vom „Volkskörper“, der geschädigt werde durch „Fremdrassige“. Das NS-Regime ersann „Heilungsmaßnahmen“. Sie mündeten schließlich im Holocaust an den europäischen Juden. „Hier wird der alte nationalsozialistische Rassengedanke in die Gegenwart getragen, unbedarfte junge Leute erkennen oft nicht, dass sie sich strafbar machen können, wenn sie da mitmachen“, so Verfassungsschützer Boos.

Sieben mutmaßliche Neonazis mussten im vogtländischen Auerbach schnell die Grenzen ihrer „Unsterblichkeit“ erkennen. Ende September klopfte die Polizei an ihre Türen, durchsuchte Wohnungen, beschlagnahmte Computer, Handys und weiße Masken. Die jungen Männer sollen den rechtsextremistischen Kirmesaufzug im Juli in Rodewisch angezettelt haben. Etwa 40 Weißmaskierte waren durch den Ort gezogen und hatten danach auf einer Internetseite mit dem Auftritt geprahlt. Nun wirft ihnen die Polizei die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration und den Verstoß gegen das Vermummungsverbot vor.

Auch in Stolpen ermittelt die Polizei inzwischen wegen des ungenehmigten Spuks. Hier glaubten die braunen Gespenster mit den weißen Masken wohl nicht recht an ihren selbst gezimmerten Mythos. Als Blaulicht auftauchte und Sirenen erschallten, rannten einige panisch zu den Autos, warfen viele ihre Masken weg und ergriffen die Flucht. Das Sondersignal gehörte nicht zur Polizei, sondern zu einem Rettungswagen des Arbeiter-Samariterbundes, der zu einem Notfall gerufen worden war.