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Bambi in Handaufzucht

Florian Hanisch hat einen kleinen Damhirsch aus dem Moritzburger Wildgehege gerettet. Das Kalb hatte sich schwer verletzt.

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© Anne Hübschmann

Von Susanne Plecher

Moritzburg. Im Weißklee hinter Florian Hanischs Haus döst ein ungewöhnlicher Gast. Er hat vier Beine, getupftes Fell und sehr lange Wimpern. Sein Niedlichkeitsfaktor ist enorm. Es ist ein kleiner Damhirsch, der vor rund einer Woche im Moritzburger Wildgehege zur Welt kam. Dass er seit Donnerstag nicht mehr bei seiner Herde ist, sondern vorübergehend in Klipphausen wohnt, ist für ihn ein großes Glück.

Rüdiger Juffa hatte das Kalb im Zaun des Damwildgeländes liegen sehen. Als es ihn bemerkte, humpelte es aufgeschreckt davon. Der Chef des Wildgeheges rief seinen Zootierpflege Florian Hanisch hinzu, der das zarte Tierchen kurz darauf im hohen Gras fand. „Das Hirschkalb hatte sich am rechten Hinterlauf verletzt und konnte ihn nicht mehr aufsetzen“, schildert er. Das Bein war geschwollen, Wasser hatte sich darin angesammelt. Am Knie klafft noch jetzt eine tiefe Wunde. Wie sich der kleine Hirsch so verletzt hat, weiß niemand zu sagen. Vermutlich ist er auf der Flucht gegen den Zaun gerannt und hat sich dabei die Fleischwunde zugezogen. Weil er wegen ihr nicht laufen konnte, war seine Situation tatsächlich lebensbedrohlich. Auch im Wildgehege gibt es Füchse, die Jagd auf kranke Tiere machen, und Fliegen, die Eier in Wunden legen.

Fläschchen gibt es alle zwei Stunden

Hanisch stellte seinen zarten Patienten dem Tierarzt vor, der die Verletzung säuberte, röntge und ein Antibiotikum verordnete. Einen Bruch konnte er nicht feststellen, aber ob auch die Sehnen in Ordnung sind, muss sich zeigen. Damit sie sich nicht verkürzen und der kleine Hirsch künftig ganz normal laufen und die im Jägerjargon als Schalen bezeichneten Hufe aufsetzen kann, soll das Bein Mitte der Woche geschient werden. Zusätzlich gibt es ein homöopathisches Stärkungsmittel aus dem Wunderkasten von Hanischs Lebensgefährtin, die Tierheilpraktikerin ist. Besser hätte es das Damhirschbaby wohl nicht treffen können.

Derweil hat es sich Hanischs Familienzuwachs im Klipphausener Klee gemütlich gemacht. Das Hirschlein hat auch schon Anschluss gefunden. Fanny, einer der drei Hunde im Hause, hat sich seiner an Kindes statt angenommen. Sie weicht ihm nicht von der Seite. Die achtjährige Deutsch-Drahthaar-Hündin kümmert sich rührend um das Kälbchen, bewacht es, leistet ihm Gesellschaft und schleckt es ab, wenn es gefüttert wird. „Das regt die Verdauung und Ausscheidung an“, erklärt Hanisch.

Tiefe Schatten haben sich um seine Augen gelegt. Schließlich ist auch ein Damhirschbaby ein Baby – und braucht aller zwei bis drei Stunden etwas in den Magen. Und zwar nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht. Pro Mahlzeit wärmt Ziehvater Hanisch 150 Milliliter Lämmermilch in der Mikrowelle auf und checkt die Temperatur des Fläschcheninhalts am Handgelenk oder in der Armbeuge. Der kleine Hirsch soll sich nicht die Zunge verbrennen. „Natürlich ist die Milch nicht so gehaltvoll wie die der Mutter“, weiß er. Aber sein Schützling hat zumindest nicht abgenommen. Am Samstag wog er 5,3 Kilogramm. Auch sonst macht das Hirschlein einen passablen Eindruck. Es wackelt mit den langen Ohren und knabbert an Grashalmen.

Bambi hat Lebenswillen

Wenn es richtig auf den Geschmack gekommen ist und seine Ernährung umgestellt hat, darf es zurück ins Wildgehege. Bis dahin wird das Familienleben der Hanischs noch etwas aufregender sein als sonst. Töchterchen Feli mag das Damwildkälbchen. Als Mädchen vom Bauernhof ist sie den Umgang mit Tieren gewohnt, auch den mit Sorgenkindern. Denn ihre Familie hat schon diversen Schützlingen Unterschlupf und Hilfe gewährt und verschiedene Lämmer, einen Kolkraben, einen Eichelhäher, eine Elster und Schwalben aufgezogen. Prominentester Aufzuchtsgast war Wildschwein Suse, die sich jetzt wieder unter ihresgleichen im Wildgehege tummelt.

Der kleine Hirsch ist inzwischen schon ein wenig heimisch geworden. Liegt er nicht auf der Wiese in der Sonne, dann logiert er zusammen mit Fanny im Heizungsraum. Plagt ihn ein Hüngerchen, macht er ganz selbstbewusst auf sich aufmerksam: „Dann kommt er in die Küche geschlackert und fiept“, sagt Hanisch. „Das klappt hervorragend. Das Tier hat Lebenswillen.“ Wochentags macht es Ausflüge ins Wildgehege. Florin Hanisch nimmt das Kalb mit auf Arbeit, damit er es auch tagsüber füttern kann. Vis-à-vis zu seiner Herde, zu der es hoffentlich bald wieder zurückkehren kann.