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Bagatellfälle blockieren Notaufnahmen

Die Patientenzahlen steigen seit Jahren. Viele gehen lieber ins Krankenhaus statt zum Hausarzt.

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© André Braun

Von Peggy Zill

Döbeln. Der Patient hat seit drei Wochen Bauchschmerzen. Nun will er doch mal abklären lassen, woher die kommen. Sonntags. In der Notaufnahme. Daneben sitzt einer, der von einer Zecke gebissen wurde und nun Angst hat, an Borreliose zu erkranken. Immer häufiger kommen Patienten mit Lappalien in die Notaufnahmen. Oder rufen den Rettungsdienst, obwohl kein wirklicher Notfall vorliegt. Der Verband der Ersatzkassen fordert deshalb eine Reform der Notfallversorgung.

Auch die Behandlungszahlen in den Notaufnahmen in Leisnig und Döbeln steigen von Jahr zu Jahr. Dies betrifft sowohl den ambulanten Bereich, als auch den stationären, wie Robert Reuther, Sprecher der Helios-Klinik, erklärt. Darunter seien zum Beispiel auch Leute, die nur ein Rezept für ein Asthmamittel benötigen, was sie sich eigentlich beim Hausarzt holen sollten. „Das Phänomen, dass sich Patienten mit nur leichten Erkrankungen vorstellen, ist nicht neu“, sagt auch Dr. Matthias Richter, Leiter der Döbelner Notaufnahme. „Hier spielen ursächlich sicher die immer noch zum Teil erheblichen Wartezeiten für einen Termin bei einem Facharzt eine Rolle“, so der Oberarzt.

Bereitschaftsdienst hilft

Bei allen nicht lebensbedrohlichen Krankheiten kann erst einmal der kassenärztliche Bereitschaftsdienst helfen, der bundesweit unter der 116 117 erreichbar ist. Die Ärzte empfangen die Patienten dann außerhalb der Öffnungszeiten in ihrer Praxis oder kommen zu ihnen nach Hause. Bei kritischen Verletzungen ist der Rettungsdienst unter der 112 zu erreichen. Doch auch die Notärzte werden immer häufiger alarmiert, obwohl keine schwere Verletzung oder Erkrankung vorliegt.

Beim Blick in die Einsatzzahlen der Rettungswachen im Altkreis Döbeln fällt auf, dass die Zahl der Einsätze insgesamt zwar gestiegen ist, die der Notärzte aber gesunken. Laut Carola Schneider, Geschäftsführerin des Rettungszweckverbandes Grimma, lässt sich daraus aber nicht schließen, dass die Menschen vermehrt wegen Lappalien die 112 wählen. „Ob ein Notarzt mit alarmiert wird, richtet sich nach dem Indikationskatalog“, erklärt Schneider. In der Landesrettungsdienstplanverordnung steht, dass bei Verdacht auf fehlende oder deutlich beeinträchtigte Vitalfunktion der Notarzt einzusetzen ist. Dazu gehört zum Beispiel, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar ist, schwer atmet oder über akute Brustschmerzen klagt. Auch Unfälle mit Kindern, drohender Suizid oder eine unmittelbar einsetzende Geburt sind Fälle, wo der Notarzt nicht fehlen darf. Die Disponenten, die in Grimma pro Tag weit über 100 Notrufe annehmen, sind geschult und wissen, welche Rettungsmittel nötig sind.

2015 sind die Rettungswagen im Altkreis Döbeln zu 8 178 Einsätzen ausgerückt. Darunter waren nur 311 Fehleinsätze. Bei den Notärzten sind es 90 bei 4 755 Einsätzen. Die Zahlen für das erste Halbjahr 2016 zeigen keinen signifikanten Anstieg. Die häufigsten Gründe für einen Einsatz sind laut Carola Schneider Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Verdacht auf Schlaganfall und Hausunfälle. Wenn die Disponenten merken, dass es sich nicht um einen Notfall handelt, verweisen sie die Patienten an den Hausarzt, am Wochenende oder abends an den Bereitschaftsdienst.

Eine Statistik zu Fehleinsätzen liegt den Krankenkassen nicht vor. Laut Hannelore Strobel, Pressesprecherin der AOK Plus, ist das schwierig, weil es keine einheitliche Definition für einen Fehleinsatz gibt. „Unabhängig davon ist aber im gesamten Freistaat Sachsen seit Jahren eine kontinuierlich zunehmende Leistungsinanspruchnahme in der Notfallrettung zu verzeichnen.“ Die Ausgaben für den bodengebundenen Rettungsdienst in Sachsen sind im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen. „Für 2017 rechnen wir ebenfalls wieder mit einer Ausgabensteigerung“, sagt Hannelore Strobel.

Falsche Einschätzung der Lage

„Dass Rettungseinsätze ausgelöst werden, die dann vor Ort als nicht notwendig eingeschätzt werden, ist niemals ganz zu verhindern“, sagt Andrea Ludolph von der IKK. Oft könne erst vor Ort eine konkrete Einschätzung getroffen werden. „Ein umsonst gefahrener Einsatz ist im Zweifelsfall eher in Kauf zu nehmen, als ein zu wenig gefahrener.“ Tatsächlich habe sich das Verhalten von Patienten in Notfällen in den vergangenen Jahren aber verändert. Das mache sich aber weniger bei den Notrufen als in den Notaufnahmen bemerkbar. „Tatsächlich können viele Patienten ihre Krankheitssymptome nicht immer richtig einordnen und empfinden sie schnell als ernste gesundheitliche Notlage“, so Ludolph. Der ambulante kassenärztliche Bereitschaftsdienst und die bundesweit einheitliche Rufnummer seien zu wenig bekannt. „Zu beurteilen, ob eine spätere Behandlung durch ihren Hausarzt reicht, fällt den Betroffenen schwer. So werden in Krankenhäusern zunehmend Kapazitäten gebunden, die schweren Notfällen vorbehalten sein sollten.“

Das Aqua-Institut hat für den Verband der Ersatzkassen ein Gutachten vorgelegt. Etwa ein Drittel der Notfallpatienten im Krankenhaus könnte sehr gut über die ambulante vertragsärztliche Versorgung behandelt werden. Eine Befragung von Krankenhäusern ergab, dass lediglich zehn bis 20 Prozent der in den Notaufnahmen vorstelligen Patienten lebensbedrohlich erkrankt waren. Die Gründe für den Anstieg der Patientenzahlen in den Notaufnahmen seien unklare Zuständigkeiten, aber auch ein verändertes Patientenverhalten und die Erwartung einer besseren und schnelleren Versorgung.

Denn die Notaufnahmen schicken niemanden weg. Allerdings werden die Patienten, die wirklich krank oder verletzt sind, zuerst behandelt. So kommt es teilweise zu stundenlangen Wartezeiten. Zudem werden in den Krankenhäusern die diagnostischen Möglichkeiten häufig ausgeschöpft, um Haftungsrisiken durch fehlende oder falsche Diagnosen zu minimieren. Das belastet die Kliniken auch finanziell. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft kostet ein Notfallpatient im Schnitt 120 Euro, bringt aber nur 32 Euro Erlös.