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Baby gerettet

Ein neun Monate altes Mädchen rollt mit einem Kinderwagen auf der Zittauer Straße in Hörnitz davon. Es hat einen großen Schutzengel.

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© Matthias Weber

Von Holger Gutte

Rainer Rieger will eigentlich nicht in die Zeitung. „Das ist doch nichts besonders was ich gemacht habe. Jeder hätte so gehandelt“, sagt der 74-jährige Hörnitzer. Seine Nachbarn denken da ganz anders darüber. Nach ein paar Tagen Abstand kann ihn Nachbar Harald Wagner überreden und informiert die SZ. „Das muss in die Zeitung. Viel zu viele negative Nachrichten stehen da drin. Das ist was richtig Gutes“, sagt der Nachbar. Rainer Rieger hat die Bilder vom Donnerstag immer noch vor Augen, als wäre alles gerade erst geschehen.

Es ist gegen 11 Uhr an jenem Tag in Hörnitz gewesen. Er kommt mit seiner Frau gerade vom Einkaufen aus Zittau. Nur noch ein paar hundert Meter, dann wäre er wieder zu Hause. Der 74-Jährige befindet sich auf der Zittauer Straße schon auf Höhe des Friedhofes. Doch als er hier um die Kurve biegt, schreit seine Frau Karin plötzlich auf. Ein Kinderwagen kommt ihnen auf der abschüssigen Straße entgegen. Ganz allein und ziemlich schnell. Rainer Rieger tritt sofort auf die Bremse. Im Nachhinein staunt er selber, wie schnell er aus dem Auto war. Alles geschieht buchstäblich in Bruchteilen von Sekunden. „Handbremse ziehen, Sicherheitsgurt lösen, aus dem Auto springen und auf den Kinderwagen zurennen, war alles eins“, erzählt er. Der Kinderwagen war inzwischen schon auf der anderen Straßenseite. Als er ihn festhält, schaut ihn ein Baby an und nuckelt quietschvergnügt an seinem Hutti. Rainer Rieger dagegen ist geschockt.

Er schiebt den Wagen an den Straßenrand. Der Rentner merkt gar nicht, das die Fahrertür seines Autos noch immer offen und der Wagen fast mittig auf der Straße steht. „Zum Glück haben die drei oder vier Autos hinter uns auch super reagiert und alle angehalten und vor allem nicht überholt“, sagt er. Gleich darauf kommt die Mutti des neun Monate alten Mädchens schreiend angerannt. Sie ist im Geschäft „Regionales und Feinkost“, dass sich jetzt in der ehemaligen Fleischerei befindet, einkaufen gewesen. „Plötzlich kam ein Mann ins Geschäft und sagte, da rollt ein Kinderwagen. Da bin ich sofort raus “, schildert sie aufgeregt.

Die junge Mutti ist Rainer Rieger unendlich dankbar für sein Handeln. Sie hat wässrige Augen, als sie sagt, dass sie es immer noch nicht verarbeitet hat. Noch nicht mal ihren Eltern hat sie davon erzählt. Liebevoll drückt sie ihr erst neun Monate altes Mädchen an sich. Die Kleine lacht und spielt mit ihren winzigen Fingern im Gesicht ihrer Mutter. Die wollte sich längst bei Rainer Rieger bedanken. Aber sie kennt ihn noch nicht. Weiß auch noch nicht, wo er wohnt. „Ich bin mir sicher, dass ich die Fußbremse am Kinderwagen unten hatte“, sagt sie. Trotzdem macht sie sich immer noch ständig Vorwürfe, wie das passieren konnte. Seit Donnerstag ist sie auch nicht mehr in dem Geschäft gewesen.

Karin Rieger kann die Frau gut verstehen. „Ich wäre an ihrer Stelle auch voll durch den Wind gewesen“, sagt sie. Deshalb nehmen es ihr Riegers auch nicht übel, dass sie sich an jenem Tag ohne ein Dankeschön voneinander verabschiedeten. „Die Frau war so glücklich, dass ihrem Kind nichts passiert war. Das ist doch normal“, erzählt die 74-jährige Hörnitzerin.

Karin und Rainer Rieger kennen die Frau ebenfalls nicht. „Wir hätten auch nicht gewusst, wie wir sie erreichen könnten“, schildern sie. Nachbarn hatten allerdings schon Vermutungen angestellt. Rainer Rieger huscht ein Lächeln übers Gesicht, als er seiner Frau am Dienstag erzählt, dass ein neun Monate altes Mädchen in dem Kinderwagen war. Mit der SZ ist er noch mal zum Ort des Geschehens gegangen. Auf der Zittauer Straße ist immer viel Verkehr. Die Ortsverbindungsstraße zwischen Hörnitz und Großschönau nutzen auch viele Lkw. Wenige Meter neben der Ladentür ist der Bordstein des Fußweges abgesenkt. „Hier muss der Kinderwagen bei dem Gefälle auf die Straße gerollt sein“, vermutet er. Vielleicht war das gut so. Denn wäre er über die Bordsteinkante gerollt, wäre er umgekippt. So aber ging alles noch mal gut. „Ich bin abends ins Bett gegangen und habe zu mir gesagt – heute hast du eine gute Tat vollbracht“, sagt Rainer Rieger.