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Ausländische Pädagogen als Rettungsanker

Der Lehrermangel wird auch an Görlitzer Schulen dramatischer. Quereinsteiger alleine entschärfen die Lage wenig.

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© Nikolai Schmidt

Von Daniela Pfeiffer

Zwölf Lehrer – darunter nur ein echter. So sieht es aus an der Freien Evangelischen Oberschule, die 2015 startete und mittlerweile im Görlitzer Norden drei Klassen unterrichtet: jeweils eine fünfte, sechste und siebente. Der Lehrermangel macht aber auch vor ihrer Tür nicht halt. Im Gegenteil. „Aktuell bin ich der einzige studierte Pädagoge mit erstem und zweitem Staatsexamen bei uns, die meisten anderen sind Quereinsteiger“, sagt Schulleiter Martin Cichon. Den Biologieunterricht deckt er etwa mit einer Mitarbeiterin des Naturkundemuseums ab, Musik gibt jemand von der Musikschule, dazu unterrichten einige Sozialpädagogen. Verschärft hat die Situation zu Beginn dieses Schuljahres die Tatsache, dass ein ausgebildeter Lehrer aus Hamburg, der neu anfangen sollte, plötzlich absagte. 22 Wochenstunden mussten ad hoc neu besetzt werden, und zwar in Technik und Computer, Mathe und Informatik. Mathematik konnte durch einen Grundschulkollegen und durch die Reaktivierung eines Mathe-Lehrers, der eigentlich schon im Ruhestand ist, abgefangen werden.

Sein großes Glück in der Situation sieht der Schulleiter aber vor allem in Pierre Jiji. Der syrische Lehrer stammt aus Aleppo, kam vor drei Jahren nach Deutschland – ganz regulär, nicht als Flüchtling. Pierre Jiji ist ausgebildeter Informatiker, gab bis dato in Dresden Fortbildungen und sprang für den weggefallenen Kollegen spontan ein. Hier an der Freien Oberschule war er schon bekannt, betreute er doch das Ganztagsangebot Informatik. Zurzeit unterrichtet er nun richtig Informatik, habe einen sehr guten Bezug zu den Kindern und wenn es nach Martin Cichon geht, würde er ihn ab nächstem Schuljahr für weitere Fächer anstellen, etwa Technik und Computer.

Leichter wird die Situation nächstes Jahr nämlich nicht. Weil die Oberschule ja im Aufbau ist, kommt jedes Jahr eine Klasse hinzu – jeweils die Abgänger von der Freien Dietrich-Heise-Grundschule. „Natürlich ist die jetzige Situation langfristig nicht haltbar“, sagt Cichon. Weil der deutsche Lehrermarkt leer ist, sucht er nun seit einigen Wochen übers Internet und durch persönliche Kontakte zu Deutschlehrerverbänden gezielt im osteuropäischen Ausland nach Pädagogen. „Wir werden in Sachsen nicht drum herum kommen, auf ausländische Lehrer zurückzugreifen“, glaubt er. Cichon hat selbst 15 Jahre lang in Polen Lehrer ausgebildet und findet, dass die Ausbildung mit der in Deutschland vergleichbar ist. Wie es scheint, ist die Suche erfolgreich. Pädagogen aus Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Litauen und Estland hätten bereits reagiert. Schwierig sei allerdings, dass osteuropäische Lehrer oft nur ein Fach unterrichten. „Jemanden für 26 Wochenstunden zu holen – welche Perspektive geben wir ihm damit?“ Eine Lösung könnte der Austausch mit anderen Schulen sein. Die Freien Schulen in Herrnhut oder Hochkirch hätten ganz ähnliche Probleme, man sei dazu in Gesprächen.

Doch nicht nur den Freien Schulen geht es so, auch etliche staatliche Schulen haben zu rudern. Das Annen-Augustum-Gymnasium in Görlitz beispielsweise. Hier gehen laut Informationen aus dem Elternrat zwei Lehrer zum Halbjahr in den Ruhestand, weitere zwei oder drei im Sommer. Wenn man keine ausländischen Lehrer nehmen könnte, müsste Unterricht ausfallen, soll die Schulleitung gegenüber den Eltern geäußert haben. Eine Reaktion der Schulleitung gab es auf SZ-Nachfrage dazu bislang nicht.

Der Freistaat Sachsen sucht inzwischen auch offiziell nach Pädagogen im Ausland. Zwar hat er in den vergangenen ein, zwei Jahren viele Quereinsteiger eingestellt, doch eine Erfolgsgeschichte oder gar die Lösung des Problems Lehrermangel ist das nicht. Etliche sind inzwischen wieder ausgestiegen. Angela Ruscher von der Bildungsagentur in Bautzen bestätigt, dass auch an Görlitzer Schulen Lehrer aus dem Ausland arbeiten, eine konkrete Übersicht gebe es nicht. „Lehrer, die im Ausland studiert haben, können sich ihren Abschluss in Deutschland anerkennen lassen und sind dann gleich gestellt“, sagt sie. Wichtigeste Voraussetzung: gutes Deutsch. Natürlich sei die Ausbildung überall eine andere, genau wie die Schulsysteme. „Aber es ist schön, wenn wir auf ausländische Pädagogen zurückgreifen können, denn das wir selbst zu wenige ausgebildete Lehrer in der Region haben, ist kein Geheimnis.“

Lothar Bienst, CDU-Landtagsabgeordneter aus Teicha und bildungspolitischer Sprecher der sächsischen CDU, sieht darin ebenfalls eine große Chance. „Da wir in den nächsten Jahren einen Lehrerbedarf zwischen 1 500 und 2 000 Pädagogen haben, müssen wir natürlich alle Möglichkeiten ausloten.“ Die jetzigen Referendare würden nicht ausreichen, diese Lücke zu schließen. Neben weiteren Seiteneinsteigern, die pädagogisch nachqualifiziert werden, seien daher selbstverständlich ausländische Pädagogen willkommen, soweit der Abschluss anerkannt werden kann. Aber auch Änderungen im Bildungssystem sollen die Situation entschärfen. „Dazu gehören kritische Blicke auf Lehrinhalte und Stundentafeln. Wir werden aber keine Qualitätsminderungen zulassen“, verspricht Bienst. Über die Verbeamtung von Lehrern, die allerdings noch nicht beschlossen ist, sollen relativ kurzfristig noch mehr gut ausgebildete Pädagogen nach Sachsen kommen.

Aktualisierung: Alle Lehrer sind anerkannt

Die Freie Evangelische Oberschule Görlitz hat mit Martin Cichon einen Schulleiter, der das erste und zweite Staatsexamen besitzt. „Alle weiteren Kollegen, die hier vor einer Klasse stehen, sind ebenfalls ausgebildete, anerkannte Lehrer und Pädagogen mit Erfahrungen im Unterrichten“, so Cichon. Im oben erschienenen Beitrag „Ausländische Pädagogen als Rettungsanker“ war das missverständlich ausgedrückt worden. „Es gibt heute viele andere Möglichkeiten, um in Schulen als Lehrer zu unterrichten, sei es als Seiteneinsteiger oder als Gastlehrer aus anderen Schulen.“ So hätten die Seiteneinsteiger, die an der Freien Oberschule im Görlitzer Norden unterrichten, alle einen Hochschulabschluss und seien von der Sächsischen Bildungsagentur anerkannt. Zudem arbeiten mit zwei Lehrerinnen der Dietrich-Heise-Grundschule, die an der Oberschule Mathematik unterrichten, weitere staatlich, ausgebildete Lehrerinnen in der Einrichtung. Von der Dietrich-Heise-Grundschule kommen jährlich einige Schulabgänger an die Freie Evangelische Oberschule.

Die Freie Oberschule wurde 2015 gegründet, zurzeit lernen hier jeweils eine 5., 6. und 7. Klasse. Das Anerkennungsverfahren läuft noch. (SZ/dan)