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Ein Bundesbanker ohne Macht

Im Infinus-Prozess hat ein erster Zeuge Klartext gesprochen – und eingeräumt, dass ihm das Gesetz kaum eine Handhabe gewährte.

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© Robert Michael

Von Ulrich Wolf

So einen Mitarbeiter wünscht sich jeder Chef. Zumindest wenn der in ihm keinen potenziellen Konkurrenten fürchtet. Christian Trinks, gelernter Bankkaufmann und studierter Betriebswirtschaftler, ist erst 37 Jahre jung, legte aber im Betrugsprozess um den Finanzdienstleister Infinus von allen bislang zwölf gehörten Zeugen am Landgericht Dresden den souveränsten Auftritt hin. Seit nunmehr zehn Jahren arbeitet Trinks als Beamter in der Bundesbank-Hauptverwaltung in Leipzig, die für die Finanzaufsicht in Sachsen und Thüringen zuständig ist. Und von Beginn an gehörte die Kontrolle des Infinus-Finanzdienstleistungsinstituts (FDI) zu seinen Aufgaben.

Doch was heißt schon Kontrolle? Trinks sagt, er habe zwar die Berichte des Infinus-Wirtschaftsprüfers ausgewertet, Aufsichtsgespräche geführt, die Solidität der Firma und deren Organisation unter die Lupe genommen und die Integrität der Geschäftsleitung geprüft, „aber eine inhaltliche Produktaufsicht gab es seinerzeit in Deutschland nicht“. Die gesetzlichen Änderungen dazu seien erst im vergangenen Jahr angegangen worden.

Transparenz der Bilanzstichtage

Der Beamte spricht klar und strukturiert, gibt auf jede Frage des Richters eine konkrete Antwort. Er kennt die Infinus-Gruppe aus dem Effeff, erinnert sich an die gesellschaftsrechtlichen und personellen Verflechtungen innerhalb des Firmenkonglomerats. „Es entwickelte sich ständig“, sagt Trinks. Die Gruppe sei von Jahr zu Jahr komplexer geworden. Immer neue Firmen mit offensichtlich gleichen Geschäftsgebieten seien hinzugekommen, viele von ihnen mit unterschiedlichen Bilanzstichtagen. „Das hat die Transparenz natürlich nicht verbessert.“ Zudem sei auffällig gewesen, dass Infinus kontinuierlich eigene Geldanlageprodukte herausgab, die gegen den Markttrend sehr hoch verzinst waren. „Da stellt sich immer die Frage, wie schafft der Emittent das, was anderen nicht gelingt?“

Trinks hat sämtliche Treffen zwischen der Bundesbankaufsicht mit Infinus seit 2006 protokolliert. Als Gesprächspartner auf Seiten des FDI seien in der Regel die angeklagten Siegfried Bullin und Jens Pardeike aufgetreten, gelegentlich auch der Hauptbeschuldigte und Gründer Jörg Biehl. Mehrfach hätten die Infinus-Leute beteuert, mit der Liquidität der Firmengruppe gebe es keine Probleme. Grund seiner Skepsis waren Trinks zufolge negative Berichte in der Fachpresse, die bereits 2005 aufgetauchten seien, „dann kamen eigene Zweifel am Geschäftsmodell hinzu“.

Auch das überaus rasante Wachstum „war mir schon zu auffallend positiv“. Auch mit der Finanzierung der langfristig laufenden Versicherungen im Infinus-Bestand mit überwiegend kurzfristig laufenden Schuldscheinen habe er kritisch gesehen. „Wir haben diese Probleme regelmäßig angesprochen, doch in all den Jahren ist es Infinus nicht wirklich gelungen, sich produktseitig breiter aufzustellen.“

Verdacht des Schneeballsystems seit 2007

Im Mittelpunkt der Befragung durch den Vorsitzender Richter Hans Schlüter-Staats stand ein Gesprächs-Protokoll aus dem April 2007. Schon damals habe der Verdacht des Schneeballsystems im Raum gestanden, sagte Trinks. Doch die Infinus-Vertreter hätten definitiv ausgeschlossen, dass Zins- und Tilgungsverpflichtungen für alte Schuldscheine aus den Emissionserlösen neuer Papiere finanziert würden. Dann sagt der Bundesbank-Beamte schmunzelnd: „Damit mussten wir uns zufrieden geben. Welche gesetzlichen Alternativen hatten wir denn?“ In den Jahren darauf sei das Thema Schneeballsystem so konkret jedenfalls nicht mehr behandelt worden.

Die Zweifel jedoch seien geblieben. „So war das Geschäftsfeld Beteiligungen recht nebulös für uns“, sagt Trinks. „Ich fragte mich, warum kündigten Kunden von Infinus ihre Policen, um unmittelbar danach wieder in Infinus-Produkte zu investieren.“ Zudem sei aufgefallen, dass mehrere Firmen aus der Infinus-Gruppe relativ hohe Verluste im Versicherungsgeschäft machten. Das sei mit einer Neubewertung der Bestände begründet worden. „Das wiederum war für mich eine völlig neue Variante der Buchhaltung. Ob das sauber ist oder nicht, dafür trägt der Wirtschaftsprüfer die Verantwortung.“

Bundesbank verständigt Finanzaufsicht im Sommer 2012

Die Bundesbank als Aufsichtsorgan sei nun einmal auf eine saubere und legale Zuarbeit des Prüfers angewiesen. Im Rückblick auf all die Jahre mit Infinus sagt Trinks: „Ich hatte das Gefühl, das uns nur so viel erzählt wurde, wie wir wissen sollten.“ Die Dimensionen seien ihm und seinen Kollegen erst immer im Nachhinein mit den Jahresabschlüssen bewusst geworden. Das betreffe auch das Volumen der späteren In-Sich-Geschäfte. Die klassische Vermittlung von Versicherungsverträgen durch Makler hingegen habe Infinus-Jurist und -Aufsichtsrat Bullin stets nur als „Butter- und Brotgeschäft“ bezeichnet. Der 50-Jährige debattiert daraufhin in einer Verhandlungspause heftig mit gleich mehreren Anwälten.

Trinks zufolge reichte die Bundesbank ihre Unterlagen bereits im Sommer 2012 an die heutige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) weiter, die zuvor allerdings nur für die Einhaltung des Wertpapiergesetze und der Prospekthaftung zuständig gewesen sei. Von der Bafin gingen die Papiere sofort weiter zur Staatsanwaltschaft Dresden, die bereits ermittelte, ehe sie mit einer großangelegten Razzia im November 2013 Infinus lahmlegte. Neben den sechs in Dresden vor Gericht stehenden sechs Ex-Managern sind vier weitere Personen beschuldigt, darunter der Wirtschaftsprüfer und der Steuerberater der Unternehmensgruppe. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, allein zwischen November 2011 und November 2013 bei rund 22 000 Anlegern einen Schaden in Höhe von mindestens 156 Millionen Euro verursacht zu haben.