Merken

Patrouille an Freitals einsamstem Ort

Der Wismut-Stolln zieht sich quer durch Freital. Thomas Lay und Thomas Vetter haben dort einen speziellen Job.

Teilen
Folgen
© Karl-Ludwig Oberthür

Von Tobias Winzer

Thomas Lay piepst. Das handtaschengroße Gerät, das der 52-Jährige vor dem Bauch trägt, meldet sich etwa einmal pro Minute mit einem schrillen Ton und durchbricht das eintönige Rauschen des Wasserlaufes nebenan. „Das heißt, dass alles okay ist“, sagt Lay. Würde sich zum Beispiel zu viel giftiges Kohlenmonoxid in der Atemluft hier unten breitmachen, würde das Gerät seinen Pieps-Rhythmus erhöhen. „Und wenn es gefährlich wird, würde es so richtig Alarm schlagen.“ Unter anderem dafür, dass es so weit nicht kommt, sind Lay und sein Kollege Thomas Vetter an diesem Morgen 60 Meter in die Tiefe gestiegen. Sie sind dafür zuständig, dass Freitals größtes Abflussrohr topp in Schuss bleibt.

Der sogenannte Wismut-Stolln ist ein riesiger, rund drei Kilometer langer Entwässerungskanal, der sich unterirdisch etwa vom ehemaligen Real-Markt an der Burgker Straße bis zum Oppel-Schacht in Zauckerode zieht. Der Bau des Stollns war nötig geworden, weil das Grund- und Regenwasser, mit dem die Grube Gittersee geflutet wurde, nicht von allein den Tiefen Elbstolln und damit die Elbe erreichte. Mit dem Wismut-Stolln wurde diese Verstopfung gelöst. Rund 70 Kubikmeter Wasser je Stunde plätschern seitdem durch die Röhre. Bei starkem Regen können es auch mal hundert Kubikmeter sein.

Warm und feucht

Nachdem im Juni 2014 die letzten Felsen für den Vortrieb gesprengt wurden und die etwa fünf Meter hohe Röhre fertig war, wurde es zunehmend ruhig unter Tage. Im Mai 2015 beendete die Wismut das 22 Millionen Euro teure Projekt nach acht Jahren Bauzeit offiziell. Thomas Lay und Thomas Vetter gehören nun zu den gerade einmal fünf Männern, die noch regelmäßig in dem Kanal unterwegs sind. Einmal im Quartal, so die Vorgabe, schauen sie nach, ob beispielsweise die zehn Zentimeter dicke Spritzbetondecke, mit dem der Fels stabilisiert ist, größere Risse bekommen hat. Oder sie kontrollieren, ob die Belüftung des Stollns noch tadellos funktioniert. „Das macht einen schon stolz, wenn man sieht, was hier geschaffen wurde“, sagt Lay. Wenn der Vermessungsingenieur ausatmet, bilden sich große Wölkchen. 80 bis 90 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen hier unten – bei einer konstanten Temperatur von 15 bis 16 Grad Celsius. Während des Vortriebs war er dafür zuständig, dass an der richtigen Stelle gesprengt wird. „Damit wir dort rauskommen, wo wir hinwollen“, sagt er. Sein Kollege Vetter arbeitete unter Tage zuletzt als Steiger – über Tage würde man Vorarbeiter sagen – und war für die Bewetterung, sprich die Frischluftzufuhr, verantwortlich. Die beiden sind also prädestiniert für ihre neue Aufgabe. Kaum einer kennt die Röhre besser.

„Das ist auch eine schöne Abwechslung zu unserem Bürojob“, sagt Vetter. Denn mit der Fertigstellung des Wismut-Stollns endeten auch die Untertage-Projekte für die Königsteiner Niederlassung der Wismut. Vetter ist nun wie beim Wismut-Stolln für die Kontrolle der fertiggestellten Vorhaben zuständig. Lay arbeitet bei der Wismut weiterhin als Vermessungsingenieur. „Nur eben über Tage.“ Weil man aus Sicherheitsgründen nicht allein in den Freitaler Stolln absteigen darf, sind sie immer zu zweit unterwegs.

Zu Fuß oder mit dem Rad

Bevor die beiden an diesem Morgen die Tür zum Einstieg am Osterberg-Stolln geöffnet haben, waren einige Vorbereitungen nötig. Einen Tag zuvor musste die gewaltige Belüftungsanlage in Gang gebracht werden. Sonst droht unten Erstickungsgefahr. Lay zeigt auf glänzend weiße Stellen auf dem Spritzbeton. An einigen Stellen haben sich sogar kleine Tropfsteine gebildet. „Das ist Gips“, erklärt er. Er entsteht durch die Verbindung von Wasser mit dem Hydroxidanteil im Zement. Ein konstantes Rauschen ist zu hören. Von oben bahnt sich Regenwasser den Weg durch den Fels. Im Stolln plätschert das Wasser aus der Grube Gittersee in einem betonierten Bachlauf.

„Bislang läuft alles so wie geplant“, sagt Vetter. Kleinere Risse im Beton, die durch ganz normale Erdbewegungen entstehen, schließen sich teilweise von allein mit Gips – der Reaktion des Zements mit Wasser sei Dank. „Vielleicht müsste man in zehn Jahren mal etwas machen“, sagt Vetter. Die Qualität des Wassers, das halbjährlich von einem weiteren Team aus drei Leuten untersucht wird, passt auch. Der sogenannte Eisenocker, der das Wasser rot-braun färbt, setzt sich auf seinem Weg durch den Wismut-Stolln und den Tiefen Elbstolln ab. Das Nass, das schließlich die Elbe erreicht, ist gesundheitlich unbedenklich.

Lay und Vetter sind bei ihren Kontrollen meistens zu Fuß unterwegs. Vom Einstieg am Osterberg-Steinbruch wandern sie zunächst einen Kilometer nach Osten zur Verbindung zum Grubenfeld Gittersee. Das Wasser wird dort mittels 45 Meter langer Rohre in den Wismut-Stolln nach oben gedrückt. Dann geht es zurück zum Einstiegspunkt und von dort Richtung Tiefer Elbstolln – noch einmal zwei Kilometer. Anschließend nehmen sich die beiden Experten auch noch den fünf Kilometer langen Elbstolln vor. Macht insgesamt zehn Kilometer Strecke unter Tage.

„Dafür brauchen wir meist zwei Tage“, sagt Lay. „Das Laufen unter Tage ist nicht mit einer Wanderung über Tage zu vergleichen.“ Der Boden ist uneben. Manchmal muss man durch zentimetertiefes Wasser waten. Für gezielte Einsätze im Stolln stehen für die Fachmänner zwei sogenannte Grubenräder bereit, die auf den verlegten Schienen rollen. Es wäre zu teuer, für die wenigen Kontrollgänge hier unten batteriebetriebene Loks zu stationieren. „Die Fahrräder sind eine enorme Hilfe, wenn wir uns zum Beispiel nur eine bestimmte Stelle anschauen wollen“, sagt Vetter. „Aber normalerweise gehen wir zu Fuß. Da sieht man einfach mehr.“

Mittlerweile sind Lay und Vetter wieder an der Einstiegstür am Osterbergsteinbruch angekommen. Ihre Beobachtungen und Messungen werden sie später protokollieren. Wie lang die beiden hier noch so regelmäßig unterwegs sein werden, ist offen. Der jetzige Kontrollrhythmus gilt erst einmal für drei Jahre. Vetter: „Was dann kommt, werden wir sehen.“