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Auf Lagerfelds Spuren

Mit 15 Jahren schneidert der Gymnasiast Max Kunert ein Kleid für den Semperopernball. Jetzt will er nach Berlin.

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© André Wirsig

Radebeul. Eigentlich hat ein Beinbruch überhaupt nichts Gutes. Er tut weh, ist hinderlich und gar nicht erstrebenswert. Eigentlich. Im Fall von Max Kunert liegen die Dinge anders. Ein Beinbruch führte zum absoluten Glücksmoment. Der Krankheitsfall sorgte schließlich dafür, dass der 17-jährige Radebeuler, der in Coswig aufs Gymnasium geht, und ein von ihm entworfenes und geschneidertes Kleid den diesjährigen Semperopernball besuchen konnten.

Max Kunert war einer der Debütanten, das Kleid trug seine Kundin Madeleine Biermann. Ursprünglich wollte sie es bereits ein Jahr vorher auf dem Ball ausführen, doch ein Skiunfall verhinderte das. Den Ballbesuch 2015 musste sie absagen, das Kleid wartete ein Jahr im Schrank. Nun konnte der Schüler seine Kreation im Einsatz sehen – und gleich die nächsten Bestellungen mit nach Hause nehmen. Ein Jungdesigner im Stress.

Ein Faible für Mode haben viele junge Menschen. Doch bei den meisten endet die Begeisterung an den Kassen von H&M, Orsay oder Primark. Bei Max ist das schon immer anders. Mit 13 möchte er nähen lernen. Seine Mutter unterstützt ihn. Gemeinsam stoßen sie im Internet auf das Angebot des Fachbereichs Modedesign der privaten Fachhochschule Dresden. Unter dem Slogan „Design your life“ bietet die Schule im Frühjahr 2012 einen mehrmonatigen Wochenendkurs an, in dem junge Menschen das Entwerfen und Schneidern lernen können. „Ich war im Kurs ein Exot“, erinnert er sich. Um ihn herum viele Mädchen, die alle älter sind als er. Doch der gebürtige Radebeuler weiß, was er tut. Schon zwei Kleider hatte er vorher genäht. Seine Schwester Ann-Luise bekam zum Fasching 2011 ein Mondprinzessinnen-Kostüm von ihm geschneidert. Im Sommer darauf trat eine Freundin bei der Akrobatik-Weltmeisterschaft in Orlando an. Die Aftershow-Party besuchte sie in einem Outfit Marke Kunert.

Zwei Kreationen entstehen während des Kurses bei den Modedesign-Experten. Zum einen das Kleid einer stilisierten Sonne. Zum anderen ein futuristisches Gebilde, bei dem der Rock aus einer Holzplatte mit vielen Stoffstreifen besteht. Da erkennt der Jugendliche zum ersten Mal auch die Tücken der Modekunst. „Bei der Modenschau gab es ein Problem“, erzählt er. „Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass das Model auch wieder vom Laufsteg runter muss.“ Die kantige Holzplatte darf sie kurzerhand hochkant nehmen, damit sie sich durch die Zuschauer schieben kann.

Pfauenfedern dringend gesucht

Nach dem Kurs weiß Max: Modedesign ist sein Ding. Vor allem das Entwickeln der Schnitte macht ihm Spaß. Vorher hatte er sich einfach Schritt für Schritt an die richtige Passform herangearbeitet. Jetzt hat er gelernt, welche Proportionen er beim Entwerfen der einzelnen Teile beachten muss. Wie die Linienführung funktioniert. „Das Spannende an so einem Entstehungsprozess ist aber, dass man bis zum letzten Moment eigentlich nicht weiß, wie das Kleid aussieht.“

Nicht nur das Nähen hat es ihm angetan. Max Kunert tanzt auch sehr gern. Mit seiner Partnerin hat er in der Dresdner Tanzschule Lax schon mehrere Kurse besucht. Für einen Abschlussball hüllt er die Freundin in ein selbst genähtes Kleid. Gemeinsam hatten sie vorher überlegt, wie es aussehen soll. Sie einigen sich auf Rot mit einem tiefen Rückenausschnitt. „Ich möchte eigentlich immer die Weiblichkeit der Trägerin unterstreichen“, erklärt er dazu, und fast klingt es, als höre man einem dieser berühmten Designer im Fernsehen zu. Überhaupt sei es ihm wichtig, dass sich die Frau im Kleid jederzeit wohlfühlt. „Wenn das nicht der Fall ist, hat die Mode versagt.“ Schon wieder so ein Lagerfeld-Moment.

Durch den Abschlussball wird Madeleine Biermann auf das Kleid aufmerksam. Sie ist begeistert von der Arbeit des jungen Modeschöpfers und bestellt eine Robe für den Semperopernball. „Ich war total glücklich, dass sie mich gefragt hat“, sagt Max. Damals ist er immerhin erst 15 Jahre alt. Scheu, für den Ball der Bälle im Freistaat zu schneidern, hat er nicht, und einfache Schnitte und Designs wären ihm zu wenig Herausforderung.

Pfauenfedern und Swarovski-Kristalle sollen es werden. Doch er weiß nicht, wo er qualitativ hochwertige Federn finden soll. „Ich war kurz vorher mit meinen Eltern in der Semperoper beim Ballett“, so Kunert. Ein Tänzer trug ein Kostüm mit unzähligen Pfauenfedern. Also ruft er kurzerhand hinter den Kulissen an und fragt, wie auch er an die Federn kommen kann. „Da waren sie sehr freundlich und haben mir gut geholfen.“ In einer wahren Frickelarbeit klebt und näht er am Ende Abend für Abend die Elemente aufs Kleid auf. 70 Federn und 360 Steine sind es. Manche weiblichen Gäste sind beim Ball so begeistert davon, dass nun auch sie ein Kleid wollen. „Aber die Schule geht erst mal vor“, beteuert der Nachwuchsdesigner.

Nächstes Jahr macht der Schüler sein Abitur am Coswiger Gymnasium. Seine Lehrer können sich schon mal auf eine ganz besondere mündliche Prüfung einstellen. Zwölftklässler dürfen heutzutage ein eigen erdachtes Projekt vortragen und als Prüfung werten lassen. Max hat – natürlich – entworfen und geschneidert.

„Ich bin eben ein Perfektionist“

Bereits vor der Kursstufe hat er eine Facharbeit geschrieben und dafür eine raffinierte Robe kreiert. Sie besteht aus einer schwarzen Hose, einem schimmernden Oberteil mit Neckholder und einem hauchdünnen tellerförmigen Rock. Für das aufwendige Nähen von Letzterem hat er seine Sommerferien zeitweise in der Modedesign-Schule verbracht. Eine eigene Nähmaschine besitzt er trotz seiner Leidenschaft nämlich nicht. Die leiht er sich bis heute aus. Doch die filigranen Stiche für die Facharbeit können auch die Leihmaschinen nicht. Er nutzt seine Beziehungen. Fürs Abitur wird das Projekt nun weiter ausgebaut.

Schon heute weiß Max genau, wie seine Abitur-Präsentation aussehen soll. In seinem Zimmer steht eine Nachbildung der Schul-Aula. Obwohl die Prüfung erst im Frühjahr 2017 stattfindet, ist dort schon zu sehen, wo er Videoleinwände aufstellt, wo der Teppich liegt, auf dem das Model sein Kleid tragen wird, wo der Flügel für die musikalische Umrahmung ist. „Ich bin eben ein Perfektionist“, sagt er fast entschuldigend. Perfekt wäre es auch, wenn er nach der Schule Modedesign studieren könnte. Am liebsten an der privaten Esmod-Universität in Berlin. Die kostet allerdings über 1 000 Euro Studiengebühren pro Monat. Davon lässt sich Max jedoch nicht aufhalten. „Irgendwie kriege ich das hin.“