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Auf der Suche nach Attraktivität

Rund 80 Prozent der Häuser in der Chemnitzer Innenstadt sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Noch immer ist das Zentrum nicht wieder vollständig bebaut. Jetzt wird ein neuer Anlauf genommen - nicht ohne Streit.

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© dpa

Ralf Hübner

Chemnitz. Mit neuen Wohnvierteln, Ladenzeilen, Plätzen und Alleen will das mehr als 870 Jahre alte Chemnitz die letzten städtebaulichen Wunden des Krieges schließen. „Wir wollen die Innenstadt weiter komplettieren“, sagt der Chef des Stadtplanungsamtes, Börries Butenop. Auf seinem Tisch liegen die Vorschläge von vier Architektenbüros. Dabei erhitzt eine Idee des Siegerentwurfs vom Münchner Büro Lohrer.Hochrein Landschaftsarchitekten und Stadtplaner die Gemüter.

Schon Mitte Oktober will das Land mit dem Bau der neuen Universitätsbibliothek beginnen. Der Umbau des denkmalgeschützten Industriegebäudes von 1858 kostet rund 49,5 Millionen Euro und soll Ende 2018 fertig sein. Die Bibliothek ist Teil des geplanten Innenstadt-Campus‘ der Uni, der das Gebiet städtebaulich aufwerten und mit Studenten beleben soll. Zudem ist für Dezember der Baubeginn des neuen Technischen Rathauses geplant, und ab 2017 könnten nach den Vorschlägen des Lohrer-Büros weitere Wohnviertel entstehen. Butenop: „Da lässt sich rasch Baurecht schaffen.“

Anfang der 1990er Jahre war der Münchner Landschaftsarchitekt Axel Lohrer schon einmal in Chemnitz. „Ich habe damals vergeblich ein Stadtzentrum gesucht“, erinnert er sich. Inzwischen habe sich viel getan. Mit einiger Verspätung hatte das Baugeschehen um das Chemnitzer Rathaus Ende der 1990er Jahre Fahrt aufgenommen. In dem von überbreiten Straßen umkreisten und durchschnittenen Gebiet haben renommierte Architekten ihre Handschrift hinterlassen - so Helmut Jahn aus Chicago mit einem gläsernen Kaufhaus oder der Berliner Hans Kollhoff mit der Fassade der Einkaufsgalerie Roter Turm.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Chemnitzer Zentrum zu rund 80 Prozent zerstört. Nach dem Krieg entstanden etwas abseits vom Rathaus eine Stadthalle mit Hotel- und Kongresszentrum sowie einer Parkanlage und vis-à-vis in den 1970er Jahren ein langgestreckter Verwaltungsbau, die sogenannte Parteifalte, mit dem bekannten Karl-Marx-Monument davor - von den Chemnitzern „Nischel“ genannt. In der daneben gelegenen Straße der Nationen entstand mit Hotels, dem Theaterplatz, mit Oper und Kunstsammlungen sowie dem Rektorat der Technischen Universität ein sozialistischer Einkaufsboulevard. Viele der Gebäude sind denkmalgeschützt.

Jetzt ist der Markt am Rathaus wieder bebaut; Marx-Forum, Parteifalte und Straße der Nationen sind an den Rand gerückt. Die Läden auf dem einstigen Boulevard stehen teilweise leer, Gastronomen klagen über zu wenige Gäste und der Theaterplatz, einer der schönsten Plätze der Stadt, liegt verwaist. Lohrer schlägt nun vor, den Rand des Stadthallenparks einem neuen, langgestreckten Gebäude mit Läden, Kneipen oder Galerien im Erdgeschoss zu opfern, um eine Verbindung zu Markt, Rotem Turm und Kollhoff-Einkaufsgalerie zu schaffen sowie die Straße der Nationen wieder zu beleben. „Es muss einen Grund geben, dass dort jemand entlanggeht“, argumentiert er.

Bei einer Podiumsdiskussion gab es prompt Proteste. „Lassen Sie den Stadthallenpark so wie er ist“, rief eine verärgerte Chemnitzerin. Es sei eine schöne Anlage. Sie habe für die Bäume gespendet. „Ich will dort auf gar keinen Fall noch ein Gebäude haben.“ Butenop räumt ein, dass Lohrers Vorschlag Lohrers nicht überall gut ankommt. Aber bei den Geschäftsleuten dort sei die Resonanz gut. „Wir werden nächstes Jahr noch etwas tüfteln“, sagt der Amtschef. „Wir wollen den Park ja erhalten.“

Zudem soll hinter der Parteifalte das sogenannte Theaterviertel entstehen, ein Wohngebiet. Lohrer will Richtung Marx-Forum einen Weg diagonal durch den Stadthallenpark legen und - spektakulär - in den oberen Teil des neunstöckigen Gebäudes einen fast quadratischen, mehrere Etagen hohen Durchbruch schneiden. Der Durchblick soll die Entdeckerlust der Fußgänger wecken und sie auf die anderen Seite des Hauses locken.

Wann und ob diese Ideen Wirklichkeit werden, lässt Butenop offen: „Mittelfristig.“ Doch die Immobilienpreise seien vergleichsweise moderat, es gebe Bevölkerungszuwachs, das Einkommen sei gut und das Interesse der Investoren deshalb hoch. Es gebe viele Anfragen. (dpa)