Merken

Auf der Asche wächst das Glück

Familie Fawas aus Reichenbach ist nach dem schrecklichen Brand im Januar 2016 zurück in der Heimat.

Teilen
Folgen
© Matthias Schumann

Von Ina Förster

Reichenbach. Nelli schmust auf der Couch mit Joschi, dem süßen Siamkater. Beide finden es urgemütlich in der neuen geräumigen Wohnstube. Der Mittagsschlaf ist nah und Nellis Äuglein sind schon ganz klein. Da muss der Schnuller herhalten. Und Joschi ist sowieso ganztagsfaul. Schnurrend räkelt er sich auf der Decke. Katja und Karim Fawas schauen auf die Szenerie. Er legt den Arm um ihre Schulter. Beide lächeln. Das hier ist Familie. Das hier ist Frieden. Lange haben die beiden auf solche Momente gewartet. Auf Ruhe. Tiefenentspannung und Zufriedenheit. Fast zwei Jahre lang hieß ihr Alltag aber: Abreißen, neu planen, bauen, sich sorgen, Probleme beseitigen, in einem Provisorium leben.

An den verheerenden Brand im Januar 2016 in Reichenbach erinnern sich viele noch. Rund 100 Feuerwehrleute waren damals zwischenzeitlich vor Ort. Der Dreiseithof brannte komplett ab. Nur eine Scheune steht heute noch.
An den verheerenden Brand im Januar 2016 in Reichenbach erinnern sich viele noch. Rund 100 Feuerwehrleute waren damals zwischenzeitlich vor Ort. Der Dreiseithof brannte komplett ab. Nur eine Scheune steht heute noch. © Jonny Linke

Im Januar 2016 brannte ihr Haus in Reichenbach nieder. Binnen kurzer Zeit standen etwa 100 Feuerwehrleute auf ihrem Grundstück und selbiges ging in Flammen auf. Der alte Dreiseithof von Katjas Opa, der mit im Gebäude lebte und der aus Versehen die Ofentüre offen gelassen hatte, lag anschließend nur noch in Schutt und Asche. Die Feuerwehr hatte Mühe, das Feuer zu löschen. Auch weil das Haus auf einer Anhöhe lag und die Tanklöschfahrzeuge nicht bis zum Gebäude kamen. Die kleine Nelli war damals gerade zwölf Tage alt. Ein Neugeborenes, das mit Mama Katja und ihrem Lebensgefährten Karim friedlich in einem Zimmer schlummerte, als es passierte. Zum riesengroßen Glück aller wurde Mikos, der damals vierjährige Sohn, wach vom Rauch und wollte wegen seines kratzigen Halses etwas trinken. Dann nahm die Unglücksnacht ihren Lauf. Das halbe Dorf war auf den Beinen. Viele wollten helfen – gleich und noch Wochen später. „Ich habe zitternd mit meinen Kindern im Auto gesessen und konnte nur noch denken: Wann hört das hier auf“, erinnert sie sich. Die Familie zog vorübergehend nach Kamenz, wo Karim Fawas auch seinen Autohandel betreibt. „Ich wollte aber von Anfang an zurück ins Haselbachtal.“ Die Natur, die Ruhe hier, Platz zum Grillen und zum Spielen für die Kinder – das war es, was man geliebt hat. Gerade hatte die junge Familie sich die kleine Wohnung in Opas Haus ausgebaut. „Aufgeben kam überhaupt nicht infrage!“

Kerzen sind verboten

Katja Fawas denkt heute ungern an alles zurück. Und doch bestimmt das schreckliche Erlebnis viele Dinge im Alltag. „Wir haben in unserem neuen Heim überall Rauchmelder angebracht. Kerzen sind verboten – nicht einmal zu Weihnachten wird gelichtelt. Da müssen wir einfach durch“, erzählt die 24-jährige Mama. Ein gebranntes Kind scheut halt das Feuer. Wie nah an der Realität diese alten Weisheiten doch sind. Auch der kleine Lebensretter Mikos hat sein tolles Feuerwehrbett gegen einen ebenso tollen Schlaf-Rennwagen ausgetauscht. Mit Sirenen und Schläuchen wollte er nichts mehr zu tun haben. Manchmal erinnert der heute Sechsjährige sich zurück an die Schreckensnacht. Dann kann ihn Katja nur beruhigend streicheln. Und das neue Haus? Das steht genau auf der Brandstelle. Vor knapp einer Woche wurde zünftig Einzug gefeiert. Mit Freunden, Nachbarn, Gemeindevertretern und Handwerkern. Anders sieht es jetzt aus. Ein Neubau in frischem Grünton, der Blicke auf sich zieht. Irgendwann möchte Katjas Opa (83) sich alles anschauen. Er lebt mittlerweile im Pflegeheim. Der Kamenzer Architekt Jörg Hehl erklärte sich damals bereit, die Planung zu übernehmen. Seine Handschrift erkennt man überall: klare Linien, großzügige Fensterfronten, ökologisches Bauen. „Für die Erdwärme haben wir zweimal 110 Meter in den Berg hinein gebohrt“, sagt Katja. Das war es wert.

Nur ein paar Erinnerungen gerettet

Die Chemie zwischen den Bauherren und ihrem Architekten stimmte jedenfalls von Anfang an. „Ich habe ihm gesagt, dass ich die Grundrisse des ehemaligen Dreiseithofes gern irgendwie in das neue Heim übertragen hätte“, meint die Reichenbacherin. Nun steht es spiegelverkehrt auf der Anhöhe. Und doch erinnert nichts mehr an den uralten Dreiseitenhof, der komplett abgerissen werden musste. Der Versicherungsvertreter drang gar nicht weit vor, um zu wissen, dass hier nichts mehr zu retten ist.

Katja Fawas ist damals im kalten Januar trotzdem zurück gekehrt. Auf der Suche nach Erinnerungen. Die junge Frau kämpfte sich durch den gefrorenen Klumpen aus verkohlten Brettern und Möbeln. Ein ganzes Leben – plötzlich weg. „Ich musste da rein, auch wenn es gefährlich war“, sagt sie. Und sie wurde fündig: Zwei Besteckkästen der Oma rettet sie, von dessen Gabeln, Messern und Löffeln alle heute täglich essen. Und da lag diese gerahmte Luftaufnahme des Hofes. „Unter den Trümmern plötzlich dieses Bild. Unverkohlt, unversehrt von den Wassermassen. Das war ein Zeichen der Hoffnung für mich“, sagt Katja Fawas heute. Sie hat das Original von Fotografin Henriette Braun vergrößern und rahmen lassen. Es bekam einen Ehrenplatz.

Vieles hat sich seitdem verändert. Mittlerweile ist Katjas Mama mit ihrem Mann in einen Anbau eingezogen. Auch für die Kinder ist das gut. Hinter der stehengebliebenen Scheune sollen bald Hühner einziehen und ein Hund im Garten toben. Spielgeräte zeugen von Frohsinn und Lebensfreude. Und Karim grillt wieder. Stolz schauen die Eheleute sich um. Dass sie inzwischen verheiratet sind, hat auch mit der Schicksalsnacht zu tun. „Wir merkten, dass wir überhaupt nicht abgesichert sind. Was ist mit den Kindern, wenn etwas passiert“, überlegten sie. Das Paar wuchs zusammen im Leid. Mit viel Liebe füreinander und Zutrauen in die eigene Kraft.

Wünsche bleiben. Doch auf der Asche wächst das Glück. Katja würde sich gern in Reichenbach selbstständig machen. Erste Ideen gibt es. Und die langersehnte Urlaubsreise nach Afrika ist in Planung. Karim, der aus dem Libanon stammt und 2007 von Düsseldorf nach Kamenz kam, verbrachte auch zehn Jahre seines Lebens in Senegal. Außerdem wünscht sich der 36-Jährige noch ein gemeinsames Kind. Aber vorher Ruhe. Viel Ruhe …