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Arzt schließt Praxis aus Protest

Weil er im Einsatz als Notarzt geblitzt und mit einem Fahrverbot belegt wurde, will der tschechische Arzt Vratislav Prejzek Görlitz verlassen - seine Patienten laufen Sturm.

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© Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Von Daniela Pfeiffer

Die Welle der Entrüstung ist groß. Seit Vratislav Prejzek ein Schreiben veröffentlich hat, in dem er die Schließung seiner Hausarztpraxis in Görlitz ankündigt, laufen Patienten Sturm und Medien dem tschechischen Arzt sprichwörtlich die Bude ein. Der 34-Jährige wurde Anfang Januar auf der Girbigsdorfer Straße geblitzt. Seine Strafe: zwei Punkte in Flensburg, 308 Euro Bußgeld und zwei Monate Fahrverbot. Letzteres ist für ihn das Schlimmste, denn der Allgemeinmediziner und Internist kommt jeden Tag aus dem tschechischen Rumburk nach Görlitz gefahren – das sind jeden Tag um die 120 Kilometer.

Vratislav Prejzek macht es gern, weil er gern Arzt ist und die Stadt mag. Außerdem laufe die Praxis super, bestätigen seine Schwestern. Um die 1 900 Patienten haben ihn im letzten Quartal aufgesucht. Er schätzt, dass er insgesamt für 5 000 bis 6 000 Patienten Ansprechpartner ist. So ganz genau könne man das nicht sagen.

Jedem, der in den vergangenen Tagen bei ihm war, hat er ein Schreiben mitgegeben, in dem er erklärt, warum er seine Praxis zum 30. Juni schließen werde. Er will, dass die Menschen ihn verstehen. Deshalb schreibt er ausführlich auf, was am 6. Januar und danach geschah.

84 km/h in 30er-Zone

An jenem Sonnabend hatte Vratislav Prejzek Bereitschaftsdienst. „Ich wurde von einem Rettungsassistenten zu einem Notfall nachgefordert“, schreibt er. Es war somit ein außerplanmäßiger Notarzteinsatz. „Es war Eile geboten, da Lebensgefahr hätte bestehen können“, sagt er. Die Anzeichen beim Patienten, Luftnot im Ruhezustand und Ödeme an den Unterschenkeln, ließen den Verdacht auf Herzversagen aufkommen. Zum Glück bestätigte sich dies nicht, aber er habe die Lage als mutmaßlich gefährlich eingeschätzt und sei deshalb schnell gefahren, sagt Vratislav Prejzek. Laut Bußgeldbescheid vom städtischen Ordnungsamt 84 Kilometer pro Stunde in der 30er-Zone.

Die Quittung gab es später vom Ordnungsamt. Da half auch keine Bestätigung von Jens Schiffner, dem Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes im Landkreis Görlitz. Dass selbst diese Bestätigung das Ordnungsamt nicht interessierte, verärgert Vratislav Prejzek. Denn für ihn legitimiert dieses Schreiben seine Geschwindigkeitsüberschreitung. Das Ordnungsamt hätte hier kulant sein können, glaubt er.

Doch dieses beruft sich auf die Paragrafen. Die Inanspruchnahme von Sonderrechten sei deutlich geregelt, schreibt Chefin Silvia Queck-Hänel auf SZ-Nachfrage. Nur wenn Fahrzeuge gesondert gekennzeichnet sind, seien sie von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Privatfahrzeuge des Rettungspersonals unterliegen dieser Regelung zunächst nicht – es sei denn, die Inanspruchnahme der Sonderrechte werde durch die Leitstelle gesondert angeordnet. Darüber hinaus sei zu beachten, dass besondere Eile geboten sein muss. „Nach den dem Ordnungsamt vorliegenden Angaben der Rettungsleitstelle, die der Betroffene hier jederzeit einsehen kann, war das so nicht der Fall“, so Queck-Hänel. „Aus diesen Angaben der Rettungsleitstelle lässt sich auch kein Notstand ableiten, der die Geschwindigkeitsüberschreitung rechtfertigt.“ Und die Ordnungsamtschefin beteuert, gerade in solchen Fällen hinterfrage die Behörde sehr genau, was der Anlass des Einsatzes war. „Nach sachlicher Wertung unserer Ermittlungen sowie sämtlicher Umstände des Einzelfalles war der Erlass des Bußgeldbescheides mit Festsetzung des Fahrverbotes sowie Punkte aus Sicht der Verwaltung gerechtfertigt.“ Bis zur Rechtskraft des Bußgeldbescheides könne der Betroffene aber Einspruch einlegen.

Für den Görlitzer Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Robby Marek, ist der Sachverhalt verkehrsrechtlich relativ eindeutig zu beurteilen: Der Arzt könne die seltene Ausnahme des rechtfertigenden Notstandes als Notarzt für sich in Anspruch nehmen, weil er im Rahmen des von der Kassenärztlichen Vereinigung organisierten Notarztsystems in Kenntnis einer lebensbedrohlichen Situation für den Patienten gehandelt habe. „Er überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit, um schneller am Einsatzort einzutreffen“, sagt Marek. Würde der Arzt Einspruch gegen den Bescheid erheben, hätte das Ordnungsamt das Verfahren einzustellen, wenn es die Notstandssituation entsprechend des Gesetzes würdigt. „Anderenfalls wird ihn der Bußgeldrichter später mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung gänzlich auf Kosten der Staatskasse freisprechen.“

Aber Vratislav Prejzek will auf keinen Fall Widerspruch einlegen. Denn dann würden sich weitere Mitarbeiter im Amt mit dem Fall befassen – Mitarbeiter, die von seinen Steuern mitbezahlt würden. „Von einem Neun-Stunden-Arbeitstag arbeite ich drei Stunden für solche Leute. Die ernähre ich mit“, sagt er.

Aber was wird nun aus ihm, aus den drei Schwestern in seiner Praxis, aus den Patienten? Darauf antwortet der Arzt eher ausweichend. Für die Schwestern wird wohl nur die Kündigung bleiben, um die Patienten tut es ihm ebenfalls leid. Zu vielen hätte er ein gutes Verhältnis. Und das bestätigen einige Patienten, die sich aufgelöst an die SZ gewendet haben.

Patienten am Boden zerstört

Unter ihnen Erika Streitzig, die in der Nähe der Praxis wohnt. „Wir sind von ihm immer bestens versorgt worden, teils über die Öffnungszeiten hinaus. So einen Arzt finden Sie nie wieder“, sagt sie traurig. Als sie von den Schließungsplänen hörte, klemmte sie sich sogar selbst hinters Telefon, rief im Rathaus an, telefonierte mit Jens Schiffner vom Rettungsdienst. Dass sie im Rathaus hören musste, Gesetz sei Gesetz, habe sie „richtig sauer“ gemacht. „Wir waren so froh, als Dr. Prejzek sich hier niederließ, nachdem vorher drei Ärzte von hier nach Rauschwalde gewechselt waren.“ Sie hoffe, dass sich alles noch zum Guten wende.

Aber es sieht nicht gut aus. Er habe eine gute Perspektive in der Heimat, sagt Vratislav Prejzek, ohne diese näher benennen zu wollen. Damit er seine Entscheidung rückgängig mache, müsste viel passieren: Zumindest müsste der zuständige Sachbearbeiter im Ordnungsamt für seinen Fehler bestraft werden, sagt der Arzt. „Wenn ich bei einem Patienten Krebs übersehe, werde ich auch persönlich dafür haftbar gemacht.“