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Archäologen legen Turm frei

Alte Görlitzer Postkarten zeigen noch den spätmittelalterlichen Geschützturm an der einstigen Stadtmauer. Nun taucht er bei Grabungen wieder auf – und durchkreuzt damit die Pläne für das Grundstück.

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© dpa/Monika Skolimowska

Von Miriam Schönbach

Görlitz. Aus luftiger Höhe vom Kran zeigen sich die gigantischen Ausmaße des gerade neuentdeckten und nun auch freigelegten spätmittelalterlichen Turms in der Hugo-Keller-Straße in Görlitz. Zur Stadtseite messen die Granitmauern 1,60 Meter. Gegenüber zur Nikolaivorstand erstreckt sich der Lausitzer Stein sogar in einer Stärke von 3,40 Meter. „Bis Juni wussten wir nicht, ob der Turm während des Abbruchs der Stadtbefestigung Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls abgetragen wurde. Nun sind wir über den hervorragenden Zustand des etwa 500 Jahre alten Bauwerks überrascht“, sagt Thomas Westphalen, Abteilungsleiter der Archäologischen Denkmalpflege am Landesamt für Archäologie Sachsen.

Die Geschichte der Entdeckung dieser fast vergessenen Trutzburg, die 1641 im Dreißigjährigen Krieg sogar dem Angriff der kaiserlich-kursächsischen Truppen trotzen konnte, während im Inneren die Schweden lagerten, beginnt im Juni dieses Jahres. Damals begleitet Grabungstechniker Matthias Gutsche die Aushubarbeiten auf dem Platz knapp hinter der ehemaligen Stadtbefestigung. Eine Abwasserleitung soll verlegt werden. Der Bagger frisst sich in die Erde, plötzlich kommen ein paar Steine zum Vorschein. Je weiter sich das Baugerät voran gräbt, wird immer mehr sichtbar. „Aufgrund der halbrunden Form wussten wir, dass es sich hier um das Turmfundament handeln muss“, sagt Gutsche. Die archäologische Sensation war perfekt.

Schließlich wurden mit den Erweiterungen der Städte im 19. Jahrhundert neben den Stadtmauern in vielen Fällen auch die Türme abgetragen. „Als die Städte sich entfestigten, galten die alten Stadtgrenzen als Einengung. Häufig wurde das abgebrochene Baumaterial sogar anderenorts wiederverwendet und die Türme bis unter das Fundament abgebrochen“, sagt Christoph Heiermann, Pressesprecher beim Landesamt für Archäologe. Ein ähnlich spektakulärer Fund in Sachsen ist ihm nur aus Dresden bekannt. Anfang 2000 sei dort beim Bau eines Parkhauses ein ähnlich gut erhaltener Turm gefunden worden.

Diesen hervorragenden Zustand erklärt sich Westphalen mit der Weitsicht der Stadtväter seinerzeit. Er vermutet, dass bereits damals die Zuständigen sich für einen Erhalt des Bauwerks entschieden und es durch das Zuschütten mit Bauschutt über die Jahrhunderte sicherten. Denn Erde konserviert, wissen die Archäologen. Bis über eine Nutzung des freigelegten Rondells entschieden ist, soll nach Ende der Grabungsarbeiten der Turm mit Planen von den Witterungseinflüssen geschützt werden.

Ausgegraben haben die eindrucksvolle Ruine drei Mitarbeiter des Landesamtes für Archäologie unter der Leitung der Grabungsleiterin Nicole Eichhorn. Allerdings haben sie nicht wie bei anderen archäologischen Grabungen mit Schaufel und Pinsel gearbeitet. „Den Bauschutt mussten wir zentnerweise mit dem Bagger beiseite räumen“, sagt die Archäologin. Mit ihren Kollegen ist sie seit knapp vier Wochen mit der Freilegung des einstigen Geschützturmes beschäftigt. Doch die Forschungen sollen weitergehen. „Wir vermuten, dass der Turm um 1500 errichtet wurde. Wir hoffen, dass wir nun noch einige Fakten zu ihm im Stadtarchiv finden“, sagt Westphalen. Anhand von Postkarten lasse sich seine Existenz etwa noch bis in die Zeit kurz nach 1850 datieren. Die Abbildungen zeigen ihn fast genauso, wie er nun ausgegraben auf seine weitere Verwendung wartet.

Die Entdeckung des „Dokuments der Stadtgeschichte“, wie der Görlitzer Baubürgermeister Michael Wieler sagt, hat nun Konsequenzen für das ursprüngliche Bauvorhaben. „Wir müssen uns dem guten Erhaltungszustand stellen. Das Parkplatzprojekt an dieser Stelle ist so nicht mehr durchführbar“, sagt Wieler. Die Stadt wolle das Bauwerk sichtbar erhalten. Ein Konzept müsse nun erarbeitet werden. (dpa)