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Anwohnerin erhebt schwere Vorwürfe

Die Probleme an der Rothenburger Straße in Görlitz waren bekannt, sagt eine Rentnerin. Sie hat der Stadt sogar angeboten, ihr Haus für die Baustelle abzureißen.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Auf die Baufirma in der Rothenburger Straße lässt Ursula Dienel nichts kommen. „Die Männer machen eine sehr gute Arbeit“, sagt die 72-Jährige, die ihr ganzes Leben in dieser Straße gewohnt hat. Trotzdem ist sie mit dem Baufortschritt unzufrieden. Zweimal hat die Stadt den Eröffnungstermin verschoben. Nun nennt das Rathaus gar kein konkretes Datum mehr. „Beide Probleme waren vorher bekannt“, sagt Ursula Dienel: „Es hätte nur vor Baubeginn gründlicher geplant werden müssen.“

Das eine ist der Goldstollen, bei dem während der Bauphase ein zusätzlicher Schacht freigelegt wurde, von dessen Existenz nach Aussage der Stadt niemand wusste, weil er überbaut war. „Stimmt nicht“, sagt Ursula Dienel: „Ich wusste von dem Schacht.“ Zudem habe die Bergsicherung im Vorfeld zwei Jahre lang an dem Goldstollen gearbeitet: „Auch denen muss der Ausstieg bekannt gewesen sein.“ Tiefbauamtsleiter Torsten Tschage hält weiterhin dagegen: „Der Aufbau des Schachtes war nicht bekannt und wäre vor Baubeginn nur mit sehr großem Aufwand zu erkunden gewesen.“ Erst mit dem Abbruch der alten Stützwand hätten die Grundlagen für die neue Wand ermittelt werden können. So steht hier also Aussage gegen Aussage.

Anders ist es bei dem zweiten Problem: Eine jahrhundertealte Scheune oberhalb der Straße musste sehr aufwendig gesichert werden, damit sie nicht in die Baustelle stürzt. Die Scheune hatte kein Fundament. Das sei aber vor der Baumaßnahme nicht bekannt gewesen, hatte die Stadt argumentiert. Ursula Dienel hält auch das für falsch: „Da hat vorher einfach keiner nachgeschaut.“ Die Scheune sei unterkellert, da hätten die Planer ganz einfach herausfinden können, dass es kein Fundament gibt. Der Baufirma sei kein Vorwurf zu machen: „Die Planer hätten gründlicher arbeiten müssen.“ Hier äußert sich Tschage zurückhaltender: „Aus den vorliegenden Unterlagen ist nicht erkennbar, dass es eine solche Aussage gegeben hat.“ Andererseits sagt der Amtsleiter nicht, dass die Planer bereits im Vorfeld alles unternommen hätten, um Klarheit zu bekommen. Nur: Eine Voruntersuchung mit Grabungen wäre eben teuer gewesen, argumentiert Tschage.

Eigentümer der Scheune ist Andreas Dienel, ein entfernter Verwandter von Ursula Dienel. Er sagt, er habe nicht gewusst, dass das Fundament fehlt: „Aber man hätte es auf jeden Fall langfristig vorher recherchieren können.“ Die Planung für den Straßenbau habe vor Jahren begonnen: „Das Fundament wurde dabei nie untersucht.“ Die Scheune sei sehr alt: „Aus der Erfahrung der Bauleute heraus war es denkbar, dass Häuser aus dieser Zeit kein Fundament haben.“ Der Keller stehe im Übrigen schräg unter der Scheune, also in keiner Flucht mit der Scheunenwand. Mit der Arbeit der Bauleute ist auch er zufrieden. Die Scheune sei gut gesichert worden und habe dabei keinen Schaden genommen.

Nach Aussage von Ursula Dienel wäre dieser Aufwand überhaupt nicht nötig gewesen: „Ich habe der Stadt schon zu Beginn der Planungen angeboten, mein Haus abzureißen.“ Es steht sehr nah – eigentlich zu nah – an der Straße, und zwar schräg gegenüber der Scheune. Wäre das Wohnhaus weg, dann wäre viel mehr Platz für den Straßenbau vorhanden gewesen und die Bauleute hätten gar nicht so nah an die Scheune des Nachbarn herangehen müssen. Allerdings sei die Stadt nicht auf ihr Angebot eingegangen, obwohl entsprechende Unterlagen schon aus DDR-Zeiten vorhanden seien. Tschage bestätigt, dass die Rentnerin das Angebot gemacht hat: „Nach Abschätzung der zu erwartenden Kosten wurde diese Variante aber nicht weiterverfolgt.“ Ursula Dienel hält dagegen: „Ich denke nicht, dass der Straßenbau dadurch teurer geworden wäre.“ Die hohen Kosten für die Sicherung der Scheune und eines weiteren Nachbargrundstücks wären jedenfalls nicht angefallen. Die Stadt hätte ihr natürlich ein neues Haus auf dem vorhandenen großen Grundstück bauen müssen: „Aber ein kleineres Haus hätte mir gereicht.“ Die Kosten hätten geschätzt werden müssen, aber zu einer solchen Schätzung sei es nie gekommen.

Nein, ist es tatsächlich nicht, sagt Tschage. Der Vorschlag sei eine Überlegung wert gewesen. Doch schon nach einem groben Überschlag der Zahlen habe festgestanden, dass Abriss und Neubau des Hauses mit Sicherheit deutlich teurer geworden wären als die jetzt durchgeführten Arbeiten an den Gebäuden auf der anderen Straßenseite. Abriss und Neubau könnten je nach Qualität 300 000 bis 500 000 Euro kosten: „Mit dem, was wir jetzt gemacht haben, liegen wir deutlich darunter.“ Eine genaue Zahl stehe aber noch nicht fest.

Frühestens ab 29. August soll die Rothenburger Straße einspurig freigegeben werden – mit einer Baustellenampel wie vor der Bauzeit. Gleichzeitig wird die Nieskyer Straße zur Baustelle – ebenfalls einspurig befahrbar und mit einer Baustellenampel geregelt. SZ-Leser Bernd Weist wundert sich über diese Pläne: „Wäre es nicht besser, auf Ampeln zu verzichten und stattdessen die eine Straße generell stadteinwärts freizugeben und die andere stadtauswärts?“ Dann gäbe es in keiner Straße Staus durch Ampeln, argumentiert Weist. Tschage stimmt dem zu: „Grundsätzlich ist diese Aussage richtig. Die Einrichtung von Einbahnstraßen ist das Ziel.“ Allerdings seien noch nicht alle Details besprochen. Bauherr an der Nieskyer Straße ist nicht die Stadt, sondern der Freistaat. Die Verkehrsführung sei bisher noch nicht beantragt. Das passiert spätestens zwei Wochen vor Baubeginn. „Unser Favorit wären aber auch zwei Einbahnstraßen“, so Tschage.