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Alles nicht der Rede wert?

Nichts ist der Rede wert! Irgendwie möchte Gundula Koepke ihren Mitmenschen dieses Gefühl vermitteln. Dass sie in Oxford zur Schule kam – und gleich in die zweite Klasse. Dass sie mal ein halbes Jahr in Barcelona zur Schule ging.

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Von Carola Lauterbach

Nichts ist der Rede wert! Irgendwie möchte Gundula Koepke ihren Mitmenschen dieses Gefühl vermitteln. Dass sie in Oxford zur Schule kam – und gleich in die zweite Klasse. Dass sie mal ein halbes Jahr in Barcelona zur Schule ging. Dass sie, seit sie 14 ist, nicht mehr zu Hause wohnt, sondern im Internat. Dass sie seitdem nicht in Bonn die Schulbank drückt, sondern über 500 Kilometer entfernt am Sächsischen Landesgymnasium St. Afra in Meißen. Dass sie ebenfalls mit 14 ein halbes Jahr allein nach China ging, um zu lernen. Dass sie erst 16 ist und die 12. Klasse besucht. Dass sie frisch gekürte Bundessiegerin im „Mehrsprachenwettbewerb der Oberstufenschüler“ ist: Chinesisch, Spanisch, Englisch.

Mentorin: „Gundi geht leise durchs Leben“

Alles nicht der Rede wert? Na ja, sagt Gundula sehr oft. Im Sinne von „ist doch nichts Besonderes“. Das vor allem möchte sie nicht sein – etwas Besonderes. Das hübsche, schlanke Mädchen, das in Jeans und karierter Bluse bisschen was von einer Leistungssportlerin hat, ist keineswegs unfreundlich. Nein. Auch nicht spröde. Zurückhaltend eher. Sehr zurückhaltend. Sie antwortet höflich, doch es sprudelt nicht aus ihr heraus. Ist sie denn nicht ein bisschen stolz auf das alles? Darüber scheint sie allen Ernstes noch nie nachgedacht zu haben. Ihre Internatsmentorin Evangelina Gonzalez, mit der sich Gundula fließend Spanisch unterhält, wird das später so auf den Punkt bringen: „Gundi geht leise durchs Leben. Sie ist aber sehr präsent.“ Und: „Gundi gehört hierher.“

Auf Oxford und Barcelona hatte das Kind Gundula natürlich keinen Einfluss. Ihr Vater ist Mathematikprofessor an der Uni Bonn. Und wenn er zu Forschungszwecken ins Ausland ging, gingen die Ehefrau und die fünf Kinder halt mit.

Gleich nach Barcelona kam aber Meißen. Hatte sie auch darauf keinen Einfluss? Gundulas Mutter war auf das Gymnasium für besonders Begabte an der Elbe aufmerksam geworden. „Wenn ich nicht gewollt hätte, hätten mich meine Eltern nicht hierher geschickt“, sagt das Mädchen.

Die Frage, wie es eigentlich so ist als Hochbegabte unter lauter Hochbegabten, schmeckt ihr überhaupt nicht. Die Mundwinkel rutschen jetzt leicht nach unten. Man sieht förmlich, wie sie dieses „Hochbegabt“ im Kopf hin und her wälzt. Endlich hat sie die Worte gefunden. „Der große Unterschied dieser Schule zu anderen ist, dass hier mehr Motivation bei den Schülern da ist. Hier wollen alle lernen.“

Gundula gehört zu den „Schülern der ersten Stunde“ an dieser schon besonderen staatlichen Bildungseinrichtung. Dass gerade auf die Noten dieses ersten Afra-Abitur-Jahrgangs besonders gesehen wird, daran hat sie keinen Zweifel. Gundula macht im Sommer ihr Abi. Schon Bammel? Sie lächelt. Das heißt vermutlich: Nein, wieso?

Chinesische Zeitungen sind kein Problem mehr

Überhaupt scheint sie dieses Gefühl nicht zu kennen. Wäre sie sonst nach China gegangen, mit 14, allein, ein halbes Jahr? Die Affinität zu dieser fernöstlichen Kultur und Sprache hat sie seit der Grundschule in Bonn. „Da hatte ich eine chinesische Freundin.“ Deshalb nahm sie bisschen Chinesisch-Unterricht. „So zum Spaß.“ Ein chinesischer Gast in St. Afra schließlich habe es ermöglicht, dass sie ab Februar 2002 für sechs Monate nach Shanghai, Peking und Südchina gehen konnte.

Ein bisschen taut die 16-Jährige jetzt beim Erzählen auf. Rund 200 chinesische Schriftzeichen habe sie beherrscht, als sie in China ankam. Nach dem halben Jahr sind es fünfmal so viele. Sie könne die Zeitung lesen, sagt sie, das ginge schon. Aber, als habe sie sich damit zu weit herausgehängt, kommt die Keule: Ein normaler Chinese beherrsche drei- bis viertausend Zeichen.

Dann schwelgt sie noch ein wenig in der Erinnerung. Gewohnt hat sie im Internat und bei Gastfamilien. Vormittags besuchte sie die Grundschule, um Zeichen zu lernen. In verhältnismäßig kurzer Zeit arbeitete sie sich von der ersten bis zur vierten Klasse hoch. Am Nachmittag nahm sie in der Oberstufe, also bei Gleichaltrigen, am Unterricht teil. „Klausuren musste ich aber nicht mitschreiben.“ Ihr sei überall sehr viel Respekt entgegengebracht worden, von den Schülern und von den Lehrern. Das Schulsystem an sich hält sie für viel strenger als alles, was sie bis dahin kennen gelernt hat. „Wenn ein kleiner Junge bisschen gestört hat, musste er die ganze Stunde über vor der Klasse stehen und wurde von den Lehrern so richtig runtergemacht. Das fand ich gemein.“

Dass ihr China-Aufenthalt sich in so besonderer Weise für sie auszahlen könnte, hat das Mädchen nicht geahnt. Es verstand sich irgendwie von selbst, am Bundes-Mehrsprachenwettbewerb teilzunehmen. Dennoch hatte Gundula nicht erwartet, in die alles entscheidende vierte Runde zu kommen. Schon gar nicht, zu siegen an jenem 24. November in Braunschweig. „Wir waren vier Schüler in einer Gruppe“, erzählt sie. Eine Dreiviertelstunde sollten sie – alle mehrsprachig – über das Thema Fortschritt im weitesten Sinne diskutieren. Gundula in Chinesisch, Spanisch und Englisch. „Das war schon verwirrend, ich wusste gar nicht, in welcher Sprache ich denken sollte.“

Als Preisträgerin ist sie nun in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen worden. So erhält sie ein Stipendium, das sie nicht zurückzahlen muss. Natürlich freut sie sich darüber. Was sie denn studieren wird? Sinologie? Sie zuckt die Schultern. „Ich glaube, lieber Naturwissenschaften.“ Genaueres wisse sie wirklich noch nicht.

Hat Gundula eigentlich Freizeit? „Natürlich.“ Seit über zehn Jahren spielt sie Cello. Hingebungsvoll und sehr gut, wie ihr nachgesagt wird. Ein Wunderkind? Über Gundulas Nasenwurzel wachsen Zornesfalten. Zusehends.