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Allah und die Behörden

Muslime haben einen neuen Treffpunkt in Görlitz. Das ruft die Bauaufsicht auf den Plan – und den Verfassungsschutz.

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Von Frank Seibel

Die Schaufenster versperren den Blick. Hinter den weiß verklebten Scheiben heben sich schemenhaft Bücherstapel ab. Das macht das unscheinbare Eckhaus am Rande der Innenstadt auf einmal interessant. Seit einigen Wochen gehen hier Menschen ein und aus, Männer vor allem. Wenn weißes Neonlicht die Fenster erhellt, dann kann man manchmal ein Murmeln hören. Kaum merklich. Bis ein Ruf sich aus dem Murmeln abhebt und den einstigen Laden aus Görlitz in eine andere Welt zu verwandeln scheint. „Allahu akbar“ ruft ein Mann.

Görlitz hat eine Moschee. Offiziell heißt sie „Begegnungsstätte“ – aber „offiziell“ ist auch kein richtiges Wort. Denn noch gibt es keine formelle Genehmigung, weder für eine Moschee, noch für einen Gebetsraum oder eine Begegnungsstätte. Das bestätigt der zweite Vorsitzende der „Sächsischen Begegungsstätte“ (SBS), Muhammed Wellenreuther. Die SBS ist als gemeinnütziges Unternehmen in Dresden registriert und hat die Räume im Erdgeschoss des Eckhauses in der Spremberger Straße angemietet. Die Stadtverwaltung wusste davon zunächst nichts und wurde erst von Bürgern darauf hingewiesen. Auf „Facebook“ geht es seit einer Weile hin und her: „Sekte, Scharia, Sexismus!“ warnen die einen, „Religionsfreiheit, Grundgesetz“, erwidern andere.

Die Männer hinter den blinden Scheiben geben sich freundlich und aufgeschlossen. Sie kommen aus Algerien, Syrien, Somalia, dem Irak. Nicht alle sind Flüchtlinge. Manche leben schon eine ganze Weile in Deutschland und sprechen die Sprache recht gut. Sie alle haben ihre Schuhe gleich neben der Tür in ein Regal gestellt. Der dicke braune Teppich, der beinahe den gesamten Boden des früheren Verkaufsraums bedeckt, darf nicht mit Schuhen betreten werden. Ansonsten gibt es zwei Elemente, die den Raum von vermutlich allen anderen in Görlitz unterscheiden: Ein etwa zwei Meter hoher und ein Meter breiter Turm aus dunklem Holz, auf dem eine Kuppel mit Halbmond sitzt, und, links daneben, eine Art Ein-Mann-Bühne, ebenfalls aus dunklem, geschnitztem Holz; eine kleine Treppe führt auf das Podest hinauf, auf dem ein Stuhl steht. Manchmal nimmt hier ein Imam aus Dresden Platz, der in Kairo Theologie studiert hat und hauptberuflich Muslime in Dresden betreut.

40 bis 50 Mitglieder zählt die Gemeinde nach Auskunft der SBS-Leitung. Meist sind kaum zehn Menschen zur selben Zeit im Gebetsraum. Gestern aber versammelten sich zum traditionellen Freitagsgebet um 13 Uhr knapp 100 Muslime. Die „Moschee“ lockt auch Gläubige aus Nachbarorten an.

Schon jetzt, in der Gründungsphase, ist der Unmut der Nachbarn groß. Das Mehrfamilienhaus ist in mehrere Eigentumswohnungen aufgeteilt, die ihre Immobilie von einer Hausverwaltung in Bautzen verwalten lassen. „Geschockt“ sei die Eigentümergemeinschaft von der neuen Nutzung des früheren Geschäfts, teilt der Hausverwalter mit. Das habe man auch der Stadtverwaltung mitgeteilt, von der man entsprechende Maßnahmen erwarte.

Tatsächlich war auch schon die Görlitzer Bauaufsicht vor Ort. Denn rechtlich ist es ein Unterschied, ob ein Raum als Geschäft oder als Versammlungsstätte genutzt wird. Das hat nicht zuletzt mit dem Lärmschutz zu tun. „Wir bemühen uns, leise zu sein“, sagt ein junger Mann, der sich als Mohammed vorstellt und aus Algerien stammt. Aber der „Gott-ist-groß-Ruf“ des Muezzin funktioniert nun mal nicht im Flüsterton.

Wenn sich aber 100 Menschen regelmäßig in einem Raum treffen, geht es nicht nur um die Frage der Ruhestörung, sondern auch um die Sicherheit. Dann ist ein zweiter Fluchtweg wichtig, zum Beispiel. Muhammed Wellenreuther, der Mitgesellschafter der „Sächsischen Begegnungsstätte“, will sich nun intensiv um eine Nutzungsgenehmigung bemühen, nachdem er einen entsprechenden Brief aus dem Görlitzer Rathaus erhalten hat.

Die Behörden beschäftigt allerdings noch ein anderer Sicherheitsaspekt. Der Sächsische Verfassungsschutz hat die Stadt davor gewarnt, dass die „Sächsische Begegnungsstätte“ eng mit der radikalislamischen Muslimbruderschaft zusammenarbeite. „Uns liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die SBS relevante Kontakte zu Personen aus dem Umfeld der islamistischen Muslimbruderschaft (MB) beziehungsweise deren zentraler Organisation in Deutschland, der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), und anderen der MB zuzurechnenden oder nahestehenden Organisationen unterhält.“ So teilt es die Pressestelle des Landesamtes für Verfassungsschutz auf Anfrage mit. Dabei geht es nicht um Terror, betont die Behörde. Aber die Islamische Gemeinschaft versuche, die freiheitliche Verfassung zu untergraben und auf die Durchsetzung eines islamischen Rechts hinzuarbeiten. Als problematisch stuft der Verfassungsschutz auch den Imam aus Dresden ein – der ist aber nur selten in Görlitz.

Die Stadtverwaltung teilt mit, dass sie die Hinweise ernst nehme, konzentriert sich aber vorerst aufs Baurecht. Die Polizei ist ebenfalls eingebunden. Die Begegnungsstätte werde im Rahmen der regulären Streifen mit beobachtet, teilt ein Polizeisprecher mit. Hinweise auf Straftaten der Muslime gebe es bislang nicht.

Als abwegig weisen die Vertreter der SBS und der neuen Görlitzer Gemeinde die Vorwürfe des Verfassungsschutzes zurück. „Die Muslimbrüder sind eine Vereinigung aus Ägypten – hier ist aber kein einziger Ägypter“, sagt Reda E., ein junger Ingenieur, der aus Marokko stammt und sich als Sprecher der Gemeinde vorstellt. Das stimmt zwar nur, solange der Imam aus Dresden nicht da ist. Aber andere Vorstandsmitglieder bekräftigen das: „Wir achten darauf, dass es hier nicht um Politik geht.“ Vor allem für die Syrer, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land geflüchtet sind, sei es wichtig, in Gemeinschaft beten zu können. „Sie haben sich danach gesehnt“, sagt Reda E., während der Imam sich auf seine Freitagspredigt vorbereitet. Dann leuchtet sein Handy auf. „Ja, Jürgen“, sagt E., „ich bin gleich da.“ Dann muss er in die Firma – zum Meeting.