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Acht Jahre Haft für Altenpflegerin

Nach einem brutalen Raubüberfall auf eine 85-Jährige in Görlitz ist eine Altenpflegerin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Pflegerin erbeutete von der fast Erdrosselten 140 Euro.

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© dpa

Von Matthias Klaus

Görlitz. Im Zuschauerraum des Saales 216 am Görlitzer Landgericht herrscht am frühen Montagnachmittag überraschtes Schweigen. Acht Jahre soll die Altenpflegerin Ricarda F. in Haft, die eine 85-Jährige aus Weinhübel mit einer Schnur gedrosselt und deren Geld geraubt hat. Damit bleibt das Gericht deutlich über der Forderung von Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu. Er hatte auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten plädiert. Verteidigerin Yvonne Haußer-Knabe aus Zittau sprach sich für eine Strafe „nicht über drei Jahre“ Gefängnis aus.

Versuchter Mord, schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung – diese drei Taten fasste der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Theo Dahm, zu einem Urteil zusammen. Das Gericht, bestehend aus dem Vorsitzenden, zwei beisitzenden Richtern und zwei Schöffen, nimmt sich dafür viel Zeit. Erst eine halbe Stunde nach dem angesetzten Termin wird es verkündet. Am Montagvormittag trägt zunächst Dr. Thomas Reuster, Chefarzt für für Psychiatrie und Psychotherapie am Städtischen Klinikum Görlitz, sein Gutachten vor. Es zeigt vor allem eine bewegte Lebensgeschichte der Angeklagten. Als Adoptivkind wächst sie auf, der Kontakt zu den Pflegeeltern ist eher kühl. Innerhalb der Familie ausgegrenzt, so beschreibt es der Gutachter. Einen Kontakt zu den leiblichen Eltern herzustellen, misslingt. Nach dem Schulabschluss folgt eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin – und eine Schwangerschaft. Aber Ricarda F., geboren 1984 in Zittau, kann mit dem Kind nicht umgehen. Es wächst bei der Mutter ihres damaligen Freundes auf. „Eine Konstante in ihrem Leben ist Scham“, schildert Gutachter Thomas Reuster. Scham über ihre Vergangenheit, Scham über ihre Herkunft. Verteidigerin Yvonne Haußer-Knabe wird es später so formulieren: „Es war ein Leben nach dem Motto: Ich bin zu schlecht für diese Welt.“ Als Ricarda F. ihren jetzigen Freund und dessen Mutter aus Uhyst kennenlernt, versucht sie mit Lügen eine heile Welt vorzuspielen. Sie erzählt, dass sie bei einem Pflegedienst in Görlitz arbeitet, obwohl sie das nach ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin nicht tat und alle Brücken in die Stadt abgebrochen hatte. Sie hebt Geld von Sparbüchern ab, die ihr nicht gehören, unter anderem von dem der künftigen Schwiegermutter. Als die Finanznot zu groß wird, kommt es zu der Tat in Weinhübel. Als angebliche Pflegedienst-Mitarbeiterin verschafft sie sich Zugang zur Wohnung des Opfers, drosselt es bis zur Bewusstlosigkeit, stiehlt drei Portemonnaies mit 140 Euro. Zwei Geldbörsen findet die Polizei später im Ablauf am Nordufer des Berzdorfer Sees wieder. Die Angeklagte hatte den Beamten den Weg gezeigt.

„Sie hatte einfach nicht den Mut, gegenüber ihrem neuen Freund die Wahrheit zu sagen“, so der psychiatrische Gutachter. Er spricht von einer „übermäßig negativen Lebenseinstellung“. Ricarda F. hat eine Persönlichkeitsstörung, in einer „milden Ausprägung“ – zu diesem Ergebnis kommt Chefarzt Thomas Reuster. Aber: Es gebe keinen Hinweis darauf, dass sie zum Tatzeitpunkt an einer schweren Bewusstseinsstörung gelitten hätte. „Die Angeklagte hat nicht im Affekt gehandelt, allerdings unter extremen Druck“, so der Gutachter. Er geht davon aus, dass Ricarda F. schuldfähig sei.

Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu fragt in Richtung der Angeklagten: „Was hat Sie nur geritten?“ Er hält Ricarda F. unter anderem zugute, dass sie ein Geständnis abgelegt hat, dass sie keine Vorstrafen hat, dass sie deutliche Reue zeigt. Ricarda F. hat einen Brief an das Opfer geschrieben. Die Tat tue ihr unendlich leid, heißt es darin. Und dass es für sie schlimmer sei, jetzt Freunde, Familie zu verlieren, als in Haft zu sitzen. Das 85-jährige Opfer und ihre Verwandten hatten bisher nicht die Kraft, diesen Brief zu lesen.

„Dieses Verfahren kann für Sie nicht nur eine Last sein, sondern auch eine Entlastung“, sagt der Oberstaatsanwalt zur Angeklagten. Das Schicksal habe es noch gut mit ihr gemeint. Schließlich hätte die ältere Dame aus Weinhübel an den Folgen der Drosselung sterben können. Sebastian Matthieu sieht die Merkmale eines versuchten Mordes erfüllt, ebenso die eines schweren Raubes. Anders Verteidigern Yvonne Haußer-Knabe: Sie geht von einer spontanen Tat aus, die eigentlich nicht zum Charakter ihrer Mandantin passt.

Richter Theo Dahm hingegen sagt: „Es war der Angeklagten bewusst, dass ihr Opfer sterben kann.“ Es habe andere Möglichkeiten für Ricarda F. gegeben, an Geld zu gelangen, legale, vom Amt. Für das Gericht wiegt der schwere Raub als wichtigstes Delikt, nach dem sich die Höhe der Strafe bemisst. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Eine Woche lang kann Revision eingelegt, also das Urteil auf Rechtsfehler überprüft werden. Und manches Detail bleibt ungeklärt. Etwa das zum Tatwerkzeug. Hing die Schnur in der Garderobe des Opfers? Oder hatte sie Ricarda F. mitgebracht? Wo ist die Schnur? Ricarda F. gab bei der Polizei an, dass sie die auf dem Weg zur Autobahn weggeworfen habe. Trotz Suche der Polizei wurde die Schnur nie gefunden.