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Abschiebung und Wiederkehr

Eine abgelehnte Asylbewerberfamilie wird von der Polizei außer Landes gebracht – kurz darauf ist sie wieder da. Heute lebt sie wieder im Landkreis Bautzen.

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© Gernot Menzel

Jana Ulbrich

Bautzen. Es ist kalt an diesem frühen Morgen des 5. November 2015. „Landabschiebung“ lautet der Auftrag für die dritte Einsatzgruppe der Polizeidirektion Görlitz. Die Beamten sollen eine siebenköpfige Familie aus ihrer Wohnung in Bernsdorf abholen, zum Grenzübergang Görlitz-Stadtbrücke bringen und dort an die polnischen Kollegen übergeben. Polen ist für die Familie zuständig, nicht Deutschland.

Eigentlich ein klarer Fall: Das Paar aus Tschetschenien kommt mit seinen Kindern über die grüne Grenze. In Polen betritt es zum ersten Mal EU-Territorium, wird dort als asylsuchend registriert. Laut Dublin-Abkommen muss Polen über den Asylantrag der Familie entscheiden, ihr bis dahin auch den Aufenthalt gewähren.

Doch das Paar will nicht in Polen bleiben und passiert illegal auch noch die nächste grüne Grenze nach Deutschland. In der zentralen Ausländerbehörde in Chemnitz wird die Familie erneut registriert und dem Landkreis Bautzen zugewiesen. Das ist jetzt mehr als drei Jahre her.

Abschiebung aufgeschoben

Seit mehr als drei Jahren wissen die Eltern auch schon, dass sie nicht in Deutschland bleiben können. Ein paar Monate nach ihrer Einreise fordert die Ausländerbehörde sie das erste Mal auf, nach Polen zurückzukehren. Es folgen mehrere Aufforderungen, denen das Paar nicht nachkommt. Im Herbst 2013 droht die Behörde der Familie schließlich die Abschiebung an. Weil die junge Mutter zu dieser Zeit aber gerade ein Kind erwartet, wird die Abschiebung aufgeschoben. Die Familie wird weiter geduldet, bis eine Ausreise für alle zumutbar ist.

Den Zeitpunkt sieht die Ausländerbehörde dann im Sommer 2015 – nach erneutem Familienzuwachs – gegeben. Das jüngste der nun fünf Kinder ist inzwischen ein Jahr alt. Die Familie ist mittlerweile aus dem Asylbewerberheim in Bischofswerda in eine von der Ausländerbehörde angemietete Wohnung in Bernsdorf gezogen. Die beiden ältesten Kinder, die neunjährige Tochter und der siebenjährige Sohn, gehen in die Grundschule. Die Familie wird erneut zur freiwilligen Ausreise aufgefordert. Erneut wird ihr eine Frist gesetzt.

Das junge Paar weiß, wenn es der Aufforderung nicht nachkommt, kommt die Polizei. Die Polizei kommt am 5. November 2015, morgens um sieben. Sieben Beamte, zwei zivile Mercedes Vito mit fünf Kindersitzen, ein Streifenwagen. Die Abschiebung verläuft ohne Probleme. Die Familie hat damit gerechnet, dass die Beamten erscheinen werden. Im Flur stehen die Koffer schon gepackt.

Zum zweiten Mal über die grüne Grenze

Sieben Monate später: Die Familie aus Tschetschenien, inzwischen zu acht, lebt wieder im Landkreis Bautzen. Die grüne Grenze hat sich ein zweites Mal als durchlässig erwiesen. Grenzen zwischen EU-Staaten werden nun mal nicht lückenlos kontrolliert. Erneut stehen die Eltern mit ihren inzwischen sechs Kindern vor der Registrierungsstelle der zentralen Ausländerbehörde in Chemnitz. Erneut stellen sie einen Antrag auf Asyl in Deutschland.

Rechtlich ist das möglich, erklärt der Sprecher der Landesdirektion Sachsen, Holm Felber. Über den Folgeantrag muss nun erneut das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheiden. Bis dahin bleibt die Familie dem Landkreis Bautzen zugewiesen. Sie ist in einem Asylbewerberheim untergebracht. Die beiden ältesten Kinder gehen wieder zur Schule.

Geschichte ist kein Einzelfall

Ein Einzelfall ist das für die Behörden nicht. Es käme „öfter“ vor, dass abgeschobene Asylbewerber trotz einer Einreisesperre wiederkommen, erklärt eine Sprecherin des Landratsamtes. Wie oft genau das vorkommt, sagt sie nicht. Das Landratsamt führt dazu keine Statistik.

Rein rechtlich ist eine erneute Einreise nach der Abschiebung eine Straftat. Abgeschobene Asylbewerber werden mit einer zukünftigen Einreisesperre belegt. Wer die verletzt, muss mit einer Geldstrafe „im Tagessatzbereich“ rechnen. Ermittlungsverfahren dazu werden regelmäßig geführt, bestätigt Irene Schott von der Görlitzer Staatsanwaltschaft. Für ein Leben in Deutschland aber nehmen Asylsuchende wie das Paar aus Tschetschenien offenbar auch eine Geldstrafe in Kauf. Im Kreis Bautzen erhalten die Eltern zusammen jetzt wieder 632 Euro monatlich. So ist es in den Regelsätzen für Asylbewerber festgelegt. Dazu kommt das Geld für die Kinder, das je nach Alter gestaffelt zwischen 209 und 266 Euro monatlich liegt. Für die mittlerweile sechs Kinder sind das 1 310 Euro.

Es ist nicht nur allein das Schutzinteresse, das Asylsuchende in Deutschland verfolgen, bestätigt der Sprecher der Landesdirektion Sachsen, Holm Felber. „Häufig sind es auch soziale und wirtschaftliche Ziele“, sagt er. Das Problem: Ausgestaltung und Ausstattung des Asylrechts sind in den europäischen Ländern nicht einheitlich geregelt – und damit für die Einreisenden unterschiedlich attraktiv.

Entscheidung liegt beim Bundesamt

Theoretisch muss die Familie aus Tschetschenien jetzt auch nicht mehr befürchten, erneut nach Polen zurückgewiesen zu werden, erklärt Holm Felber. Im juristischen Sprachgebrauch ist die Möglichkeit einer erneuten Abschiebung mit einer bereits erfolgten Abschiebung „verbraucht“. Wie der Fall jetzt weitergeht, muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entscheiden, bei dem der Asylantrag der Familie zur Prüfung liegt.

Wie schwierig Abschiebungen in der Praxis generell zu bewerkstelligen sind, zeigt die Statistik der Polizeidirektion in Görlitz. Von den 305 Aufträgen zur Abschiebung von Personen aus dem PD-Bereich, die die Beamten 2015 erhielten, können sie nur 182 auch tatsächlich realisieren. In den anderen Fällen sind die Abzuschiebenden nicht aufzufinden oder ein Familienmitglied ist gerade nicht aufzufinden, sodass die ganze Familie nicht abgeschoben werden kann. In diesem Jahr liegt die Quote bisher bei 284 realisierten von 403 erteilten Abschiebeaufträgen.