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600 Ordner gegen drei Banker

Am Freitag beginnt der wohl letzte Akt der Aufarbeitung des milliardenschweren Debakels der Sachsen-LB. Vor dem Landgericht Leipzig müssen sich zwei Ex-Vorstände wegen Untreue verantworten. Sie wehren sich mit Staranwälten.

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© Seybold-Press

Von Ulrich Wolf

Drei gleiche Buchstaben gehen um in Sachsen, damals im Sommer 2007: AAA. Das ist eine Art Schulnote, die Finanzexperten vergeben, wenn sie der Meinung sind, dass Wertpapiere besonders sicher sind. AAA ist ein klassisches sehr gut, ein magna cum laude. Eine Note, die das Leipziger Geldhaus immer wieder verwendet, als sich die Vorboten der späteren globalen Finanzkrise bereits abzeichnen. Man habe nur „erstklassige Kredite“ gekauft, allesamt hätten sie die Bestnote AAA, heißt es. Oder: „Wir haben mit die besten Produkte auf dem Markt, sie sind mehrfach ausgezeichnet.“ Die Produkte heißen Ormond Quay oder Georges Quay. Es sind Firmen, die nur in Computern und Handelsregistern existieren, benannt nach Straßen in Dublin, gesteuert von einem irischen Tochterunternehmen der Landesbank, vollgepackt mit komplexen Finanzkonstruktionen im Umfang von 24 Milliarden Euro. Sie produzieren nichts, sie machen nur durch Spekulationen Geld.

Als der Handel für diese Wertpapiere zusammenzubrechen droht, müssen die Sparkassen den Sachsen mit einem 17-Milliarden-Euro-Kredit unter die Arme greifen. Die Landesbank beteuert: Es handle sich nur um eine „anhaltende Marktstörung“, um ein „temporäres Problem“. Doch dann tritt ein, was eine damalige Führungskraft so umschreibt: „Wir lagen in der Sonne am Strand, da kam der Tsunami.“ Weil es keine Käufer mehr gibt für die so hoch gelobten Kreditprodukte der Sachsen-LB, steht das Geldhaus am Rand der Pleite.

Am letzten August-Wochenende 2007 ringen Politiker, Bankmanager, Wirtschaftsprüfer und Juristen in der Zentrale der Ostsächsischen Sparkasse in Dresden um eine Lösung, mal in großer Runde, mal in Vier- oder Sechs-Augen-Gesprächen. Einer der Teilnehmer erinnert sich: „Als der Anruf kam, war gerade noch Zeit, ein paar Akten zusammenzupacken und einige Unterlagen aus dem Archiv herauszusuchen.“

Am Ende der Verhandlungen steht ein Notverkauf der Sachsen-LB an die Landesbank Baden-Württemberg in Stuttgart. Das sächsische Kabinett stimmt dem Deal an einem Sonntag zu. Für den sächsischen Steuerzahler indes ist diese Lösung eine teure: Der Freistaat bürgt mit 2,75 Milliarden Euro für Risiken aus den Irland-Geschäften. Seitdem teilt das Finanzministerium Quartal für Quartal mit, wie viel Geld es nach Stuttgart überweisen musste. Bislang sind es rund 1,4 Milliarden Euro.

Auf der Suche nach den Verantwortlichen des Debakels geraten die Leipziger Bankvorstände in den Fokus. Nur wenige Wochen nach dem Verkauf beginnen die Ermittlungen. Die übernimmt auf Bitten der Staatsanwaltschaft Leipzig das Bundeskriminalamt. Die Fahnder durchsuchen rund 30 Büros und Wohnungen von fünf Vorständen in sechs Bundesländern sowie in Dublin. Die sichergestellten Unterlagen füllen 6 000 Ordner, digitale Daten fressen 1 000 Terabyte Speicherplatz. Die Beamten vernehmen rund 150 Zeugen, die Staatsanwaltschaft gibt zwei sehr teure Gutachten in Auftrag.

Parallel zu den strafrechtlichen Ermittlungen, bei denen es um Vorwürfe wie Untreue und Bilanzfälschung geht, versucht der Freistaat, Schadenersatzansprüche in dreistelliger Millionenhöhe durchzusetzen. Jahrelang wird geklagt und prozessiert, in Leipzig, in Stuttgart, in Frankfurt am Main, in London. Währenddessen wechseln in Leipzig die Zuständigkeiten von Richtern und Staatsanwälten. Mit Ruhm bekleckert sich die sächsische Justiz dabei nicht gerade: So gelingt es für geraume Zeit weder dem Amtsgericht Dresden noch dem Landgericht Leipzig oder dem Landesbank-Untersuchungsausschuss des Landtages, dem Erfinder der Irland-Geschäfte und Ex-Vorstandschef Michael Weiss Vorladungen zuzustellen. Erst eine Reporterin der Sächsischen Zeitung macht ihn in Paphos auf Zypern ausfindig. Ein Strafprozess gegen ihn und zwei weitere Ex-Vorstände platzt, weil eine Staatsanwältin vergisst, eine Rechtsbeschwerde persönlich zu unterschreiben.

Umso mehr steht im Fokus, was sich am Freitag im Saal 115 des Leipziger Landgerichts abspielen wird. Unter dem Vorsitz von Richter Volker Sander muss die 15. Strafkammer entscheiden, ob die Ex-Vorstände Herbert Süß und Stefan Leusder wirklich das zu verantworten haben, was die Staatsanwaltschaft ihnen vorwirft: Die Angeklagten sollen einen dreistelligen Millionenschaden verursacht, die Risiken der komplexen irischen Finanzdeals missachtet, Jahresabschlüsse gefälscht und Aufsichtsgremien sowie Eigentümer getäuscht haben. Und all das vorsätzlich. Das wäre dann der Straftatbestand der Untreue. Das Verfahren gegen die Risikofachfrau Yvette Bellavite-Hövermann läuft separat. Wegen einer Erkrankung ist sie auf längere Zeit verhandlungsunfähig, der Prozess wurde ihretwegen bereits zweimal verschoben. Das Verfahren sei dennoch „ungewöhnlich umfangreich“, sagt ein Gerichtssprecher. Die Anklage umfasse 600 Seiten, die Prozessakten füllten 900 Ordner. Richter Sander hat vorsorglich Termine bis Weihnachten 2016 vergeben.

Klar ist jetzt schon, dass die Staatsanwaltschaft auf erbitterten Widerstand der Verteidiger stoßen wird. So kritisiert die Anwältin von Ex-Landesbanker Herbert Süß vorab, die Anklagebehörde habe Ermittlungsarbeit in einem Umfang an Externe delegiert, der sich „als singulär in der deutschen Rechtsgeschichte darstellt“. Der Prozess sei daher zum Scheitern verurteilt. Hinzu komme, dass der Freistaat unterschiedliche Strategien in den Verfahren rund um die Landesbank verfolge. Anders als in den Strafprozessen stelle sich das Land etwa bei seinen Schadenersatzforderungen auf den Standpunkt, die ehemaligen Vorstände hätten eben nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gehandelt.

Dass diese Kritik nicht nur so daher fabuliert ist, dafür spricht der Leumund der Verteidigerin von Süß. Die 49-jährige Barbara Livonius aus Frankfurt am Main verteidigt derzeit etwa gemeinsam mit ihrem Ehemann, Staranwalt Hanns Feigen, den Deutsche-Bank-Vize Jürgen Fitschen. Der steht vor Gericht, weil er an dem mutmaßlichen Versuch beteiligt gewesen sein soll, das Münchner Oberlandesgericht zu belügen und betrügen, damit dieses nicht auf die Idee kommen sollte, dem verstorbenen Medienunternehmer Leo Kirch einen milliardenschweren Schadensersatz für seine Pleite zu ermöglichen. Auch der Verteidiger des ehemaligen Kapitalmarktvorstands Stefan Leusder ist kein unbeschriebenes Blatt: Sven Thomas wacht etwa über die Rechte von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone oder Ex-Deutsch-Banker Rolf Breuer.

Zivilrechtlich haben die zwei angeklagten Ex-Landesbanker Süß und Leusder ohnehin nichts mehr zu befürchten. Gemeinsam mit zwei weiteren früheren Vorständen haben sie sich nach Angaben des sächsischen Finanzministeriums verpflichtet, „einen nicht unerheblichen Teil ihres Vermögens an den Freistaat zu entrichten“. Von den Haftpflichtversicherungen der Bankmanager hat sich Sachsen 30,5 Millionen Euro zurückgeholt. Zudem ist dem Land ein Coup bei den zuständigen Bilanzprüfern der einstigen Landesbank gelungen. Als „Beitrag zur Schadensminderung“ überwiesen die rund 27 Millionen Euro nach Dresden. Es dürfte das erste Mal sein, dass ein Abschlussprüfer für Verluste eines Kunden seinen Obolus leistet. Allerdings belaufen sich allein die Honorare und Gebühren für Juristen und Berater in den Zivilverfahren schon auf 45 Millionen Euro. Die Kosten für die strafrechtlichen Ermittlungen und Prozesse dürften ebenfalls auf einen zweistelligen Millionenbetrag hinauslaufen.

Weitgehend glimpflich davongekommen sind die Verwaltungsräte der Sachsen-LB. Sie waren für die Kontrolle der Bankgeschäfte zuständig. Der ehemalige Ministerpräsident Georg Milbradt und sein Finanzminister Horst Metz sind zwar zurückgetreten, Ermittlungen aber gegen Verwaltungsmitglieder gab es nicht. Die Landräte, Bürgermeister, Sparkassen-Chefs und Wirtschaftsbosse, die in dem Gremium saßen, haben nichts mehr zu befürchten: Die Verjährungsfrist endete am 1. Januar 2011.