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51 Bahnbrücken in Sachsen sind abrissreif

Die Grünen im Landtag nennen die Situation „dramatisch“, die Bahn „normal“. Dennoch räumt der Konzern einen Investitionsstau ein – und will mehr Geld.

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© Robert Michael

Von Michael Rothe

Jetzt haben es die Sachsen schwarz auf weiß: Von 1.984 Eisenbahnbrücken im Freistaat müssen 51 abgerissen und neu gebaut werden. So steht es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter der Grünen. Fast ein Drittel, nämlich 525, sind demnach in besorgniserregendem Zustand. Das ist in dem 61-seitigen Schreiben zwar nicht so dramatisch formuliert, „man könnte es aber so interpretieren“, räumt eine Sprecherin der Deutschen Bahn (DB) gegenüber der SZ ein. Im Bahnsprech haben solche „Brücken mit Zustandskategorie 4 gravierende Schäden am Bauwerksteil, welche die Sicherheit noch nicht beeinflussen“. Oder: „Eine wirtschaftliche Instandsetzung ist nicht mehr möglich“, übersetzt die Bahn-Sprecherin.

Diese schlechteste aller Zustandsbeschreibungen gilt demnach für Brücken in Amtsberg, Bautzen, Böhlen, Borna, Chemnitz, Döbeln, Dresden, Freiberg, Heidersdorf, Klingenthal, Kössern, Leipzig, Lohmen, Markkleeberg, Mittweida, Neuhausen, Ostrau, Plauen, Pöhl, Schöneck/ Vogtland, Schwarzenberg, Torgau, Weischlitz und Zwickau. Betroffen sind 28 Bahnbrücken über Straßen, 14 Schienenquerungen über Flüsse und neun Über- oder Unterführungen an Bahnhöfen. Je zehn marode Bauwerke stehen in Dresden und in Leipzig.

„Die Situation ist dramatisch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es in Sachsen bei Bahnbrücken zu häufigeren Sperrungen und Beeinträchtigungen kommt“, reagiert Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, auf das Dokument. Statt Milliarden in Straßenneubau und Prestigeprojekte wie den von CDU und FDP gewollten milliardenschweren Erzgebirgstunnel zu versenken, müssten sich der Bund, Land und die Deutsche Bahn endlich um den Erhalt der Infrastruktur und eine Stärkung der Schiene kümmern, fordert sie. „Das Problem ist der Bahn seit Jahren bekannt, trotzdem investiert sie viel zu wenig in den Erhalt. Die Gewinne der DB Netz müssen in den Erhalt ihrer Infrastruktur fließen“, so die Forderung. Die Abgeordnete verlangt von der Bahn einen mit Land sowie Zweck- und Fahrgastverbänden abgestimmten Sanierungsplan.

Zustand im Osten besser als im Westen

Die Bahn hält nichts von Panikmache. Dass es bei veranschlagten 100 Jahren Lebensdauer auch sanierungsbedürftige Brücken gibt, sei „völlig normal“, sagt die Sprecherin. Sachsen liege mit deren Anteil von 2,6 Prozent „absolut im Limit“. Überhaupt stehe der Osten besser da als der Westen.

Die Bundesregierung spricht in ihrer Brücken-Antwort von „drei bis fünf Prozent des Bestands“, die derart „gravierende Mängel“ aufweisen. Die Zustandskategorie gehe meist mit dem Alter und der Beanspruchung des Bauwerks einher. „Die Betriebssicherheit der Brückenbauwerke wird durch regelmäßige Inspektionen sichergestellt“, heißt es im Fazit.

Auch Steffen Getzlaff, Brückenkontrolleur von DB Netz und zuständig für 1.200 Querungen im Großraum Dresden und in Südbrandenburg, versichert, dass jedes Bauwerk alle sechs Jahre inspiziert und alle drei Jahre einer kleineren Prüfung unterzogen wird. Notfalls werde gesperrt, nirgends gebe es ein Sicherheitsrisiko, heißt es.

„Dennoch gibt es einen Investitionsstau, und wir verhandeln mit dem Bund um mehr Geld“, sagt die Bahn-Sprecherin. Derzeit stünden 2,75 Milliarden Euro zur Verfügung, weitere 500 Millionen kämen von der Bahn selbst. „Wir brauchen aber gut eine Milliarde Euro mehr.“

Im „Strategiekonzept Schiene“ bis 2020, welches Freistaat und Bahn in der vergangenen Woche vorgestellt hatten, spielen die Brücken keine Rolle. „Das ist ein verkehrspolitischer Offenbarungseid“, wettert Oppositionspolitikerin Jähnigen.

Immerhin hat die Grünen-Anfrage eins erreicht: Jetzt weiß auch Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) Bescheid. Er hatte sich in einer parallel laufenden ähnlichen Anfrage der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen nach einem Monat des Grübelns für nicht zuständig erklärt und an die Verantwortung der Bahn und den Bund als Eigentümer verwiesen. Morlok: „Die erbetenen Informationen liegen der Staatsregierung nicht vor.“