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Zwischen Turnschuh und Theater

Nach 13 Jahren als Chefin des Meißner Theaters verrät Renate Fiedler die Allüren der Stars und warum sie sich einmal bei 440 Leuten entschuldigen musste.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Meißen. Es war ein Abschied mit Ansage, wohlüberlegt und schon ein gutes Jahr zuvor beschlossen. Als Renate Fiedler Anfang Februar dann tatsächlich das Meißner Theater als Chefin verließ, in dem Wissen, mit nun 65 Jahren und nach fast 13 Jahren als Geschäftsführerin die körperliche und seelische Leistungsgrenze erreicht zu haben, da traf sie ihr Entschluss dennoch mit voller Wucht: Gerade zwei Tage lang hatte sie den „sogenannten Ruhestand“, wie sie sagt, genießen können. Dann zog ihr eine schwere Grippe den Boden unter den Füßen weg. Drei Wochen lang lag sie flach, sie, die in den 13 Jahren zuvor vielleicht dreimal krank gewesen war.

„Das muss mit dem Loslassen zu tun gehabt haben“, sagt sie beim Treffen im edel in schwarz, weiß und rot gestalteten Theatercafé Käte anderthalb Monate später. Die Grippe sieht man ihr längst nicht mehr an, Renate Fiedler ist noch immer die gut gekleidete ältere Frau, eigentlich möchte man „Dame“ sagen, wenn es nicht etwas altbacken klingen würde, in Karorock und dunklem Blazer; die blonden Haare sind am Hinterkopf zur Hochsteckfrisur zusammengefasst, die man auch „Banane“ nennt.

Nein, optisch hat sich nicht viel verändert, seit die Theaterchefin den Zusatz „a. D.“ trägt. Doch im Gespräch spürt man schnell, dass sie zumindest geistig auf dem besten Weg ist, mit dem Ruhestand ihren Frieden zu schließen – wenn das mit dem Loslassen auch nicht mehr so leicht gelingen will. Oder vielleicht gerade deshalb.

Denn Renate Fiedler hat vor allem Pläne. Und in diesen stehen Kunst und Kultur, und ganz besonders das Theater immer an erster Stelle. Ob es die Einarbeitung ihrer Nachfolgerin Ann-Kristin Böhme ist, der Traum eines kleinen Jobs bei den Salzburger Festspielen im kommenden Jahr oder der eigene Theaterbesuch, der ein-, zweimal im Monat Pflicht ist: Ohne die Bühne geht es nicht. Immer mit dabei ist ihr Mann Bernd, genannt „Benno“, Fiedler, Mitbegründer der Stern Combo Meissen. Seit 45 Jahren sind die beiden verheiratet.

Nächste Woche wird Renate Fiedler außerdem in den Vorstand des Theater-Fördervereins gewählt, eventuell sogar als neue Vorsitzende. „Wenn das so sein sollte, werde ich natürlich den Vorsitz übernehmen“, sagt Fiedler und kann nicht verbergen, wie sehr sie das freuen würde.

Überhaupt wirkt sie im Gespräch gelöst, auch wenn sie beim Fototermin zuvor noch beteuert hat, wie schwer es ihr immer falle, für ein Bild zu lächeln. Sie lacht, als sie erzählt, dass sie selbst „ein bisschen auf der Bio-Ernährungs-Welle“ mitschwimme und bei den Vorbereitungen des Essens für die Künstler gerne mitgeholfen habe. Sie lacht bei der Frage, ob sie nun Theater-Anrechte auf Lebenszeit habe. („Im Moment darf ich noch frei rein, aber ich zahle auch gerne etwas für Kultur.“) Und sie lacht auch, als sie von einem Abend vor fünf oder sechs Jahren erzählt, der damals alles andere als witzig für sie war.

Operetten sind in Meißen eigentlich ein sicheres Ding und fast immer ausverkauft. Auch an jenem Abend, an dem ein Ensemble aus Leipzig auftrat. Fiedler kannte das Stück und hatte sich das Ensemble deshalb zuvor nicht angesehen. Der Schock kam bei der Aufführung: „Die Akteure waren unglaublich schlecht“, erzählt die ehemalige Chefin. „Sie kannten weder ihre Texte noch ihre Auftritte.“ In der Pause versprach die Ensemble-Leiterin, dass es nun besser werden würde. „Es wurde noch schlechter.“

Das Publikum, 440 Menschen, war aufgebracht, viele gingen früher. Renate Fiedler tat das Einzige, was sie in dieser Situation noch tun konnte: Sie stellte sich zusammen mit der Verwaltungsleiterin am Ende an den Theaterausgang und entschuldigte sich bei jedem einzelnen Besucher. Noch in derselben Nacht schrieb sie einen Brief an alle und versprach eine Ersatzveranstaltung. „Die meisten sind dann auch wiedergekommen und waren versöhnt.“

Es sind Geschichten wie diese, die Renate Fiedler begonnen hat aufzuschreiben. 25 mögliche Themen hat sie schon gesammelt, aus denen einmal ein Buch werden könnte. „Denn manches war schon kurios und lustig hinter den Kulissen.“

Fiedler kann von Künstlern erzählen, die mit 40 Grad Fieber auf der Bühne stehen, weil sie das Ensemble und das Publikum nicht enttäuschen wollen, und von Schauspielern, die so aufgeregt sind, dass man sich stundenlang um sie kümmern muss. Eine Formel, die ihrer Erfahrung nach immer zutrifft: „ Umso berühmter Künstler sind, umso einfacher werden sie wieder.“ Größen wie Armin Mueller-Stahl oder Iris Berben sind auch mal mit einem Biotee oder zwei Vollkornbroten zufrieden.

Getroffen hat Renate Fiedler sie alle. In den knapp 13 Jahren am Theater hat sie kaum eine Vorstellung verpasst, entweder vor oder hinter der Bühne. Der Applaus am Ende eines Stückes, der Dank der Besucher im Foyer – „Das ist Lebensqualität, habe ich dann gedacht!“

Nun wird die 65-Jährige den Theatersessel immer öfter gegen ein paar Turnschuhe und den tosenden Applaus gegen die Stille des Moritzburger Waldes tauschen. Dort geht sie nun nämlich immer öfter joggen. Ein wenig Loslassen muss dann nämlich doch sein. „Ich habe mir wirklich vorgenommen, mich zu regenerieren“, sagt Fiedler. Bis zum Sommer gibt sie sich dafür Zeit.