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Zwischen Altherrenwitz, Sexismus und Tabubruch

Rainer Brüderle hat sich vor einem Jahr gegenüber einer jungen Journalistin angeblich anzüglich verhalten. Doch die berichtet erst jetzt davon.

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Berlin. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sieht sich, kaum zum Spitzenmann der Liberalen im Bundestagswahlkampf nominiert, mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert: In der aktuellen Ausgabe des „Stern“ erinnert sich eine junge Journalistin an anzügliche Äußerungen und zudringliches Verhalten Brüderles in einer Hotelbar am Vorabend des traditionellen Dreikönigstreffens 2012. Sie beschreibt, wie aus ihrer Sicht der 67-jährige FDP-Mann in der Bar des Stuttgarter Maritim-Hotels die Flirtgrenze überschritt: „Brüderles Blick wanderte auf meinen Busen. ’Sie könnten auch ein Dirndl ausfüllen.‘“

Bemerkenswert sind nicht nur die Vorwürfe, sondern auch die Begründung der heute 29-jährigen Reporterin Laura Himmelreich für den Zeitpunkt der Veröffentlichung: Vor einem Jahr habe der „Stern“ keinen Grund gesehen, ein Stück über Rainer Brüderle zu schreiben. Aufgrund seiner exponierten Position habe sich die Lage geändert.

Der Deutschlandfunk berichtete gestern auf seiner Internetseite aus einem Interview mit Himmelreich: „Der Tenor ihres Artikels sollte nie sein: Sie wurde von Rainer Brüderle belästigt und jetzt will sie ihn an den Pranger stellen.“ Ihre Absicht sei es gewesen, aufzuzeigen, dass Brüderle ein Politiker sei, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Sie finde es wichtig, dass die Debatte über den Umgang zwischen Politikern und jungen Journalistinnen geführt werde. Mit den heftigen Reaktionen habe sie nicht gerechnet.

Die Reaktionen ihres Magazins lassen allerdings anderes vermuten: Auf seiner Internetseite schreibt der „Stern“ von einem beabsichtigten „Tabubruch“. Brüderle gehöre zu den „schamlosen Böcken in Nadelstreifen“.

Brüderle äußerte sich gestern nicht. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nahm ihn in Schutz: „Diese Art der Berichterstattung ein Jahr nach einem angeblichen Vorfall ist zutiefst unfair.“ Zudem sei es „unmöglich“, Brüderles Ehefrau Angelika hineinzuziehen.

Warum nicht schon vor einem Jahr?

Der SPD-Politiker Sebastian Edathy sagte: „Es zeugt für mich von einem merkwürdigen Berufsverständnis, als Journalistin um Mitternacht an einer Hotelbar ein offizielles Gespräch mit einem Politiker führen zu wollen.“ Wenn die Journalistin das Geschehen als übergriffig empfunden habe, hätte sie das schon vor einem Jahr öffentlich machen können.

Die Vorsitzende der FDP-Frauenorganisation, Doris Buchholz, erklärte: „Ich weiß nicht, warum die Journalistin ein ganzes Jahr wartet und jetzt so eine Story daraus macht. Da reagiere ich doch sofort.“ Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae forderte Brüderle hingegen auf, Stellung zu beziehen: „Es ist völlig egal, ob die Vorwürfe jetzt oder zu einem anderen Zeitpunkt veröffentlicht wurden.“ (dpa/dapd/SZ)