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Zweite Chance für Dickkopf & Co

Landwirte und Bäcker setzen immer häufiger auf das traditionelle Korn. Der Neukircher Himmelsbäcker schon länger.

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© Steffen Unger

Von Miriam Schönbach

Neukirch. Der Duft frischen Brots und Brötchen liegt über der Backstube. Wie gewohnt beim Himmelsbäcker Andreas Hultsch in Neukirch – und doch nicht ganz. Neu im Sortiment sind die Dickkopf-Weizen-Semmeln, gebacken mit alten Getreidesorten. Sie sind dunkler, schmecken kräftiger und halten länger frisch. „Viele kaufen das gern, vor allem die, die auf gesunde Ernährung achten“, sagt der Bäcker.

Der Familienbetrieb von Andreas Hultsch ist

einer von sieben Bäckereien in der Lausitz, die wieder mit alten Getreidesorten arbeiten. Sie wachsen im Biosphärenreservat Heide- und Teichlandschaft. Der Ableger des Staatsbetriebs Sachsenforst brachte das Projekt zur Erhaltung regionaler Getreidesorten 2007 auf den Weg. Projektleiterin Eva Lehmann musste zunächst Überzeugungsarbeit leisten. Berkners Schlesische Wintergerste, Jägers Pommersche Dickkopfweizen, Norddeutscher Champagnerroggen oder Heines Goldthorpe, wie sie nun auf den Feldern der Region zu finden sind, sind weniger ertragreich als herkömmliches Getreide. Auch deshalb wurden sie in den 1950er Jahren ausgemustert.

Knapp 70 Jahre später kehren sie als „Nischenprodukt“ zurück. „In diesem Herbst haben wir 231 Hektar mit alten Sorten bestellt. In Vorjahren waren es im Schnitt 50 bis 70 Hektar. Die Menschen besinnen sich auf gesunde und regionale Ernährung“, sagt die Agraringenieurin. Zehn Landwirtschaftsbetriebe sind Projektpartner. Die Agrargenossenschaft Klitten gehört zu den größeren Anbauern, aber auch kleine Betriebe mit Landwirtschaft im Nebenerwerb setzen auf die alten Sorten.

Über den Trend freut sich auch Bäckermeister Lutz Neumann in Bautzen. Er verwendet Getreide für die Dickkopf-Brötchen wie Andreas Hultsch aus Neukirch, füllt sie in den Kneter. Während der Teig für normale Brötchen acht Minuten knetet, schaltet der Bäckermeister das Gerät auf zwölf Minuten. Nur so kann eine saftige Krume, das Innere des Brötchens oder Brots, entstehen. Seit einem halben Jahr experimentiert der Bautzener mit Champagnerroggen und Dickkopfweizen. Schon etwas länger bieten Andreas Hultsch in Neukirch oder der Kubschützer Bäckermeister Stefan Richter ihre Produkte aus dem heimischen Korn an. „Neben Mischbrot ist unser Heidekasten das beliebteste Brot im Laden“, sagt der Neukircher.

Roggenmischbrot geht am besten

Noch mehr Erfahrung bringt Bäckermeister Jörg Sperling aus Spremberg mit. Die Brandenburger Landwirte haben bereits 1994 alte Getreidesorten neu entdeckt. Bäcker Sperling baut sie auf 158 Hektar an und mahlt das Vollkornmehl. Von den Brandenburgern kam das erste Saatgut für das sächsische Projekt. „Neben dem Erhalt alter Sorten geht es auch darum, dass auf einst intensiv genutzten Flächen gefährdete Ackerwildkräuter zurückkehren können“, sagt Eva Lehmann. Zum Biosphärenreservat gehören 10 000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.

Lutz Neumann wiegt die erste Portion des fertigen Teigs ab. Seit 1.30 Uhr produzieren der Meister und sein Geselle Brot, Brötchen und Kuchen. Am besten geht auch bei ihm immer noch das Roggenmischbrot. „Aber immer mehr Kunden lassen sich von den Vollkornprodukten überzeugen. Gerade für Allergiker ist das Brot aus alten Sorten gut“, sagt er.

Gedämpft wird die Euphorie durch den nassen Sommer. Müllermeister Sebastian Unger von der Rätzemühle in Spittwitz kann kaum auf alte Sorten zurückgreifen, weil es während der Ernte geregnet hat. „Die 35 Tonnen Champagnerroggen von 2015 haben wir allerdings bis auf das letzte Korn verkauft. Nun versuchen wir aus anderen Regionen Deutschlands Korn dazuzukaufen“, sagt er. Die Bäcker und die Projektleiterin sind dennoch optimistisch. „Wenn man etwas neu anfängt, muss man ein bisschen probieren“, sagt Neumann. Dann macht er den Ofen aus und holt die „Dickköpfe“ heraus. Im Korb wandern sie in den Laden. In der Backstube bleibt nur ihr herrlicher Duft zurück. (dpa)