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Zwei Görlitzer im Tal des Todes

Günter Falz stammt aus der Neißestadt. Jahre nach seinem Weggang traf er in Kalifornien nicht nur einen Landsmann – sondern einen Görlitzer.

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Von Günter Falz

Das ist eine Geschichte über zwei Söhne der Stadt Görlitz. Es handelt sich um keine Kommerzienräte oder Fabrikbesitzer. Keine Gräber – wenigstens noch nicht – mit oder ohne Familienwappen verweisen auf sie. Auch sind sie keine Generäle, Priester oder Künstler. Kurzum es sind lediglich zwei einfache Menschen, die einst in Görlitz geboren wurden und deren Lebenswege sich nur kurz kreuzten. Um die Geschichte zu verstehen, reicht es aus zu wissen, dass der Verfasser dieses Beitrages in der Bautzener Straße 43 geboren wurde und in der Bautzener Straße 18 aufwuchs. Wobei das mit der 43 eigentlich auch nicht wichtig ist. Ach ja, das Geburtsjahr war 1938. 1952 ging es im Zuge einer Familienzusammenführung, was damals noch möglich war, nach Frankfurt/Main. Von da 1962 nach Stuttgart-Untertürkheim zum „Daimler“ und dann 1982 in die USA. Und nun fängt die Geschichte endlich an. Das Death Valley, wie wir es immer nannten, auf gut Deutsch „Tal des Todes“, war in jedem Sommer das Ziel von ein paar Dutzend Ingenieuren, Mechanikern und sogar manchmal Vorstandsmitgliedern der Firma Daimler Benz AG, heute schlicht „Daimler AG“. Dort testeten sie allerlei Versuchsfahrzeuge unter heißen Bedingungen, um sicherzustellen, dass künftige Kunden unter ähnlichen Umständen nicht im Auto braten mussten, sowie Motoren, Bremsen und andere Aggregate nicht überhitzten. Und heiß war es da. 45 bis 50 Grad im Schatten waren eher die Norm als die Ausnahme.

Günter Falz als vierjähriger Knirps an der Lutherkirche auf dem Drachenfels. Im Hintergrund sieht man die Häuser entlang der Landeskronstraße.
Günter Falz als vierjähriger Knirps an der Lutherkirche auf dem Drachenfels. Im Hintergrund sieht man die Häuser entlang der Landeskronstraße.

Grillabend in der Wüste

Als Angestellter der US-Tochter von Daimler war es meine Pflicht und Schuldigkeit, unsere schwäbischen Kollegen mit Logistik zu unterstützen. Eine der allerwichtigsten logistischen Aufgaben war es, den Grillabend, zu dem die deutsche Geschäftsleitung einlud, vorzubereiten und ihn zum Erfolg zu verhelfen. Leute, es gibt nichts Besseres als ein gutes amerikanisches Steak über Holzfeuer gegrillt und mit deutschem Bier heruntergespült! Besonders nach einem heißen Arbeitstag in der Wüste. Man kommt sich bei einer solchen Gelegenheit natürlich auch menschlich näher. Mit einem der schwäbischen Kollegen, der den Spitznamen „Schalter Walter“ hatte, da er für die Entwicklung und Anordnung von Schaltern im Auto verantwortlich war, kam ich nach ein paar Bieren ins Gespräch. Nebenbei, sein Namenskollege in der gleichen Entwicklungsabteilung hieß „Kabel Walter“, weil er ... ja richtig!

Beim Schalter Walter war mir aufgefallen, dass er ein ganz passables Hochdeutsch sprach. Ein richtiger Schwabe verliert üblicherweise nicht den sanften schwäbischen Unterton in seiner Aussprache, selbst wenn er sich noch so viel Mühe gibt, ein reines Hochdeutsch zu sprechen. Da lag die Frage nicht fern: „Sag’ mal, du bist doch auch koi echter Schwoab, oder?“ „Nee“, kam die Antwort, „ich bin aus’m Osten.“ Ich sah ihn fragend an und dachte, Sachse kann er nicht sein, da fehlt auch diese feine sächsische Klangfarbe in seiner Stimme. Vielleicht Brandenburg? „So?“, meinte ich, „ich doch auch. Wo genau biste denn her?“

Verblüffende Antwort

„Weißte, wo Görlitz ist?“ Ich dachte, mich tritt ein Pferd. „Weiß ich, wo Görlitz ist? Mensch, das ist doch meine Heimatstadt.“ Jetzt war es an ihm Kulleraugen zu machen. „Wirklich? Wo haste denn da gewohnt?“ Ihr alle wisst ja schon, in welcher Straße das war, und als ich ihm die nannte, wurden seine Kulleraugen noch größer.

„Hör’ auf.“ Kam es aus seinem Mund, „ich doch auch. Wo denn da genau?“ Langer Rede kurzer Sinn: Es stellte sich heraus, dass er der Sohn des Schumachers Walter war, der einen Laden in der unteren Bautzener Straße fast an der Ecke zur Brunnenstraße besaß. Dorthin hatten wir immer unsere Schuhe zur Reparatur gebracht. Da die 18 viel weiter oben lag, da wo früher die Haltestelle der Straßenbahnlinie 1 war, waren wir als Kinder nie in Kontakt gekommen. Auch, dass wir beide in die Jahnschule gegangen waren, hat nicht viel geholfen. Er war zwei oder drei Jahre jünger als ich, also gab es auch hier keine Anknüpfungspunkte. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über unsere „wundersame“ Begegnung und unsere gemeinsame Heimatstadt. Bis das Bier zur Neige ging. Einzelheiten darüber sind von der dunklen Wüstennacht verschluckt worden und in Vergessenheit geraten. Danach haben wir uns leider aus den Augen verloren.

Ich wohne seit Mai 1982 in Texas; war erst vor drei Monaten in Görlitz, wo noch ein Cousin von mir wohnt. Schalter Walter lebt vermutlich in der Gegend von Stuttgart. Oder wieder in Görlitz? Wer weiß…