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Zusammenhalt in schweren Zeiten

Als die Biathlon-Karriere von Michael Rösch in Schieflage gerät, greift sein Vater Eberhard ihm unter die Arme. Beide verbindet nicht nur der Spitzname.

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© Lutz Hentschel

Von Daniel Klein

In diesem Fall muss die Redensart ein wenig abgewandelt werden. Michael ist seinem Vater Eberhard Rösch wie aus der Wade geschnitten. „Eigentlich haben wir keine“, sagt der Senior und streift zum Beweis das Hosenbein hoch. „Dünn, aber schnell.“ Diese Waden haben beide bei Olympia bis aufs Podium getragen, 1980 den Vater, 26 Jahre später den Sohn – und beide als Biathleten.

Michael Rösch 2017 bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Hochfilzen in der 12,5 km Verfolgung der Herren.
Michael Rösch 2017 bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Hochfilzen in der 12,5 km Verfolgung der Herren. © Camera 4

Der Vater war für Michael immer mehr als das – ein sportliches Vorbild, jemand, dem er nacheifern wollte. Den Wunsch formuliert er schon als Kind. Diese Konstellation ist nicht die einfachste, manche Sprösslinge zerbrechen daran, wenn sie merken, dass sie es nicht schaffen. Bei den Röschs drohte da nie Gefahr. Die Beziehung war immer eine besondere, sogar der Spitzname Ebs wird vererbt. Vor einigen Jahren bekam die Verbindung eine ungewöhnliche Drehung, eine, die die Familie noch näher zusammenrücken ließ.

Die zweite Biathlon-Karriere im Hause Rösch startet mit zehn Jahren. Von Beginn an, erinnert sich der Vater, sei Michael kaum zu bremsen und kaum kontrollierbar gewesen. „Dreimal ist er im Haus durch die Glastür geflogen“, erzählt er. „Wir mussten das in Bahnen lenken.“ Biathlon ist das Naheliegende – geografisch und genetisch. Dabei gab es auch andere Optionen, mit Zwölf nimmt sich Michael eine einjährige Fußball-Auszeit, kehrt aber wieder zu Skiern und Gewehr zurück. Schon als Schüler gehört er deutschlandweit zu den Besten. „Es war relativ schnell klar, dass das werden könnte mit ihm“, erzählt Eberhard Rösch. „Aber ich habe ihn nie zu etwas gedrängt, nie Druck ausgeübt.“

Bei den Spielen 2006 in Turin ist Michael 22 und mit Abstand der Jüngste in der deutschen Gold-Staffel. Der Startläufer zeigt keinerlei Nervosität, schießt schnell und sicher. Die Fernsehreporter überschlagen sich mit Lob, sprechen vom Beginn einer großen Karriere. Sein Vater sitzt da im heimischen Altenberg vor dem Fernseher und hält es kaum aus vor Anspannung.

„Natürlich hat mich das stolz gemacht“, sagt Eberhard Rösch. „Aber wenn er Fußballer geworden wäre oder gar kein Sportler – auch gut.“ Der ältere Sohn Andreas leitet eine Werbeagentur in Dippoldiswalde, Tochter Steffi studiert in Dresden Lehramt, beide waren weit entfernt von einer Karriere im Leistungssport. Bei Michael läuft die noch drei Jahre nach Plan, danach gerät sie in gehörige Schieflage. Für Olympia 2010 sowie die Weltmeisterschaften 2011 und 2012 wird er nicht nominiert. Er macht dafür falsches Training, Krankheiten und schlechte Leistungen verantwortlich – und den Verband. Der Bundestrainer hat eine etwas andere Sicht auf die Dinge. „Micha hatte damals das Gefühl, dass er in Deutschland nicht mehr vorwärts kommt“, erklärt sein Vater. Die Konsequenz sei für ihn dennoch „ein Schock“ gewesen.

Künftig will Michael für Belgien starten, das Einbürgerungsprozedere zieht sich zweieinhalb Jahre hin, die Spiele 2014 in Sotschi verpasst er dadurch. Er verliert seine Beamtenstelle bei der Bundespolizei, die Rundum-Sorglos-Unterstützung durch den deutschen Verband, überregionale Sponsoren springen ab. Von nun an muss er sich um das Skiwachsen, die Trainingslager, die Hotelbuchungen, die Physiotherapie kümmern – und alles aus eigener Tasche bezahlen. 50 000 Euro kostet ihn eine Saison. Seine Eltern unterstützen ihn.

„Wir haben damals nicht alle Konsequenzen gesehen“, räumt Ebs senior ein und erzählt, dass die Situation seiner Frau Barbara mitunter zu schaffen mache. Michael verkauft sein gerade erst gebautes Haus, wohnt jetzt wieder bei den Eltern in der ehemaligen Ferienwohnung unterm Dach. Seit der vergangenen Saison trainiert er beim Schweizer Team mit, seitdem geht es aufwärts. Zwei sechste Plätze im Weltcup waren die besten Ergebnisse im vergangenen Winter.

Im Februar kann er endlich wieder zu Olympia, zwölf Jahre nach dem Staffel-Gold von Turin. Für die Finanzierung sammelt er gerade Geld bei seinen Fans, im Gegenzug druckt er die Augenpaare der Gönner auf den Gewehrschaft.

„Er ist genauso ehrgeizig, wie ich es war“, vergleicht Eberhard Rösch. „Aber wir sind andere Typen. Er wirkt mit seinen flotten Sprüchen immer so cool, dabei hat er einen ganz weichen Kern. Ich war anders, irgendwie erwachsener.“ Auch die Karriere des inzwischen 63-Jährigen verlief nicht glatt. Seine ersten Spiele 1976 verpasste er wegen einer Blutvergiftung. Bei der WM 1978 räumte er dann aber einen kompletten Medaillensatz ab, mehr als drei Disziplinen gab es damals auch nicht. Bei Olympia 1980 in Lake Placid gewann er Silber und Bronze, ein Jahr später ist dann Schluss – mit gerade einmal 27.

„Es ging gesundheitlich einfach nicht mehr. Durch einen Beckenschiefstand hatte ich ständig Rückenschmerzen“, erzählt er. Dem Biathlon blieb er treu, zunächst als Funktionär auf höchster Ebene. Als sich die Biathleten 1993 von den Modernen Fünfkämpfern lösten, war für den Vizepräsidenten „keine Stelle mehr frei“, wie er es formuliert. Ämter blieben aber noch genügend – als Leiter des Bundesstützpunktes in Altenberg, als Abteilungschef des SSV Altenberg, Kommissions-Vorsitzender im Landesskiverband. Biathlon in Sachsen ohne Eberhard Rösch? Unvorstellbar.

Seit dem 1. September ist er Rentner und will demnächst auch seine ehrenamtlichen Posten an Nachfolger übergeben. „Über all die Jahre hat das ganz schön gezehrt“, sagt er. „Ich fühle mich nicht mehr in der Lage, Verantwortung zu tragen.“

Als er das erzählt, sitzt er auf den Stufen des Biathlon-Stadions im Zinnwalder Hofmannsloch, am Schießstand trainiert der Nachwuchs. Das alles hier, sagt er, sei ein Stück weit sein Lebenswerk. Sein Sohn war der bisher Letzte, der es von hier aus bis in die Weltspitze geschafft hat. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. „Natürlich macht mich das traurig. Für dieses Loch bin ich ja auch mitverantwortlich.“

Wenn die Saison Ende November beginnt, wird der Rentner unterwegs sein, bei einzelnen Weltcup-Stationen unterstützt er den Sohn, steht am Schießstand hinter dem Fernglas. „An einem guten Tag kann er zwischen Platz eins und 20 mitlaufen“, sagt Ebs senior über Ebs junior. Wann ein guter Tag ist, entscheiden auch die Waden.

Im nächsten Teil lesen Sie, warum es so lange dauerte, bis auch Nico Heßlich auf der Bahn aufs Rad stieg.