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Zurück in die Zukunft

Wie ein Görlitzer Bus wieder in die ungarische Heimat gelangte und nun doch weiter durch Deutschland rollt.

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Von Ralph Schermann

Laszlo möchte seinen Familiennamen nicht in der Zeitung lesen. Dabei ist er überall präsent. In jenen Kreisen nämlich, in denen sich die Enthusiasten öffentlicher Verkehrsmittel tummeln, die Bahn-, Bus- und Oldtimer-Freaks. Laszlo ist ein solcher, freut sich schon auf das nächsten Ikarus-Treffen am 1. Juli in Hoyerswerda. Das gilt als absoluter Kult in der Branche. Vielleicht kommt Laszlo dann auch mal nach Görlitz.

Ikarus-Gelenkbusse waren einst im Görlitzer Stadtbild sehr bekannt. Die historische Aufnahme zeigt einen dieser Busse 1985 auf der A-Linie, die damals im 20-Minuten-Takt zwischen Rauschwalde und dem Haus der Jugend fuhr.
Ikarus-Gelenkbusse waren einst im Görlitzer Stadtbild sehr bekannt. Die historische Aufnahme zeigt einen dieser Busse 1985 auf der A-Linie, die damals im 20-Minuten-Takt zwischen Rauschwalde und dem Haus der Jugend fuhr. © Sammlung R. Schermann

Politikwende förderte Buswechsel

In Görlitz nämlich wurden Fans auf ihn aufmerksam, als er über Ebay einen Bus anbot. Einen Ikarus vom Typ 280.02, Baujahr 1988. Die 280 kennzeichnet einen 16,5 Meter langen Gelenkbus mit Unterflurmotor, die 02 steht für eine Ausführung als Stadtbus. Laszlos Angebot fuhr in Görlitz. Fuhr es hier wirklich? Ein Bus dieses Baujahres taucht in den Fachbüchern des Autors Andreas Riedel nicht auf. Der hat sich bisher um die akribische Erforschung des Görlitzer Nahverkehrs sehr verdient gemacht, weiß freilich auch noch um manche Lücke.

Busfahrer wie Michael Haase oder der frühere Kraftverkehrs-Direktor Hans-Jürgen Hennig wissen, dass in Görlitz viele 280.02 fuhren, doch es gibt in den Nachfolgeunternehmen NVG und VGG keine Unterlagen mehr. Auch Laszlo kennt nur einen Eintrag im Verzeichnis des letzten Busnutzers. Immerhin fuhr der Schlenki bis 2015 im Liniendienst von Kaposvár, einer Stadt im Südwesten Ungarns mit rund 67 000 Einwohnern. Dort steht im Fahrzeugverzeichnis: „ex Görlitz/Niesky“.

Ein Stadtbus in Niesky? Jein. Fest steht, dass 1990/91 mindestens zwölf dieser Bustypen von Görlitzer Stadtlinien zum Kraftverkehr wechselten. Dadurch fuhren eine kurze Zeit auch Stadtausführungen im Überlanddienst. Warum das so war, weiß Laszlo ebenso wie die Antwort darauf, warum ab 1990 so viele DDR-Ikarus-Busse von den Ungarn zurückgekauft wurden: „Nach der Wende waren die Ostdeutschen heiß auf Westfahrzeuge, was anderes war nicht mehr gut genug. Das war aber gut für die Ungarn, denn wir bekamen sogar fast neue Busse dadurch sprichwörtlich für ein Butterbrot und konnten billig unsere Nahverkehrsbetriebe modernisieren. Wir mussten nur die Getriebe umrüsten. Denn die Welt kannte schon ab den 60er Jahren Automatik-Ausführungen, nur die DDR hatte darauf bestanden, ihre Stadtbusse mit Handschaltgetrieben zu bekommen.“

Oldie-Boom fördert Geschäftsidee

Tatsächlich stieß auch der Görlitzer Kraftverkehr seine Busse ab. Nach Görlitz kamen gleich nach der Wende 19 Mercedes-Busse, ein Geschenk aus Wiesbaden. Was die Görlitzer bestaunten und als gelungenes Zeugnis der Städtepartnerschaft lobten, waren freilich in Hessen ausgemusterte Wagen der Baujahre 1980/81. Erst später sickerte durch, dass Wiesbaden dafür mit guter steuerlicher Begünstigung eine nagelneue Busflotte erhielt. So wähnte sich also Görlitz im Glück, Wiesbaden noch mehr, und Ungarn dazu. Vielleicht etwas übereilt, denn – Ironie der Geschichte – es fuhren auch im Westen Ikarusse. Im Stadtverkehr Hamburgs waren sie über Jahrzehnte bekannt. Der allerletzte in Deutschland eingesetzte Ikarus-Linienbus fuhr bei der KVG Zittau bis zum 31. August 2010. Auch das weiß Laszlo. „Als ehemaliger Redakteur der ungarischen Fachzeitschrift ,Lastauto/Omnibus‘ kenne ich mich aus“, sagt er. Seit Jahren erlebt er, dass solche Busse immer begehrter werden als Traditionsfahrzeuge. „Es ist ein Oldie-Bus-Boom, vor allem in Deutschland“, hat er erkannt. Er zog nach Österreich, kauft und verkauft dort nun solche Vehikel. Den Görlitzer Bus übernahm er fahrbereit nach dessen Ausmusterung 2015 in Kaposvár. „Solche lange gelaufenen Wagen haben natürlich ihre Roststellen, im Verkauf erzielen sie so zwischen 4 000 und 7 000 Euro“, erzählt er. Gepflegte Reisebusse bringt er schon mal für bis zu 30 000 Euro an den Fan. Kurz vor dem Görlitzer Gelenkbus hat er mehrere ähnliche Stücke nach Berlin verkauft, wo sie einst beheimatet waren. Bei Bedarf repariert er auch, hat „eine kleine Truppe dafür aufgebaut und auch schon aus Deutschland Aufträge zur Restaurierung und zum Wiederaufbau von Bussen bekommen“.

Nostalgie fördert Kameraeinsatz

Für den aus Görlitz stammenden Bus war das noch nicht erforderlich, auch wenn die nachgerüstete Abdeckung über dem Gelenk nicht zum Originalbild des Oldtimers gehört. Bei Ebay erworben hat Alex-Heiner den Bus, ein junger Ingenieur aus der Nähe von Rostock. Auch er will seinen Familiennamen nicht gedruckt sehen. Oldtimer-Fans zeigen statt ihrer Identität wohl lieber ihre Fahrzeuge. Die aber zeigen sie gern. Allein die Fahrt des Ikarus von Ungarn an die Ostsee bewies das erneut. Bei jedem Halt wurde der Bus umringt. „Tschechische Polizisten stoppten uns. Sie wollten keine Papiere sehen, nur Fotos machen“, erzählt Laszlo. Auch Tankstellen-Mitarbeiterinnen wollten das, und unterwegs machte so mancher Beifahrer ein Handy-Bild. Nur Görlitzer gingen leer aus. Durch seine alte Linien-Heimat fuhr der Oldtimer nicht …