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Zum Essen viel zu schade

Stephan Schiller fertigt aus Rettich, Melone und Möhre kleine Kunstwerke. Seine Kunst lernte er nicht in der Heimat.

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© Christian Juppe

Von Jana Mundus

Ein lustiges Gesicht in einen Kürbis schnitzen. Keine Herausforderung für Stephan Schiller. Er denkt größer – oder detailreicher. Wenn schon Deko für das kugelige Gewächs, dann muss es ein Hummer sein. Aus einem schnöden Rettich macht der Dresdner turtelnde Täubchen. Oder er ritzt fächerartige Verzierungen in die Schale einer Wassermelone und beleuchtet sie mit farbigem Licht von unten. Der gelernte Koch ist Obst- und Gemüseschnitzer oder Carver, wie es professionell heißt. Mit einem kleinen Meißel und spitzen Messern macht er aus Honigmelonen Blumen und aus einfachem Wurzelgemüse die Stars auf dem Buffet.

Mit Stephan Schiller lässt es sich herrlich über Essen schwatzen. Wer ihm zuhört, merkt schnell, dass da jemand seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Die musste ihn aber erst einmal packen. Sein Vater ist daran nicht ganz unschuldig. Der hatte eine Konditorei und Bäckerei in Löbtau. „Einem seiner Freunde gehörte eine Gaststätte im Stadtteil“, erzählt Schiller. Der Vater ermuntert ihn, dort mal ein Praktikum zu machen. Der Sohn sagt zu und findet Gefallen an dem Job.

Eigentlich wäre er für die Ausbildung auch in Dresden geblieben. Doch im Urlaub im Bayerischen Wald kam es damals anders. „Ich hatte einfach zwei Bewerbungen mitgenommen“, erinnert sich der heute 35-Jährige. In Bodenmais hat er gleich ein Vorstellungsgespräch und wird angenommen. Das dortige Traditionshaus Weinfurtner stellt den Azubi aus Dresden ein. „Ich war knapp 16 und bin weg von zu Hause, das war schon eine Umstellung.“ Das Stehen am Herd bis spät in den Abend hinein, die Hierarchien in der Küche, der Stress in Stoßzeiten – die Lehre zum Koch sei hart. „Aber das gehört dazu, wenn man den Beruf machen will“, sagt er.

Geografie in Schinkenform

Trotzdem kommt er nach der Lehre erst einmal wieder nach Dresden zurück. Er will der Familie helfen. Sein Vater war kurz vorher gestorben. „Ich wollte für alle da sein.“ Er wird Koch auf einem Elbdampfer, im Barococo am Altmarkt und im Restaurant „Zum Obstgarten“ in Nickern. Nach der Bundeswehrzeit zieht es ihn 2005 doch noch in die Welt. Er geht in die Schweiz und in ein Restaurant in der Region Vorarlberg in Österreich. Dort ist er auch immer wieder für das Frühstücksbuffet zuständig. „Ich wollte den Schinken aber nicht nur einfach irgendwie auf dem Teller anrichten“, erinnert er sich. Mit den Lebensmitteln stellt er die Landschaft nach, die ihn umgibt. Der Küchenchef ist platt.

„Er erkannte zum Glück mein Talent und ermutigte mich, einen Kurs im Obst- und Gemüseschnitzen zu machen.“ In München lernt er bei einem mehrfachen Weltmeister auf diesem Gebiet. Die Buffets seines Arbeitgebers schmücken ab da Orchideen und Vögel aus Rettich. Im normalen Arbeitsalltag bleibt dafür wenig Zeit, also setzt sich Schiller manchmal auch nach Feierabend zu Hause hin und schnitzt. Beruhigend sei das oft gewesen.

Die Kunst stammt eigentlich aus dem asiatischen Raum. In Thailand oder China ist sie weit verbreitet, in Deutschland eher weniger. „Ich war nie ein guter Zeichner, aber ich kann mir räumlich Dinge gut vorstellen“, erzählt er. Weil er sich mit diesen Fertigkeiten von anderen abheben kann, macht er sich 2008 selbstständig – als Koch und Carver. Deshalb und weil der Stress in der Restaurantküche irgendwann an die Substanz ging. „Da habe ich mich gefragt, ob ich das wirklich ein Leben lang machen kann und will.“

Ein erster großer Auftrag als Ein-Mann-Unternehmen kommt 2009 vom Küchenchef des Schlosses Wackerbarth in Radebeul. Acht große Skulpturen braucht der damals kurzfristig für ein großes Buffet zum Sommernachtsball. „Ich habe fast eine Woche lang an den Figuren gearbeitet.“ Die verblüfften Gesichter der Gäste und die vielen begeisterten Kommentare zu seiner Kunst lassen oft vergessen, wie aufwendig solche Sachen sind. Essen kann die Kunstwerke allerdings niemand. Sie werden mit einer Schutzschicht bepinselt, damit die Schnittflächen nicht braun werden.

In den vergangenen Jahren war Stephan Schiller viel unterwegs. Auftraggeber in ganz Deutschland buchen ihn als Mietkoch und Gemüseschnitzer. So zum Beispiel der FC Bayern München oder auch die Traditionsfirma WMF. Der Hersteller von Küchenutensilien heuert ihn immer wieder für Kochkurse an und lässt sich das Firmenlogo auch mal in eine Melone schnitzen. „Logos sind bei vielen Firmen sowieso beliebt“, verrät der Koch. Die sind meist eine besondere Herausforderung. Um sich die Schriftzüge besser einprägen zu können, malt er die Linien erst einige Male auf Papier nach, um sie dann auf eine Frucht zu übertragen.

Verrückter Hummer

Seit 2016 ist Stephan Schiller verrückt. Ein verrückter Hummer, um genau zu sein. Mit den beiden Kollegen Bodo Mager und Lars Tobar schloss er sich zur Firma „Crazy Lobstars“ zusammen. Die Eventköche bringen ihr Wissen nun zusammen, um Veranstaltungen und Kochkurse für Kunden zu geben. „Damit bietet sich die Chance, wieder verstärkt in Dresden und Umgebung arbeiten zu können“, sagt er. Den zweijährigen Sohn und seine Frau dürfte das freuen. Die muss er für Aufträge in anderen Bundesländern oft allein lassen.

Das Schnitzen ist auch durch die neue Firma in den vergangenen Monaten etwas kurz gekommen. Das soll sich in Zukunft wieder ändern. „Das Schnitzen ist toll, weil du sehen kannst, was du erschaffen hast.“ Wenn die Gäste einer Veranstaltung sich dann noch darüber freuen, wäre das auch eine Bestätigung. Etwas, das als Koch in der Restaurantküche im Alltagsstress oft verloren geht.