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Zum Abschied Blumen und Tränen

Vier Jahrzehnte arbeitete Dr. Irmhild Schwenke als Ärztin in der Stadt. Jetzt hat sie eine Nachfolgerin gefunden und kann in den Ruhestand gehen. Mit 71.

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© Gerhard Schlechte

Von Jürgen Müller

Lommatzsch. Sie sitzt noch einmal auf ihrem alten Arbeitsplatz. Nein, den weißen Arztkittel will sie nicht noch einmal anziehen. „Den hatte ich sowieso kaum an. Und ich bin doch jetzt endgültig raus aus dem Beruf“, sagt sie. Vor Kurzem ging die Lommatzscher Hausärztin Dr. Irmhild Schwenke in den Ruhestand. Mit 71 Jahren.

In Lommatzsch kennt Frau Doktor fast jeder, immerhin arbeitete sie hier 42 Jahre lang als Ärztin. „Es war schon immer mein innerster Wunsch, Medizin zu studieren“, sagt die Frau, die in Altenbora, dem heutigen Wendischbora, zur Welt kam. Nach dem Abitur in Nossen macht sie 1964 eine Aufnahmeprüfung, bewirbt sich für ein Studium in Leipzig. Doch sie bekommt einen Studienplatz in Greifswald, besteht die Prüfung, wird vorimmatrikuliert. Zunächst muss sie aber ein Jahr lang in einem Krankenhaus arbeiten. „Ich habe alles machen müssen, bis hin zum Putzen“, erinnert sie sich. In Greifswald gefällt es ihr gut. „Ich wäre gern dort geblieben, es war eine kleine, aber feine Universität, angenehme Leute.“ Und doch kehrt sie aus familiären Gründen nach Sachsen zurück. Während des Studiums hat sie geheiratet. Ihr Mann stammte aus Coswig.

Mit 30 – nach fünf Jahren Studium und sechs Jahren Facharztausbildung – ist sie 1976 endlich fertig. Und bekommt eine Stelle in der Lommatzscher Poliklinik zugewiesen. Und ein Jahr später die Chefstelle angeboten. „Ich dachte, ich sei eine Übergangslösung. Aber Lommatzsch war wohl nicht sehr attraktiv für junge Ärzte“, sagt sie. Leicht hat sie es anfangs nicht. „Alle Kollegen waren älter. Manchen fiel es wohl schwer, die jüngste Ärztin als Chefin zu akzeptieren“, so Irmhild Schwenke. Doch sie setzt sich durch und bleibt bis zum Ende der Poliklinik im Jahre 1990 deren Direktorin.

Danach macht sie sich als Hausärztin in Lommatzsch selbstständig. 2015 gibt sie ihre Praxis an der Raubaer Straße auf, lässt sich aber in der Gemeinschaftspraxis Weber und Garber am Markt in Lommatzsch anstellen. „Hätte ich aufgehört, wäre nach einem halben Jahr diese Hausarztstelle in Lommatzsch von der Kassenärztlichen Vereinigung gestrichen worden“, sagt sie. Und erneut muss sie sich umgewöhnen, diesmal aber im positiven Sinne. „Wenn ich nach Hause ging, hatte ich zwar medizinische Probleme im Kopf, aber nicht mehr die ökonomischen“, sagt sie. Und sie hat im Alter noch dazugelernt, muss umdenken. „Sachen wie die elektronische Krankenkartei hatte ich in meiner Praxis nicht. Die Kollegen haben mich aber sehr gut aufgenommen und unterstützt“, sagt sie.

Nach siebenjähriger Suche hatte sie eine Nachfolgerin gefunden. Doch die jetzt 41-jährige Dr. Rita Gruschwitz qualifizierte sich noch zur Fachärztin. Erst danach konnte sie die Stelle übernehmen.

Der Wechsel ist jetzt vollzogen. Rita Gruschwitz, die in der Elblandklinik Riesa ihre Facharztausbildung absolvierte, ist auf einem Umweg zum Medizinstudium gekommen. Zunächst lernt sie Krankenschwester, arbeitet auch drei Jahre in dem Beruf. Dann entscheidet sie sich doch zum Medizinstudium. „Ich wollte erst mal testen, ob mir dieser Beruf liegt“, sagt sie. Mit 41 Jahren hat sie nun die letzte Hürde genommen. Angenommen wird die gebürtige Dresdnerin in Lommatzsch sehr gut. „Die Patienten sind sehr froh, dass die Hausarztstelle bleibt“, sagt die Mutter zweier Kinder.

Für Irmhild Schwenke beginnt nun ein ganz anderes Leben. „Ich war glücklich mit meinem Beruf, er war für mich Berufung, ich habe ihn mit Leib und Seele gemacht. Dennoch vermisse ich nichts“, sagt die 71-Jährige. Große Pläne für ihr Rentnerdasein hat sie nicht. „Ich lasse alles auf mich zukommen, will einfach mal Mensch sein. Und vielleicht mal Urlaub machen. In meinem Berufsleben habe ich mir nur zwei, höchstens drei Wochen Urlaub im Jahr gegönnt, aber nie zusammenhängend“, sagt sie.

Sie ist zwar im Ruhestand, aber ruhig ist es nicht. Derzeit zieht sie um von Lommatzsch nach Coswig in das Haus zu ihrem Sohn. Dort hat sie dann auch die jetzt dreijährige Enkelin ständig um sich.

Der Abschied von Lommatzsch fiel schwer. „Teilweise habe ich vier Generationen von Patienten betreut. Es gab viele Blumen, Briefe, Tränen“, sagt Irmhild Schwenke. In den vielen Jahren hat sie ein geradezu persönliches Verhältnis zu den Patienten aufgebaut. „Nach meiner Meinung sollte ein Hausarzt sein ganzes Berufsleben an einem Ort bleiben. Denn man muss Vertrauen aufbauen. Das geht nur durch Zeit.“ Dass sie weit über das Rentenalter hinaus gearbeitet hat, bereut sie nicht. „Im Gegenteil. Ich bin dankbar, dass ich so lange arbeiten durfte und konnte.“

Ihre Berufswahl hat Dr. Irmhild Schwenke nie bereut. „Ob ich es allerdings heute unter den jetzigen Bedingungen noch einmal machen würde – das weiß ich nicht“, sagt sie. Ihre Nachfolgerin jedenfalls freut sich auf die Arbeit: „Ich kann mir keine bessere Arztstelle vorstellen. „Wir sind hier in der Gemeinschaftspraxis ein tolles Team.“