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Zuflucht Herrnhut

Die Brüdergemeine knüpft an ihre Tradition an und bietet Flüchtlingen Schutz. Es ist das einzige Kirchenasyl in Sachsen.

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© Matthias Weber

Von Frank Seibel

Weihnachten ist ein gutes Ziel. Wenn sie bis dahin durchhalten, werden sie vielleicht eine neue Chance erhalten: 17 Christen aus dem Irak, die in der Oberlausitz eine besondere Art der Zuflucht gefunden haben: Kirchenasyl.

Eigentlich haben sie kein Recht, sich in Deutschland aufzuhalten. Die Iraker sind Mitglieder einer christlichen Großfamilie, die im Februar von der tschechischen Regierung im Rahmen eines Vorzeigeprojekts aus dem Nordirak ausgeflogen worden war. Da sie sich in Tschechien aber nicht willkommen fühlten, waren 25 von ihnen wenige Wochen später nach Sachsen weitergereist und hatten in Deutschland Asyl beantragt. Nach EU-Recht haben sie hier allerdings keinen Anspruch auf Asyl, und die Großfamilie sollte wieder nach Tschechien abgeschoben werden.

Über private Kanäle gelangte der Ruf nach Unterstützung an die Brüder-Unität. Mitte Juli hat die Leitung der Evangelischen Brüder-Unität beschlossen, an ihrem Ursprungsort in Herrnhut die 17 Iraker aufzunehmen, neun Erwachsene und acht Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Kirchenasyl gibt es in Deutschland sei über 30 Jahren. Die Kirchen haben konfessionsübergreifend eine Arbeitsgemeinschaft für das Kirchenasyl gebildet, und der deutsche Staat toleriert es bis zu einem gewissen Grad, wenn die Kirchen Menschen in ihre Obhut nehmen, die in einer besonders schwierigen und rechtlich komplizierten Lage sind.

Bundesweit ist die Zahl der Schutzsuchenden in Kirchen in den vergangenen eineinhalb Jahren trotz der liberalen Flüchtlingspolitik stetig gestiegen. Derzeit bieten 303 Kirchengemeinden in Deutschland insgesamt 473 Menschen Asyl – die meisten Fälle gibt es derzeit in Bayern, wo die Behörden abgelehnte Bewerber am schnellsten abschieben. Obwohl sich auch die sächsische Staatsregierung zu einer strengeren Abschiebepraxis bekennt, ist Herrnhut derzeit der einzige Fall von Kirchenasyl in Sachsen. Das bestätigt die Landesdirektion Dresden, der die Ausländerbehörde des Freistaats unterstellt ist. Für die Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine ist die Unterbringung der irakischen Flüchtlinge ein monatelanger Stresstest und eine Nervenprobe. Denn die Menschen müssen auf dem Terrain der Kirche bleiben. Da in Herrnhut die Stadt und die Brüdergemeine eng miteinander verzahnt sind, sind die Spielräume hier vielleicht etwas größer als in anderen Orten. Aber es bleibt eine große Herausforderung, die Menschen mit allem zu versorgen, was für sie nötig ist.

Dazu gehört auch Wissen – denn drei der acht Kinder müssten eigentlich in die Schule gehen. Solange sie im Kirchenasyl sind, ist die Schulpflicht allerdings formal ausgesetzt, teilt die Landesdirektion Dresden mit. So ging der Plan nicht auf, die Kinder auf eine Schule vor Ort zu bringen.

Wie genau das Leben im Herrnhuter Kirchenasyl funktioniert, darüber schweigt die Brüdergemeine. Möglichst wenig Wirbel machen, lautet die Festlegung der Kirchenleitung. Das hat, sagt der für das Projekt verantwortliche Pfarrer Andreas Tasche, vor allem mit der Sorge um die Menschen zu tun. Er nennt das Stichwort „Husarenhof“ – das ehemalige Hotel in Bautzen war im Februar angezündet worden, bevor dort Flüchtlinge einziehen konnten. Als die Gemeine Ende Juli erstmals über das Kirchenasyl informiert hat, habe es in der Umgebung einige Andeutungen gegeben, die nichts Gutes bedeuteten.

„Die Herrnhuter“ fühlen sich aus ihrer Geschichte heraus den Flüchtlingen besonders verpflichtet. Denn Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und Pottendorf nahm ab 1722 Glaubensflüchtlinge aus Mähren auf seinen Gütern zwischen Zittau und Löbau auf; so entstand die Stadt Herrnhut, und so entstand letztlich auch die Herrnhuter Brüder-Unität.

Ein halbes Jahr müssen die Herrnhuter und ihre Schützlinge überstehen. Dann, so erklärt Pfarrer Andreas Tasche, haben die Menschen das Recht, in Deutschland Asyl zu beantragen. Dann wären die Iraker zwar immer noch in Wartestellung. Aber die Kinder könnten regulär zur Schule gehen, und die Familienmitglieder könnten sich in ihrer Region frei bewegen. Ein halbes Jahr – das ist im Januar zu Ende.