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Zu schnell, um wahr zu sein!?

Vor 30 Jahren lief Marita Koch über 400 Meter unglaubliche 47,60 Sekunden. Dieser Weltrekord ist längst ein Mahnmal.

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Von Kristof Stühm

Marita Koch, weiße Hose, blaues Hemd, schlägt die Hände zusammen. Einmal. Zweimal. Sie schüttelt ungläubig mit dem Kopf, die braunen Locken wippen. 47,60 Sekunden. Über 400 m. Weltrekord. Einer für die Ewigkeit.

Marita Meier-Koch wirkt auch zufrieden mit der zweiten Karriere. Die einstige Weltklasse-Läuferin betreibt in ihrer Wahl-Heimat Rostock ein Modegeschäft.
Marita Meier-Koch wirkt auch zufrieden mit der zweiten Karriere. Die einstige Weltklasse-Läuferin betreibt in ihrer Wahl-Heimat Rostock ein Modegeschäft. © dpa

Die wackligen Bilder vom 6. Oktober 1985 in Canberra werden heute 30 Jahre alt, und sie erzählen von einer anderen Zeit. Dieser Weltrekord ist längst zu einem Mahnmal der Leichtathletik geworden. Unerreichbar und wohl ein Resultat des systematischen Dopings in der DDR.

„Viele meinen, etwas über mich aus irgendwelchen komischen Unterlagen zu wissen. Die belegen überhaupt nicht, was man wirklich gemacht hat“, sagte Koch, die seit ihrer Hochzeit mit ihrem damaligen Trainer Wolfgang Meier Meier-Koch heißt, einmal. Dokumente belegen, dass Meier-Koch – wie andere Athleten der DDR auch – hohe Mengen des Anabolikums Oral-Turinabol zur Leistungssteigerung verabreicht bekommen hat. Doch die ehemalige Sprinterin, die insgesamt siebzehn Weltrekorde aufstellte, bestreitet, die unerlaubten Mittel geschluckt zu haben.

Meier-Koch spricht nur noch äußerst ungern über dieses Thema. Sie sei „immer clean“ gewesen, sagte die Olympiasiegerin von Moskau 1980, dreimalige Weltmeisterin und sechsmalige Europameisterin einmal. Als Medizinstudentin und mündige Athletin habe sie ja gewusst, „welche Nebenwirkungen auftreten können, wenn man die Mittel nimmt. Man hat versucht, sich dem zu entziehen, wie man konnte“. Für den Sportinformationsdienst war sie in den vergangenen Tagen für ein Gespräch nicht zu erreichen.

47,60 Sekunden – diese Zeit lässt die aktuellen Sprinterinnen immer noch staunen und gleichermaßen erschaudern. Der Weltrekord ist so unglaublich wie umstritten. Es ist nach den 1:53,28 Minuten von Jarmila Kratochvilova (1983/Tschechoslowakei) über 800 m der zweitälteste Weltrekord der Leichtathletik-Geschichte. Nur neun Frauen sind je die 400 Meter in weniger als 49 Sekunden gelaufen. Meier-Koch schaffte das gleich fünfzehn Mal. Zum Vergleich: Die schnellste Zeit des Jahres 2015 lief Weltmeisterin Allyson Felix (USA) in 49,26 Sekunden. Das sind keine Welten, sondern Galaxien. Ines Geipel, ehemalige DDR-Sprinterin und Doping-Bekämpferin, spricht von einem „vergifteten Rekord“.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Meier-Koch im Osten noch immer eine Heldin, im Westen kennt sie kaum noch jemand. Sie stört sich am scheinheiligen Umgang mit dem Thema Doping. Immer werde nur der DDR-Sport in „die Schmuddelecke gestellt“, sagte die Trägerin des Vaterländischen Verdienstordens und des Sterns der Völkerfreundschaft bei ihrer umstrittenen Aufnahme in die Hall of Fame des Weltverbandes IAAF vor einem Jahr: „Gesellschaftlich tut es dem Sport nicht gut, dass man im Rückblick mit dem Finger auf die DDR zeigt und selbst versucht, vieles unter den Teppich zu kehren.“

Heute führt Meier-Koch zwei Modegeschäfte in Rostock. „Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht mehr zeigen konnte, dass ich sicher auch 1992 und 1993 Weltmeisterin hätte werden oder eine gute 48 oder eine 47 laufen können mit doppelt und dreimal so viel Kontrollen“, sagte Meier-Koch, die nach der Europameisterschaft 1986 mit 29 Jahren ihre Karriere beendete: „Jeder kann nur selbst für sich sagen, was er getan hat und was nicht.“ (sid)