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Zoll konzentriert sich auf die dicken Brocken

Gewerkschafter befürchten ein falsches Signal und fordern mehr Kontrolleure.

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© w. schuering/wirtschaftswoche

Von Michael Rothe

Er war einer der größeren Fische, der Sachsens Zollbeamten 2016 ins Netz ging: Der türkische Inhaber einer Estrichleger-Firma im Landkreis Zwickau war wegen Vorenthaltens von Lohn, Betrugs und Steuerhinterziehung mit einer Million Euro Gesamtschaden zu zwei Jahren Knast verurteilt worden, für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Zudem muss er 400 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Im Bereich des Hauptzollamts Dresden war ein Bauunternehmer zu 60 740 Euro Bußgeld verurteilt worden, weil er seinen Beschäftigten keinen Mindestlohn zahlte.

Solche, 2016 von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Hauptzollämter Dresden und Erfurt für Sachsen, aufgedeckten Fälle summieren sich auf 69 Haftjahre – deutlich mehr als im Vorjahr. Geldstrafen und Bußgelder über mehr als 2,1 Millionen Euro liegen ebenfalls über den Vergleichswerten. Hinzu kommen 30 Verfahren wegen Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns. Die Schadenssumme durch nicht gezahlte Steuern und Sozialversicherungsabgaben, erschlichene Sozialleistungen und Mindestlohnverstöße bewegt sich mit 38,4 Millionen Euro auf Vorjahresniveau. Diese Angaben der Hauptzollämter sind auch bemerkenswert, weil sie mit weit weniger Kontrollen zustande kamen. So hat das für die Direktionsbezirke Dresden und Leipzig zuständige Hauptzollamt der Landeshauptstadt nur 10 100 Personen bei 1 350 Arbeitgebern befragt – halb so viele wie zwei Jahre zuvor.

Amtssprecherin Heike Wilsdorf begründet das mit Umstrukturierung und neuen Denkansätzen. Zwar werde „weiter verdachtsunabhängig kontrolliert, aber wir konzentrieren uns nun darauf, organisierte Formen der Schwarzarbeit aufzudecken“, sagt sie. Um an die Hintermänner zu kommen und ihre Netzwerke aufzudecken, agierten die Ermittler bundes- und europaweit. Die Mindestlohn-Kontrolle sei Teil eines ganzheitlichen Prüfansatzes. „Das heißt: Wir prüfen immer alles“, so die Sprecherin. Aber das brauche auch Zeit.

Den Grundsatz „Qualität vor Quantität“ hatte vorige Woche auch die Generalzolldirektion für den Bund betont. Es gehe darum, „die großen Betrugsfälle aufzudecken. Dafür werden die Ressourcen effizient eingesetzt“, hieß es in Bonn.

Ab August alle FKS-Stellen besetzt

Mirko Hawighorst von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sieht einen Bundestrend. Deutschlandweit habe es 2016 am Bau nur noch gut halb so viele Kontrollen gegeben wie 2015, sagt der Regionalleiter für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Gewerkschafter beruft sich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag.

Nach Überzeugung der IG BAU kommt es auf Kontrollen in der Breite an. Es nutze nichts, nur auf Großbaustellen zu gehen, so Hawighorst. „Die Argumentation des Zolls gleicht einer Schutzbehauptung und führt dazu, dass organisierte Schwarzarbeit nur als solche gilt, wenn sie im großen Stil betrieben wird.“ Es gehe aber ums Prinzip der Kontrolle. Hawighorst sieht ein negatives Signal: „Wenn kaum kontrolliert wird, fühlen sich mehr Firmen eingeladen, Löhne und Sozialabgaben zu prellen.“

Die FKS kontrolliert neben den Branchenmindestlöhnen – etwa am Bau oder in der Gebäudereinigung – auch den gesetzlichen Mindestlohn. Der wurde 2015 mit zunächst 8,50 Euro eingeführt und beträgt seit dem 1. Januar 8,84 Euro. Nach einer Analyse der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verdiente 2015 aber beispielsweise fast die Hälfte der Minijobber weniger, als ihnen zustand.

Wiederholt hatte es bundesweit konzertierte Aktionen gegeben. Bei einer solchen Schwerpunktprüfung im März für das Wach- und Sicherungsgewerbe hatte das Hauptzollamt Dresden bei etwa jedem dritten der 110 geprüften Objekte Unregelmäßigkeiten festgestellt. „Bei 22 Adressen liegt der Verdacht nahe, dass unter Mindestlohn gezahlt wird“, sagt Sprecherin Wilsdorf. Solche Verstöße können mit 500 000 Euro Bußgeld bestraft werden.

Wer ein Gesetz verabschiedet, müsse dafür sorgen, dass es eingehalten wird, sagt Gewerkschafter Hawighorst. „Sonst ist das Mindestlohngesetz ein zahnloser Tiger“, so der IG-BAU-Mann. Für effektive Kontrollen seien bundesweit mindestens 10 000 Beamte nötig, etwa die Hälfte mehr als derzeit.

Heike Wilsdorf vom Dresdner Hauptzollamt will das nicht bewerten. Nach ihren Angaben hat die FKS für Dresden und Leipzig über 200 Mitarbeiter. Von bundesweit 1 600 Zusatzkräften in Sachen Mindestlohn bekomme man gut 50 ab – „und im August sind auch alle Stellen besetzt“.

Fundsachen

Das Hauptzollamt Dresden ist eins von bundesweit 43 und für die Direktionsbezirke Dresden und Leipzig zuständig. Für Südwestsachsen ist das Hauptzollamt Erfurt verantwortlich.

Beiden Behörden mit insgesamt rund 1 400 Bediensteten für Sachsen sind Zollämter in Dresden, Löbau, Taucha, Chemnitz, Nossen, Hirschfeld und am Flughafen Leipzig-Halle zugeordnet.

Hinzu kommen Kontrolleure für Verkehrswege, Kfz-Steuer sowie Standorte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.

Das nach Frankfurt/Main zweitgrößte Hauptzollamt hat 2016 u. a. 730 kg Rauschgift sichergestellt – dreimal so viel wie 2015, darunter 83 kg Kokain.

Die Beamten konnten ferner 220 artgeschützte Tiere und Pflanzen und daraus hergestellte Waren sicherstellen: aus Elfenbein, Reptilienleder, Pelzen, Muscheln, Korallen. (SZ/mr)