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Zoff um Neubaustrecke Dresden–Prag

Die Linke stellt das Vorhaben samt Erzgebirgstunnel infrage. Das sorgt für Ärger. Denn die Konkurrenz wartet schon.

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© Visualisierung: SMWA

Von Matthias Weigel

Osterzgebirge. Leipzigs Citytunnel, Stuttgart 21 – Großprojekte der Bahn, die für Verzögerungen und extreme Verteuerungen stehen. André Hahn (Linke), hiesiger Bundestagsabgeordneter und Kreisrat, hat vor seinem geistigen Auge schon einen neuen Kandidaten für diese Liste ausgemacht: den geplanten Bahntunnel durchs Osterzgebirge. Hahn hält die weitgehend unterirdisch geplante Neubaustrecke Dresden–Prag für vollkommen überzogen.

André Hahn (Linke), Bundestagsabgeordneter und Kreisrat: Mir mangelt es an alternativen Vorschlägen, die das Elbtal vom Bahnlärm besser, schneller und günstiger entlasten.
André Hahn (Linke), Bundestagsabgeordneter und Kreisrat: Mir mangelt es an alternativen Vorschlägen, die das Elbtal vom Bahnlärm besser, schneller und günstiger entlasten. © Bonss
Ivo Teichmann (AfD), Kreisrat: Die Leute haben die Schnauze voll. Statt Lösungen zu präsentieren, wird das Problem seit Jahrzehnten immer weiter rausgeschoben.
Ivo Teichmann (AfD), Kreisrat: Die Leute haben die Schnauze voll. Statt Lösungen zu präsentieren, wird das Problem seit Jahrzehnten immer weiter rausgeschoben. © Daniel Förster

Die letzte Studie vom Januar 2016 sagt Kosten von über 1,3 Milliarden Euro voraus. Geplant ist, in Heidenau mit einer 400 Meter langen Brücke über die Bundesstraße B 172 in zwei jeweils 1 000 Meter lange Tunnel unter Großsedlitz abzuzweigen. Übers Seidewitztal in Pirna würde eine Brücke errichtet, etwa einen Kilometer lang. Dann folgt ein Ausweichbahnhof, bevor es in den 26 Kilometer langen Basistunnel nach Usti geht. Die Route soll Geschwindigkeiten von 200 km/h bis Usti erlauben, bis Prag gar 350 km/h. Die Reisezeit zwischen Dresden und Prag könnte von 135 Minuten auf 50 Minuten sinken.

Die Strecke soll vor allem das Elbtal entlasten. Dabei geht es nicht nur um Lärm. Die hochwassergefährdete Elbtal-Bahntrasse mit 200 Zügen täglich kommt an die Kapazitätsgrenze. Sie hat wegen vieler Kurven kein Tempopotenzial. Der wachsende Bahnverkehr – bis 2025 sollen es 288 Züge täglich sein – und die wachsende Bedeutung von Geschwindigkeit werden zunehmend zum Problem. Zumal die Strecke auch noch im Kern des europäischen Verkehrsnetzkorridors Orient/östliches Mittelmeer liegt. André Hahn sieht im Osterzgebirgstunnel aber noch keine Lösung, sondern eher das Problem. „Die Leute im Elbtal sollen doch nicht erst 2030 entlastet werden“, sagt er in einer aktuellen Debatte im Kreistag. Die Bahn stehe stattdessen hier und heute in der Verantwortung, mehr zu tun – wie die Flüstertechnik auszubauen. Und ob in Zukunft Gefahrgüter durch den Tunnel dürfen, sei unklar. Auch die S-Bahn und der Regionalverkehr blieben im Elbtal – und damit Lärm.

„Außerdem bin ich persönlich sehr skeptisch, was die Realisierung des Tunnels angeht“, so Hahn. Denn ob der Nutzen die prognostizierten Kosten aufwiege, sei gar nicht klar. „Mir mangelt es an Alternativvorschlägen, die das Elbtal vielleicht besser und schneller und günstiger entlasten“, sagt der Linkspartei-Abgeordnete.

Sehr viel Skepsis

Und nach den Erfahrungen mit Projekten wie dem Leipziger Citytunnel oder Stuttgart 21 gehe er fest davon aus, dass der Tunnel keinesfalls 2030 fertig sei, wenn denn gebaut würde. „Und ich nehme durchaus an, dass wir am Ende über mehrere Milliarden Baukosten reden. Die Summe jetzt ist doch Augenwischerei“, sagt Hahn. Der Tunnel sei eine schöne Vision, die aber an der Realität vorbeigehe. „Das Geld ist woanders vielleicht besser angelegt.“ Ihm jedenfalls seien zu viele Fragen offen, zu viele Fakten ungeklärt, als dass er dem Bau vorbehaltlos zustimmen könne.

Das sahen zuletzt die Planer im Bundesverkehrsministerium offenbar ähnlich. Denn im jüngst vorgestellten Bundesverkehrswegeplan, der die Marschrichtung für Bauprojekte bis 2030 vorgibt, wurde das Vorhaben lediglich in eine Kategorie mittlerer Priorität eingeordnet – und steht damit zunächst auf dem Abstellgleis.

Sachsen und Tschechien wollen das allerdings nicht so einfach hinnehmen. Sie haben seit Jahren intensiv an dem Vorhaben gearbeitet, verschiedene Machbarkeitsstudien vorgelegt – die letzte für 1,2 Millionen Euro. Beide wollen den Tunnel, beide wollen gemeinsam Druck auf die Bundesregierung machen, dem Vorhaben eine höhere Priorität einzuräumen. Zumal die EU die Notwendigkeit unterstrichen und Mittel in Aussicht gestellt hat, um den Engpass im internationalen Bahnkorridor zu beseitigen. Allerdings bemüht sich inzwischen auch Bayern um eine Streckenführung über sein Gebiet. Dort dürfte man sich über Streit in Sachsen freuen. Im Herbst, spätestens Anfang 2017, will der Bundestag endgültig entscheiden.

Dazu zieht das Parlament auch Stellungnahmen heran, die die verschiedenen Interessengruppen bis Ende Mai zum Wegeplan einreichen konnten. Die des Landratsamtes ist dabei völlig gegensätzlich zu Hahns Äußerungen. „Das Vorhaben ist aus Sicht des Landkreises unbedingt in den vordringlichen Bedarf einzuordnen“, schreibt die Kreisbehörde nach Berlin. Man sieht nicht nur die unliebsame Konkurrenz aus Bayern, die das Vorhaben gefährden könnte. Wirtschaftlicher Aufschwung, eine Lösung fürs Elbtal – das alles wäre ohne den Mega-Tunnel gefährdet.

Landkreis wartet auf Grundsatzentscheidung

Heiko Weigel, Ressortchef Bauen und Umwelt im Landratsamt, kann Hahns Zweifel in gewisser Weise dennoch verstehen. „Wir stellen uns viele dieser Fragen auch“, sagt er. Alles, was bis jetzt vorliege, seien Vorplanungen aus eigenem Antrieb von Sachsen und Tschechien gewesen. Das war für die grundsätzliche Entscheidung wichtig, habe aber nicht alles detailliert beantwortet. Diese Antworten gebe es nur mit der Höherstufung. Denn erst dann bekomme die Bahn den Auftrag, einen Planungsprozess einzuleiten. „An dessen Ende stehen dann Aussagen zu Kosten, Nutzen, Umwelteinflüssen, etc.“, sagt Weigel. Diese Antworten wolle man unbedingt haben. „Und ob es eine andere, bessere Lösung gibt, können wir auch nur so sicher beantworten“, sagt Weigel.

Hahn bleibt bei seiner Kritik, vor allem, weil die Stellungnahme schon längst abgeschickt war, bevor der Kreistag darüber debattiert hatte. Die kurzen Fristen seien als Begründung nur vorgeschoben, sagt Hahn.

Für all das Gezerre zeigt Kreisrat Ivo Teichmann (AfD) wenig Verständnis. „Die Leute im Elbtal haben die Schnauze voll“, sagt er. Statt Lösungen zu präsentieren, werde das Problem seit Jahrzehnten immer weiter hinausgeschoben, die Betroffenen hingehalten. Wie könne es sonst sein, dass der Tunnel erst 2030 fertig sein soll, 2025 aber schon 50 Prozent mehr Züge rollen? „Dieser Lärm schadet der Region erheblich, den Menschen und dem Tourismus. Wir brauchen endlich eine Lösung und Leute, die dafür Verantwortung übernehmen“, so Teichmann.

Mehr zum Neubauprojekt: http://nbs.sachsen.de/