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Zittern vor dem Psychotest

Bei der Diakonie bereiten sich Alkoholfahrer auf die Rückkehr ans Steuer vor. Und sollen ihr Leben verändern.

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© Jürgen Lösel

Von Reiner Hanke

Kamenz. Diese Situation mögen wohl die wenigsten Kraftfahrer: Ein Polizist winkt am Straßenrand mit der Kelle. Manchmal heißt es dann pusten. Das musste auch der 25-jährige Andreas Krause*. Es war eine verhängnisvolle Nacht für den Kamenzer Fußballfan. Die Begeisterung für seinen Verein hat er sich sogar auf den Arm tätowieren lassen. Der spielte zwar an jenem Tag nicht. Den Europa-League-Abend mit Freunden in Dresden wollte er sich aber nicht entgehen lassen. Es floss reichlich Bier: „Und ging etwas länger.“ Der Alkohol ließ die Hemmschwelle sinken, gute Vorsätze lösten sich im Rausch auf: Die paar Meter bis nach Hause. Schon steckte der Zündschlüssel im Schloss. Gegen halb vier habe er vor dem Haus eingeparkt. Was er nicht bemerkt hatte: Eine Polizeistreife war ihm gefolgt. Der Bluttest im Krankenhaus brachte das ernüchternde Ergebnis: 1,7 Promille. Das ist bereits im Straftatbereich, der Führerschein sofort weg. 1 800 Euro Strafe dazu und Punkte.

Es war das erste und einzige Mal, schwört er im Gespräch bei Simone Mattukat. Sie arbeitet für das Diakonische Werk in Kamenz und leitet die Suchtberatungsstelle, Kurse für Kraftfahrer wie Andreas Krause. mit Alkoholproblemen inklusive. Der Gruppenraum mit einem Kreuz an der Wand ist nüchtern eingerichtet. Und nüchtern sollen sich die Teilnehmer künftig auch ans Steuer setzen. Andreas Krause. hat es sich fest vorgenommen. Der Kurs soll ihm auch dabei helfen, die fällige MPU, die „Medizinisch-Psychologische-Untersuchung“, zu bewältigen. Diese muss jeder der mehrfach oder einmal mit über 1,6 Promille im Straßenverkehr aufgefallen ist absolvieren. Der Führerschein bleibt ohne den „Idiotentest“, wie es im Volksmund heißt, unerreichbar. Den müssen allein im Bereich der Polizeidirektion (PD) Görlitz jedes Jahr einige Hundert Kraftfahrer absolvieren. 580 Fälle von Trunkenheitsfahrten, teilweise mit Gefährdung des Straßenverkehrs, stellte die PD 2015 fest. 2016 waren es noch 50 mehr und die Dunkelziffer sei hoch, so Pressesprecher Thomas Knaup. Dabei handelt es sich nur um die Fälle mit Promillewerten im Straftatbereich. Einige der Alkoholfahrer sitzen dann bei Simone Mattukat, bis zu 50 im Jahr. Den meisten sitzt die MPU im Nacken. Aber es gehe eben nicht nur darum, dort gut aufzutreten. Ebenso wie die Strafe allein nicht helfe, ist sich Simone Mattukat sicher.

Der Abstinenznachweis

Hier beginnt ihre Arbeit: den Menschen zu helfen, sich und ihr Leben zu verändern. So leite das Verbot auch eine Zäsur ein, die oftmals nicht von ungefähr komme. Ein Beispiel ist für die Psychologin der Fußball-Fan. Zwölf Flaschen Bier an jedem Fußballspieltag. Und auch an den Tagen dazwischen war der junge Mann wohl nicht so ganz trocken: „Er hätte keine zehn Jahre so mehr weitermachen können.“ So soll es auch nicht weitergehen: „Ich habe alles verloren“, sagt er. Weg ist nicht nur der Führerschein, sondern auch sein gut bezahlter Job als Postverkehrskaufmann, als Teamleiter sogar. Seit April sei er ganz trocken und absolviere einen Abstinenznachweis. Dabei hätten vor allem auch die Gespräche im Kurs geholfen. Denn eines will der Kamenzer ganz bestimmt, seinen Führerschein zurück und auch behalten.

So geht es auch Robert Schröder* (33) aus dem Rödertal, ebenfalls in der Runde. Er gilt als Wiederholungstäter. Einmal war die Grillparty zu schön. Eigentlich habe er laufen wollen, und dann doch dem inneren Schweinehund nachgegeben. Nach den ersten vier Wochen als Fußgänger habe er aber die Tragweite noch nicht begriffen, jetzt beim zweiten Mal schon. Beziehungsstress habe ihn aus der Bahn geworfen. Bei einem Kumpel habe er das Herz ausgeschüttet. Und Alkohol ins Glas. Davon waren es einige zu viel. Er verlor die Kontrolle und stieg erneut angetrunken ins Auto. Fast ein Promille ergab der Bluttest. Er könne sich noch genau an die Fahrt im Polizeiauto zum Krankenhaus erinnern und will das Gefühl nie wieder erleben. Eine Achterbahnzeit begann. Zum Glück habe er immer mit einem Kollegen zur Arbeit fahren können: „Das wäre ansonsten mein Untergang gewesen.“ Inzwischen habe er sich ganz auf Abstinenz gesetzt und freiwillig den Kurs bei der Diakonie in Kamenz begonnen. Er habe viel nachgedacht. Dazu gehört die Einsicht, möglicherweise andere Menschen in Gefahr gebracht zu haben. Robert Schröder sagt: „Silvester habe ich den letzten Pfeffi getrunken. Ich fühle mich jetzt auch körperlich ohne Alkohol besser.“ Den will er auch nach überstandenem Gutachten meiden: „Höchstens mal ein Radler.“

Andreas Krause gibt zu, ihm sei der Bierverzicht beim Fußball mit seinen Kumpel anfangs schwergefallen: „Jetzt sage ich oft, trinkt nicht so viel.“ Das wolle auch er in der Zukunft, ohne ganz zu verzichten. Die Erfahrung sei heilsam gewesen. Zumindest bis zur MPU werden die Abstinenz-Versprechen regelmäßig ärztlich kontrolliert. Und dann? Simone Mattukat: „Wir vermitteln, wie sich die Einstellung gegenüber dem Trinken wandeln muss.“ So sehe sie bei vielen Teilnehmern eine glaubhafte Veränderung, klar unter dem Druck, des verlorenen Führerscheins. So sei es schwer zu sagen, wie lange die Veränderungen anhalten. Die muss auch der Gutachter bei der MPU spüren. Er muss sicher sein, dass der Alkoholsünder wieder in der Lage ist, ein Kfz zu führen. Eine Garantie gibt’s nicht, weiß auch die Psychologin.

Fallstricke beim Test

Viele Alkoholsünder zittern vor der MPU. Über Fallstricke kursieren wilde Gerüchte. Die Psychologin rät, wirklich an sich zu arbeiten und ehrlich zu sein. Bei 80 bis 85 Prozent sehen Krause und Schröder ihre Erfolgschancen im Test. So optimistisch sind nicht alle Kursteilnehmer. „50:50, mehr nicht“, sagt ein Ex-Truckerfahrer. Saufgelage an den Wochenenden und falsche Freunde, wie er sagt, kosteten ihn den Führerschein. Robert Schröder ist zuversichtlich, dass er standhaft bleibt: „Entweder ich fahre mit dem Taxi heim oder trinke keinen Tropfen.“ Und Andreas Krause beschwört den Gutachter: „Die müssen sehen, dass ich wirklich mit den Problemen abgeschlossen und den Alkoholkonsum runtergeschraubt habe.“ Er hofft, dass sein früherer Arbeitgeber die Veränderung anerkennt und ihm eine zweite Chance in seinem Job gibt. *Name geändert