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Zittauer entdeckt „Görings Auge“

Die kurze Ära des Kamerabaus in Großschönau beginnt 1943.

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© Mario Heinke

Vom Mario Heinke

Der ehemalige Fotohändler und Ex-FDP-Stadtrat Horst Bäsler lagert so einige Schätze in seiner heimischen Vitrine: Fotoapparate und Kameras aus vielen Epochen – von der Platte bis Digital. Als er vor einigen Monaten die kleine „Robot II“ in der Hand hielt, erinnerte sich der 79-Jährige an ein Gespräch mit Herrn Goldberg in den 1990er Jahren. Der ehemalige Teilhaber der Großschönauer Firma Richter & Goldberg hatte ihm erzählt, dass in den Räumen seines Unternehmens während des Krieges Kameras gebaut wurden. In den vergangenen Monaten nahm Bäsler die Fährte auf. Er tauschte sich mit Freunden der Fotografie in ganz Deutschland aus, recherchierte im Internet und studierte einschlägige Fachzeitschriften. So konnte der Rentner jetzt etwas Licht in die Großschönauer Geschichte bringen und stieß dabei auf so manch kuriosen Vorgang.

Das Haus von Richter & Goldberg stand bis zum Abriss vor dieser Halle in der Spitzkunnersdorfer Straße 17.
Das Haus von Richter & Goldberg stand bis zum Abriss vor dieser Halle in der Spitzkunnersdorfer Straße 17. © SZ/Archiv

Die kurze Ära des Kamerabaus in Großschönau beginnt 1943. Die Düsseldorfer Firma Robot-Berning & Co. wird als kriegswichtig eingestuft. Wegen der massiven Bombenangriffe in Düsseldorf riet das Wehrbeschaffungsamt dem Fabrikanten Hans-Heinrich Berning seine gesamte Produktion nach Großschönau in Sachsen zu verlagern. Berning folgte dem Rat und produzierte in den Gebäuden der Firma Richter & Goldberg bis 1945 mit 200 bis 300 Beschäftigten seine Kameras der Marke „Robot“. Die handlichen Geräte hatten damals einen guten Ruf. Das Besondere an ihnen: der Federwerkmotor. Das große Stellrad an der Oberseite der Kamera ermöglichte es dem Fotografen nach dem Aufziehen des Federwerks einen ganzen Kleinbildfilm hintereinander zu belichten. Das kameraeigene Format von 24 mal 24 Millimeter sorgte zudem dafür, dass 50 statt der sonst üblichen 36 Bilder auf einem Film Platz fanden. Die „Robot“ wurde deshalb als Schnellschußkamera weltberühmt und auch für die Wehrmacht interessant.

So entwickelten Konstrukteure das Modell „Robot II Luftwaffe” eigens für die Luftaufklärung und zur Trefferkontrolle. Rund 20 000 Stück soll Berning an das Militär ausgeliefert haben, Made in Großschönau. Auch USA, England, Dänemark und Schweden erkannten den besonderen Nutzen der Kamera, nannten sie „Göring Eye” (Görings Auge) und beschafften sich über das neutrale Portugal größere Mengen der Technik. Im Großschönauer Werk arbeiteten während des Krieges auch Kriegsgefangene aus Holland und Russland in der Produktion. Das belegen einige Schriftstücke. Walter Stachelhaus, der Sohn des Leiters der Lohnbuchhaltung, Gustav Stachelhaus, sammelte Schreiben von Kriegsgefangenen. Die Kriegsgefangenen erklären darin, dass sie sich frei im Betrieb bewegen konnten und menschenwürdig behandelt worden seien.

Kurz nach Kriegsende verlud man die wertvollsten Maschinen, Tausende von Objektiven und fast dreitausend Kameras auf 28 Eisenbahnwaggons, um in den wenig beschädigten Robot-Gebäuden in Düsseldorf eine neue Produktion zu beginnen. Von den 28 Güterwaggon ist keiner jemals in Düsseldorf angekommen. Alle Nachforschungen von Hans-Heinrich Berning zum Verbleib der Fracht blieben erfolglos. „Wohin die Waggons umgeleitet wurden, kann man nur ahnen“, kommentiert Horst Bäsler die in der sowjetischen Besatzungszone handelnde Geschichte. Ein sofortiger Neubeginn in Düsseldorf war für Berning praktisch unmöglich. In den Nachkriegsjahren dauerte es immerhin bis Ende 1946, bis mit Unterstützung der englischen Besatzungsverwaltung das notwendige Material für eine erste Probeserie beschafft werden konnte. Noch bis 1949 exportierten die Düsseldorfer fast alle Geräte, um den Reparationsbedingungen der Alliierten zu entsprechen. Die Geschichte des Kamerabaus in Großschönau ging nach dem Abzug der Produktion jedoch noch nicht zu Ende. Einige ehemalige Angestellte Bernings blieben in Großschönau und gründeten in den Räumen der Firma Richter & Goldberg die Femeta (Feinmechanik und Metallwarenfabrik), die später in Volkseigentum überführt wurde. Hier produzierten die Mitarbeiter unter anderem Schmuck. Fotofreund und Buchautor Hartmut Thiele fand im sächsischen Staatsarchiv Akten, aus denen hervorgeht, dass der erfahrene Konstrukteur Heinrich Skolaude 1948 den Vorschlag unterbreitete, eine eigene und bessere „Robot-Kamera“ für die DDR zu entwickeln. Er wollte das legendäre Federwerk für 60 Aufnahmen auslegen und andere Schlitzverschlüsse einsetzen, um bestehende Patente von Berning zu umgehen. „Die chinesische Methode war damals schon bekannt“, sagt Bäsler. 1949 wurde die Entwicklungsabteilung von Femeta in die Welta-Kamerawerke nach Freital verlegt. Damit endete die kurze Geschichte des Kamerabaus in der Spitzkunnersdorfer Straße 17 in Großschönau. Im Jahre 1950 ist das Projekt „DDR-Robot“ wegen Personalmangel, Problemen bei der Fertigung und Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung endgültig eingestellt worden. Heinrich Skolaude blieb als Konstrukteur und Betriebsleiter ein gefragter Mann in der sich entwickelnden Kameraindustrie der DDR und war von 1964 bis 1968 Leiter der Patentabteilung im Kombinat VEB Pentacon. Er wohnte in Waltersdorf. Horst Bäsler hofft weitere Informationen von Zeitzeugen oder aus Nachlässen gewinnen zu können. Nächstes Jahr wird er 80. „Wenn man nicht eher stirbt, wird man so alt“, frotzelt er. Noch immer fit, hat der Zittauer noch so einiges vor. Derzeit ordne er unveröffentlichte historische Dokumente, in denen noch die eine oder andere Geschichte lauert, verspricht Bäsler.