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Zettel-Trick überlistet Kontrollposten

Fritz Seiring hatte Glück. Seine Verstellungskünste waren erfolgreich.

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© Thomas Eichler

Von Andreas Herrmann

Manchmal entscheiden kleine Zettel über Schicksale. Die Geschichte von Fritz Seiring, der den Zweiten Weltkrieg vom ersten bis zum letzten Tag miterleben musste, ist so eine Begebenheit. Als die Kämpfe im Mai 1945 zu Ende gingen, war er in der rheinländischen Gegend bei Köln, die zur amerikanischen Besatzungszone gehörte.

Fritz Seiring wollte nach Hause, zur Liesl, die er 1942 Niedercunnersdorf geheiratet hatte. Und er wollte den Krieg vergessen, der ihn jahrelang durch halb Europa trieb. So zog er seine Wehrmachtsuniform aus, warf sie mitsamt dem Soldbuch weg, besorgte sich Zivilsachen und machte sich auf in Richtung Dresden. Dabei musste er die Grenzlinie zwischen dem amerikanischen und sowjetischen Sektor überqueren und das war das bevorstehende Problem. Als ehemaliger Wehrmachtsangehöriger hätte er sehr schnell von den Russen gleich nach der Grenze weggefangen und in einen Zug Richtung Lager in Sibirien kommen können.

Wie es sein Vater genau angestellt hat, unbeschadet die Linien zu überqueren, weiß Sohn Falk nicht genau. Eigentlich konnte Fritz Seiring kein Theater spielen und sprach auch wenig. Vielleicht hat er sich taubstumm gestellt, geschielt oder Grimassen geschnitten, so die Vermutungen. Aufgrund seiner vorgeblichen Behinderungen, oder was auch immer, stellte ihm ein amerikanischer Oberleutnant am 14. Mai 1945 spontan einen Zettel aus mit dem Zusatz „wen es betreffen mag“ aus. Inhalt des Eintrages: Seiring und seine Frau, die es in dem Moment gar nicht gab, dürfen passieren. Betroffen und zuständig waren zwei russische Wachsoldaten auf der anderen Seite des Kontrollpunktes, die ihn nach kurzer Diskussion durchwinkten. Anscheinend waren auch sie wegen der Verstellungskünste Seirings überzeugt, dass es sich nicht um einen deutschen Soldaten handeln könne. Dabei wusste dieser selbst noch nicht einmal, was auf dem Zettel stand, denn er konnte kein Englisch. Die russischen Soldaten allerdings sicher auch nicht. Auf diese Weise entging der Niedercunnersdorfer der Gefangenschaft und kam wohlbehalten bei Liesl an. Der Zettel ist eine wichtige Erinnerung an den Krieg und Fritz Seiring hat ihn aufgehoben. Sohn Falk fand ihn später im Nachlass und bewahrt ihn seitdem als Talisman auf.

Nach den Kriegserlebnissen galt für Seiring, dass die DDR der bessere deutsche Staat ist. Er wollte alles dafür tun, dass der Aufbau erfolgreich ist und der Frieden erhalten bleibt. 1946 trat er in die SED ein. „Mein Vater war einer der Genossen, die von ganzem Herzen und voller Überzeugung dabei waren und versucht haben, etwas Gutes zu tun, ohne nach Vorteilen zu trachten“, sagt sein Sohn. Als Betriebsleiter in der Oderwitzer Ziegelei und als Kaderleiter im Möbelwerk Neugersdorf fand er ein erfülltes Berufsleben.

Falk Seiring hat in der Nationalen Volksarmee in Spremberg in einem Instandsetzungsbataillon den Grundwehrdienst geleistet. Vor einigen Wochen ist er am Standort vorbei gefahren. Es steht nur noch eine Kasernenmauer. Persönlich ist er dem Schicksal dankbar, dass er Erlebnisse wie die seines Vaters nicht hatte und so einen Zettel nie brauchte.